Schon vor der mit Spannung erwarteten EZB-Entscheidung über einen massenhaften Ankauf von Staatsanleihen streiten die beiden größten Volkswirtschafen der Euro-Zone über die Folgen der Geldflut. Frankreichs Präsident Francois Hollande erhofft sich einen willkommenen Schub für die schleppende Konjunktur in Europa. Bundeskanzlerin Angela Merkel hielt sich dagegen am Montag auffallend zurück: "Die EZB trifft ihre Entscheidungen sowieso unabhängig", sagte sie in Berlin. Der haushaltspolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Norbert Barthle, äußerte jedoch scharfe Kritik. "Mit ihrer Politik des billigen Geldes steuert die EZB auf einen gefährlichen Teufelskreis zu", sagte er Reuters. Aus der deutschen Wirtschaft kamen zudem Stimmen, die vor einem Währungskrieg warnten.
An den Finanzmärkten gilt es inzwischen als ausgemachte Sache, dass die Europäische Zentralbank (EZB) am Donnerstag auf ihrer ersten Zinssitzung in diesem Jahr ein milliardenschweres Kaufprogramm für Staatsanleihen - im Fachjargon "Quantitative Easing" (QE) genannt - auf den Weg bringt. Einer Reuters-Umfrage zufolge erwarten 18 von 20 befragten Geldmarkt-Händlern eine entsprechende Ankündigung. Dabei wird mit einem Volumen von 600 Milliarden Euro gerechnet.
Wie Mario Draghi die Märkte mit Geld fluten kann
Die EZB könnte massenhaft Anleihen aufkaufen und selbst das Risiko in ihre Bücher nehmen. Sie würde sich dabei am Anteil der jeweiligen Notenbanken am Grundkapital der EZB orientieren, das je nach Bevölkerungszahl und Wirtschaftsleistung der Länder unterschiedlich hoch ist. Draghi vermied es bislang, eine konkrete Zahl für die Käufe ins Schaufenster zu stellen. Doch strebt der EZB-Rat eine Ausweitung der Bilanz auf das Volumen von Anfang 2012 an. Damit müsste die EZB rund eine Billion Euro in die Hand nehmen. Mit dem eingeleiteten Kauf von Hypothekenpapieren und Pfandbriefen dürfte diese Summe nicht annähernd zu erreichen sein. Allerdings könnte die EZB das Spektrum um private Anleihen erweitern.
Kritiker befürchten, dass solide wirtschaftende Länder am Ende für Krisenstaaten haften müssen. Sollten Papiere - etwa von Griechenland - ausfallen, müsste auch der deutsche Steuerzahler bluten. Der niederländische Notenbank-Chef Klaas Knot sieht darin ein Problem: "Wir müssen vermeiden, dass über die Hintertür der EZB-Bilanz Entscheidungen getroffen werden, die den demokratisch legitimierten Politikern der Euroländer vorbehalten bleiben müssen." Ein möglicher Ausweg aus diesem Dilemma wäre eine Ankauf durch die jeweiligen Notenbanken der Euro-Staaten.
Draghi könnte den Bedenken gegen eine zu große Haftungsübernahme durch die EZB mit einer Kompromisslösung Rechnung tragen: Die EZB würde demnach nur einen Teil der Ankäufe übernehmen und es den Notenbanken der einzelnen Länder überlassen, bis zu einem gewissen Limit auf eigenes Risiko am Markt aktiv zu werden. Damit würde Draghi womöglich die Bundesbank und andere Gegner besänftigen. Ob eine solche Aufgabenteilung aber reibungslos funktioniert und ein ausreichend großes Volumen zustande kommt, ist offen. Genauso wie die Frage, ob die EZB am Donnerstag tatsächlich bereits den Knopf drücken wird.
Bei diesem Modell verbliebe das Risiko bei den einzelnen Staaten. Die EZB würde den Beschluss fassen, dass die Zentralbanken von Portugal bis Finnland Papiere erwerben können und ihnen dafür ein Limit setzen. Der französische Notenbank-Chef Christian Noyer ist für "eine prozentuale Obergrenze". Private Anleger müssten weiterhin die Mehrheit der Anleihen halten. Dies würde theoretisch bedeuten, dass die einzelnen Notenbanken insgesamt bis zu 49,9 Prozent der ausstehenden Verbindlichkeiten des jeweiligen Landes aufkaufen dürften. Da der Schuldenberg der Euro-Staaten insgesamt mehr als neun Billionen Euro groß ist, wäre ein solches Programm jedoch überdimensioniert. Die Obergrenze, falls sie überhaupt kommuniziert wird, dürfte weit niedriger liegen.
Würde sich die EZB selbst heraushalten, könnte ihr dies als Führungsschwäche ausgelegt werden: "Das wäre keine einheitliche Geldpolitik mehr", warnt der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher. Auch ein Modell, wonach sich die Ankäufe an der Summe der ausstehenden Staatsanleihen eines Landes orientieren würde, gilt als heikel: Dann wäre Italien, das Heimatland Draghis, der größte Nutznießer. Rund ein Viertel aller ausstehenden Staatsanleihen im Euro-Raum wurde von der Regierung in Rom ausgegeben.
Gegner des Programms wie etwa Bundesbank-Chef Jens Weidmann befürchten, dass die EZB den Staaten "Fehlanreize" bieten würde, ihre Reformanstrengungen zu vermindern. Denn durch den massenhaften Ankauf von Verbindlichkeiten der Staaten kommen diese Länder am Markt günstiger an frisches Geld.
Ökonom Alexander Krüger vom Bankhaus Lampe erwartet zum Beispiel, dass sich der EZB-Rat noch nicht auf Umfang, Dauer und Zusammensetzung der Käufe durchringen kann. Dann würde die EZB nur einen Grundsatzbeschluss fassen. Draghi müsste im März alle Details nachliefern.
Bis dann dürfte sich auch der Rauch nach den Parlamentswahlen in Griechenland verzogen haben. Denn das von IWF und EU vor der Pleite gerettete Land könnte eine Kehrtwende einleiten. Die zentrale Frage lautet: Bleibt es auf Reformkurs oder kommt es zur Abkehr von den Rettungsprogrammen? Ein Ankauf griechischer Staatspapiere dürfte sich bei der letzten Variante für die EZB verbieten.
Hollande sagte in einer Rede, weitere unkonventionelle Maßnahmen der EZB würden helfen. Die zusätzliche Liquidität könne für mehr Wachstum sorgen. In Erwartung der Anleihenkäufe hat der Euro bereits deutlich an Wert verloren, was die Exportwirtschaft in Deutschland und Frankreich auf den Weltmärkten wettbewerbsfähiger macht. Auch aus dem kräftigen Rückgang des Ölpreises erhofft sich Hollande Rückenwind für die seit Jahren schleppende Konjunktur in vielen Ländern der Euro-Zone.
Dagegen zweifelte Barthle am Sinn der angedachten EZB-Maßnahmen. "Ich bin nicht von der Notwendigkeit eines massiven Aufkaufprogramms für Staatsanleihen überzeugt", so der CDU-Politiker, ein Vertrauter von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Hauptaufgabe der Notenbank sei es, für Preisstabilität zu sorgen: "Darauf sollte sich die EZB besinnen und nicht in immer kürzeren Abständen zweifelhafte Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft ergreifen." Für Wachstum müssten die EU-Länder mit Reformen sorgen - nicht aber die EZB über eine lockere Geldpolitik. Ähnliche Kritikpunkte hatte bereits Bundesbank-Chef Jens Weidmann gegen den Kauf von Staatsanleihen vorgebracht. Insidern zufolge pocht die deutsche Notenbank weiterhin auf Grenzen des QE-Programms.
Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Martin Wansleben, befürchtet unterdessen, dass ein immer weiter sinkender Euro-Kurs ungewünschte Reaktionen zur Folge haben könnte. "Wenn die USA jetzt zum Beispiel ihre Zinserhöhung verschieben, um gegenüber Europa nicht an Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren, droht uns eine Spirale des lockeren Geldes, bei der am Ende alle verlieren", warnte Wansleben.
EZB-Chef Mario Draghi hat die Tür für eine weitere Lockerung der Geldpolitik nach dem Vorbild der USA allerdings bereits weit geöffnet. QE soll Banken dazu bringen, ihre Staatsanleihen abzustoßen und stattdessen mehr Kredite zu vergeben. Dies soll die Konjunktur ankurbeln und einen gefährlichen Preisverfall auf breiter Front mit sinkenden Löhnen und rückläufigen Investitionen - eine sogenannte Deflation - verhindern. Die EZB strebt eigentlich eine Inflationsrate von knapp zwei Prozent an. Im Dezember waren die Lebenshaltungskosten in der Euro-Zone aber erstmals seit mehr als fünf Jahren gefallen - um 0,2 Prozent.
Nach Aussagen von EZB-Ratsmitglied Ewald Nowotny besitzt die Zentralbank nur wenige wirksame Mittel gegen eine Deflation. "Unsere Möglichkeiten sind begrenzt", sagte der österreichische Nationalbank-Gouverneur der "Tiroler Tageszeitung". "Wir sehen ja die Gefahr von Japan, das seit zwei Jahrzehnten niedriges Wachstum, niedrige Inflation und niedrige Zinsen hat." Der Sicherheitsabstand zu einer Deflation sei geringer geworden.
Nach Einschätzung der Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, ist ein QE-Programm der europäischen Währungshüter umso wirksamer, je mehr die Risiken unter den beteiligten Ländern geteilt werden. Das allerdings ist weiter ein Streitpunkt bei der konkreten Ausgestaltung. Denn Weidmann befürchtet unter anderem, dass Deutschland und damit letztlich der hiesige Steuerzahler für einen möglichen Ausfall von Bonds eines anderen Euro-Landes haften muss. Nach früheren Informationen der Nachrichtenagentur Reuters gehört zu den von den Währungshütern geprüften Varianten auch eine, bei der die Länder nur für einen Teil der Risiken gemeinschaftlich haften müssen. Das würde der Bundesbank teilweise entgegenkommen.