Das ging ja schnell. Anfang September machte wiwo.de („Die EZB wird zum Inkassobüro“ ) auf die prekäre Lage des zyprischen Bankensystems aufmerksam. Wir vermuteten damals, dass der Schrott aus zyprischen Bankenbilanzen über ABS-Ankäufe irgendwann in der EZB-Bilanz landen wird. Das passiert nun schneller als gedacht. Die EZB startet von sofort an mit dem Kauf zyprischer Ramschpapiere.
Anlässlich der offiziellen Ankündigung des Programms hieß es zwar noch, die EZB werde nur qualitativ hochwertige Asset Backed Securities (ABS) ankaufen. Doch keine vier Wochen später will EZB-Präsident Mario Draghi auch Ramschanleihen im Tausch gegen frisch gedruckte Euro akzeptieren – ganz ohne Garantien.
Überraschend kommt das nicht. Schließlich geben die Märkte in der Eurozone nicht das benötigte Volumen qualitativ hochwertiger ABS her, zumindest nicht auf kurze Sicht. Das wusste auch die EZB. Die Ausweitung des ABS-Programms auf Ramschanleihen war deshalb ziemlich vorhersehbar. Dieser Markt dürfte dann wohl ausreichen, um die Bilanz der EZB in dem gewünschten Ausmaß um gut 1000 Milliarden Dollar auf über 3000 Milliarden Euro auszuweiten. Die Alternativwährung Gold in Euro wird wohl nicht mehr stark nachgeben.
Reaktionen auf EZB-Zinssenkung und Wertpapierkäufe
Die EZB senkt im Kampf gegen eine drohende Deflation ihren Leitzins überraschend auf das neue Rekordtief von 0,05 Prozent. Der Schlüsselsatz für die Versorgung des Bankensystems mit Zentralbankgeld lag seit Juni bei 0,15 Prozent. In der anschließenden Pressekonferenz kündigte Zentralbank-Chef Mario Draghi zudem an, dass die EZB sogenannte Kreditverbriefungen (ABS) sowie Pfandbriefe aufkaufen wird. Ökonomen und Händler sagten dazu in ersten Reaktionen:
"Die EZB hatte ihr Pulver schon viel zu früh verschossen und die Zinsen zu weit gesenkt. Jetzt ist sie in der Liquiditätsfalle. Sie kann an dieser Stelle kaum noch etwas tun. Bedauerlicherweise deutet sich auch der Kauf von Anleihen durch die EZB an. Damit würde sie das Investitionsrisiko der Anleger übernehmen, wozu sie nicht befugt ist, weil es sich dabei um eine fiskalische und keine geldpolitische Maßnahme handelt. Eine solche Politik ginge zulasten der Steuerzahler Europas, die für die Verluste der EZB aufkommen müssten."
"Die Notenbanker argumentieren mit den zuletzt schwachen Konjunkturdaten und der geringen Inflation. Auch die gesunkenen mittelfristigen Inflationserwartungen wurden thematisiert. In diesem Zusammenhang wurden auch die Projektionen für Wachstum und Inflation in diesem Jahr nach unten angepasst. Insofern bleibt die Tür für weitergehende Lockerungsschritte weit geöffnet."
"EZB-Chef Mario Draghi hat geliefert, warum auch immer. Für uns ist das nicht gerade eine glückliche Maßnahme. Alle Banken und Vermögensverwalter sind jetzt in noch größerer Not, ihre Liquidität irgendwo zu parken, ohne bestraft zu werden. Auch die Sparer dürften sich verraten fühlen und werden immer mehr ins Risiko gezwungen."
"Die ökonomischen Wirkungen der heutigen Zinssenkung sind vernachlässigbar. Die EZB hat sich im Vorfeld der Zinsentscheidung unnötig unter Zugzwang gesetzt. Die Gefahr, dass der Euro-Raum in eine gefährliche Deflationsspirale rutscht, ist nach wie vor gering. Auf der anderen Seite wächst mit den Aktivitäten der EZB die Gefahr, dass die in mehreren Euro-Ländern dringend erforderlichen Wirtschaftsreformen weiter verschleppt werden."
"Das ist überraschend. Eine Zinssenkung hatte niemand so richtig auf der Agenda - zumal sie konjunkturell nichts bringt und verpuffen wird. Die Deflationsgefahr lässt sich damit nicht vertreiben. Dazu bedarf es eher eines Anleihen-Kaufprogramms. Die EZB signalisiert mit ihrer Maßnahme aber, dass sie sehr weit zu gehen bereit ist. Das ist eher ein symbolischer Schritt. Die realwirtschaftlichen Folgen sind bescheiden."
"Beginnt jetzt auch EZB-Chef Mario Draghi damit, Geld aus dem Hubschrauber abzuwerfen? Wenn Draghi um 14.30 Uhr mit der Pressekonferenz beginnt, wissen wir mehr. Dann wird sich zeigen, ob die Zinssenkung nur das Vorspiel für weiteres geldpolitisches Feuerwerk sein wird oder er damit den bequemsten Weg wählte, um unkonventionelle Maßnahmen in großem Stil ohne Gesichtsverlust abzuwenden."
"Das war schon eine heftige Überraschung, mit einer Zinssenkung hat kaum einer gerechnet. Bei der Senkung der Zinsen handelt es sich zwar nur noch um Nuancen, aber das ist ein wichtiges Signal an die Kapitalmärkte, dass die EZB bereit ist, alles zu tun, was nötig ist."
Im Kern geht es bei dem ABS-Programm erneut um die Rettung insolventer europäischer Banken und Staaten, weniger um die Stimulierung der Konjunktur durch eine Ankurbelung der Kreditnachfrage. Die Schuldenorgie von Staaten, Unternehmen und Privaten sowie die heillos zerstörten Bankenbilanzen haben den monetären Transmissionsmechanismus in der Eurozone längst und auf Dauer außer Kraft gesetzt. Auch das wissen die Frankfurter Währungshütchenspieler. Der einzige Zweck der unkonventionellen Maßnahmen der EZB war und ist es, ein mehrere Hundert Milliarden Euro schweres Sicherheitsnetz für zyprische, griechische und andere de facto unverkäufliche und wertlose Kreditforderungen in der Eurozone aufzuspannen und – wenn irgend möglich – in der eigenen Bilanz zu vergraben. Die EZB wird zur größten Bad Bank der Welt.
Systemrisiken dramatisch erhöht
Die Vorstellung, dass sich durch den Tausch von Geld gegen Ramsch die Kreditvergabe und -nachfrage in der Eurozone ankurbeln lässt, ist natürlich naiv. Das neue Programm wird ebenso wenig funktionieren wie alle nutzlosen und fehlgeschlagenen Programme zuvor – aus den gleichen strukturellen Gründen. Sollte die EZB einen Verbriefungsboom in der Eurozone auslösen, würden sich die Risiken bei einem Ankauf der Papiere durch Versicherungen und andere Kapitalsammelstellen von den Banken hin zu weniger informierten Marktteilnehmern verschieben. Das passierte in den USA vor dem Ausbruch der Finanzkrise. Schon mit ihren bisherigen Maßnahmen hat die EZB die Systemrisiken in der Eurozone dramatisch erhöht. Mit LTRO hat sie die größte Staatsanleihenblase der Welt aufgepumpt. TLTRO und das ABS-Programm werden ebenfalls unbeabsichtigte Konsequenzen nach sich ziehen.
Aktuelles Beispiel ist etwa der negative Zins von minus 0,2 Prozent auf die von den Geschäftsbanken bei der EZB gehaltenen Reserven. Kaum eingeführt, zeigt der Geldmarkt in der Eurozone schon Auflösungserscheinungen. Davor warnt auch Standard & Poor’s. Die Ratingagentur erwägt die Herabstufung von europäischen Geldmarktfonds, sollten die Mittelabflüsse zunehmen. Normalerweise können Anleger mit Geldmarktfonds kein Geld verlieren. Aber die EZB macht’s möglich. In europäischen Geldmarktfonds stecken rund 500 Milliarden Euro, überwiegend angelegt in qualitativ hochwertigen kurz laufenden Unternehmens- und Staatsschulden. Fällt diese Finanzierungsquelle aus, wird sich das Wirtschaftswachstum in der Eurozone noch weiter abschwächen.