Seit Jahren kämpft die Europäische Zentralbank (EZB) mit zahlreichen Geldspitzen dafür, dass die Kreditvergabe in der Euro-Zone wieder ansteigt. Vor allem vom billigen Geld für Europas Banken erhofft sich EZB-Chef Mario Draghi einen Impuls für die Kreditvergabe und damit für Konjunktur und Inflation.
Zuletzt sah es laut Zahlen der Notenbank auch so aus, als würden Deutschlands Banken zumindest wieder etwas mehr Kredite vergeben. Nun deuten Zahlen der KfW allerdings in eine andere Richtung. Für die EZB kommt die Nachricht zur Unzeit, denn die Kritik an der ultra-expansiven Politik der Zentralbank wird immer lauter.
Die KfW schätzt in ihrem aktuellen Kreditmarktausblick, dass die Vergabe von neuen Darlehen im ersten Quartal 2016 um vier Prozent gegenüber dem Vorjahr zurückgehen dürfte. Ein Grund ist, dass die Banken im entsprechenden Vorjahreszeitraum ihr Kreditgeschäft mit Unternehmen deutlich gesteigert haben. Schon im vierten Quartal des vergangenen Jahres ist die Kreditvergabe um 2,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr geschrumpft, im Vorquartal waren es sogar 3,3 Prozent.
Das sagen Ökonomen zur EZB-Entscheidung
"Die Beschleunigung der Anleihekäufe unter dem 'Quantitative Easing' erhöht die Dosis des Gifts. Die Notenbanken werden zu den größten Gläubigern ihrer Staaten, das ankaufbare Material wird immer knapper. Die Maßnahmen sind Ausdruck einer verzweifelten Suche der EZB nach immer mehr Stimulanz für die Märkte. Dabei sind diese gar nicht mehr nötig. Besser wäre gewesen, erst die Wirkung der ohnehin schon expansiven Schritte vom Dezember abzuwarten."
"Die EZB-Entscheidung stellt die Banken auch in Zukunft vor massive Probleme und ist ein Risiko für die Finanzmarktstabilität in Europa. Gerade die kleinen und mittelgroßen Banken sowie Sparkassen, die von Fristentransformationen leben, werden durch die Entscheidung benachteiligt. Sie werden in Zukunft Probleme haben, profitabel zu arbeiten. Zudem ist nicht klar, ob die Strategie der EZB aufgeht. Die Banken könnten gezwungen sein, die Zinsen zu erhöhen, um profitabel zu arbeiten. Dies würde der Strategie der EZB widersprechen. Es ist unwahrscheinlich, dass die Maßnahmen der EZB mittelfristig zu nachhaltigem Wachstum führen."
"Die Kritik an der Linie der Notenbank sollte nicht überzogen werden. Denn solange für deutsche Finanzanlagen eine Sicherheitsprämie gezahlt wird, ist das extrem niedrige Zinsniveau hierzulande eben auch und vor allem ein Ergebnis der hohen Unsicherheit über die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Europa."
"Das ist eine gute Nachricht für die Börsianer und für die Schuldenländer im Süden. Für die deutsche Bevölkerung ist das katastrophal. Die Sparer werden enteignet. Das ist eine gigantische Umverteilung von Norden nach Süden. Politisch birgt das einen großen Sprengsatz, wenn man das mit der Flüchtlingskrise zusammentut. Das ist brandgefährlich.
Im Ergebnis wird das nichts bringen. Man lullt die Schuldenstaaten ein. Sie machen keine Reformen, die Produktivität steigt nicht. Nord und Süd driften so noch weiter auseinander. Die deutschen Exporteure können vielleicht kurzfristig ein bisschen profitieren, weil der Euro weiter geschwächt wird. Auf der anderen Seite ist es aber schlecht für die Importeure."
"Die EZB hat die von ihr selbst geschürten Erwartungen noch übertroffen und den geldpolitischen Expansionsgrad mit zahlreichen Instrumenten weiter ausgeweitet. Allerdings ist dies nicht positiv zu beurteilen. Sobald die Kapitalmärkte etwas mehr Volatilität zeigen, 'verspricht' Mario Draghi, dass er 'etwas tun werde'. Die EZB 'tut' tatsächlich sehr viel. Aber es ist nicht Aufgabe der EZB, für dauerhaft steigende Kurse zu sorgen. Auch bewegt sich die EZB mittlerweile außerhalb ihres Mandats. Die Grenzen zur direkten Staatsfinanzierung werden fließend. Die Entscheidung von heute war ein weiterer Schritt in die falsche Richtung."
"Die EZB hat mit der Verkündung ihrer Maßnahmen massiv überrascht und im Prinzip alles auf den Markt geworfen, was sie kann. Dabei geht sie technische und politische Risiken ein. Mit diesen Maßnahmen nimmt die EZB in Kauf, Marktblasen zu erzeugen, wenn die Liquidität in der blutleeren konjunkturellen Entwicklung nicht in die Realwirtschaft findet."
"Die heute vom EZB-Rat beschlossenen Maßnahmen zur Ausweitung der Liquidität werden nicht die gewünschte Wirkung zeigen. Noch mehr billiges Geld und noch niedrigere Zinsen führen nicht zu mehr Investitionen. Im Gegenteil: Die bizarre Welt der negativen Zinsen verunsichert Unternehmen und Verbraucher, belastet die Altersvorsorge und erhöht die Anreize zur Verschuldung, sowohl der Unternehmen und Privathaushalte, als auch der Staaten. Ohnehin malt die EZB mit ihrer Konjunktureinschätzung unnötig schwarz."
"Die EZB sendet mit ihrer Entscheidung ein starkes Signal, dass sie alle ihre Instrumente entschieden nutzen wird, um ihrem Mandat der Preisstabilität wieder gerecht zu werden. Die weitere Expansion der Geldpolitik ist massiv und überraschend. Das anhaltende Risiko der Deflation und die sich abschwächende europäische Wirtschaft lassen der EZB keine andere Wahl, als ihre Geldpolitik weiter zu lockern. Es sollte nicht vergessen werden - bei allen Sorgen in Deutschland über die Nebenwirkungen der expansiven Geldpolitik -, dass es Aufgabe der EZB ist, Geldpolitik für die Eurozone und nicht nur für Deutschland zu machen. Die Entscheidung der EZB bedeutet eine noch längere Phase der Nullzinspolitik in Europa."
"Die EZB hat sich noch tiefer in die Sackgasse manövriert. Mit größter Sorge sieht die Versicherungswirtschaft, dass die Notenbank ihre schon extrem expansive Geldpolitik noch weiter signifikant gelockert hat. Denn immer mehr Anzeichen deuten darauf hin, dass diese monetären Anreize ihr Ziel nicht erreichen. Besonders deutlich wurde das seit Jahresbeginn auf den Aktienmärkten oder beim Euro-Wechselkurs, wo Verluste beziehungsweise eine Aufwertung im krassen Gegensatz zur Haltung der Geldpolitik standen.
Schlimmer noch: Mittlerweile ist sogar zu befürchten, dass diese unorthodoxe Geldpolitik das Gegenteil von dem bewirkt, was eigentlich beabsichtigt ist - nämlich mehr Wachstum und eine höhere Inflation. Die Notenbank läuft daher zunehmend Gefahr, von den Risiken und Nebenwirkungen ihres Tuns eingeholt zu werden."
"Doktor Draghi hat die Dosis deutlich erhöht. Wie von uns befürchtet, hat er die Geldpolitik der EZB leider deutlicher gelockert als die meisten erwartet hatten. Diese Geldpolitik wird kaum in der Realwirtschaft ankommen. Denn die Nebenwirkungen sind massiv. Das Produktivitätswachstum lässt nach, weil auch unrentable Investitionen wegen der niedrigen Zinsen attraktiv erscheinen. Es steigt das Risiko, dass es in Deutschland am Immobilienmarkt zu Überhitzungen kommt. Außerdem wird der Anreiz für Euro-Länder gesenkt, notwendige Reformen durchzusetzen. Alles in allem verschlechtert diese lockere Geldpolitik langfristig die Rahmenbedingungen für die Unternehmen, so dass sie sich heute schon zurückhalten. Die Medizin wird nicht wirken, auch wenn man die Dosis erhöht."
"Die EZB hat heute abermals ein umfangreiches Maßnahmenbündel auf den Weg gebracht und setzt ihren immer expansiveren Kurs fort. So wurden die Zinssätze zurückgenommen und die QE-Maßnahmen ausgeweitet. Wir gehen davon aus, dass eine Abkehr von diesem Pfad - zumindest bis auf weiteres - nicht in Sicht ist."
"Es handelt sich um eine weitere massive geldpolitische Lockerung. Angesichts der bisherigen Erfahrungen mit QE (geldpolitische Lockerung) halte ich es für unwahrscheinlich, dass die Ausweitung der Anleihekäufe die Inflation nachhaltig erhöhen wird. Der Markt für Unternehmensanleihen ist in Europa zu klein, als dass sich aus deren Einbeziehung ein großer Effekt ergeben dürfte. Gleichzeitig setzt die weitere Senkung der Einlagenzinsen die Erträge der Banken noch stärker unter Druck.
Ich halte Instrumente wie die langfristigen Kreditlinien (TLTROs), die direkt an der Kreditvergabe ansetzen, für sinnvoller als den weiteren Ankauf von Anleihen. Allerdings hängt auch hier die Wirksamkeit davon ab, ob es überhaupt eine Kreditnachfrage gibt, die zu befriedigen ist."
"Die EZB beschleunigt ihre geldpolitische Irrfahrt. Die heutige Zinsentscheidung der EZB verstärkt den Abwärtsstrudel für die Sparer. Langfristige Altersvorsorgekonzepte werden ebenso entwertet, wie zinsabhängige Institute in risikoreichere Geschäfte gedrängt werden. Es ist absolut unnötig, die deutsche Kreditwirtschaft zu einer umfangreicheren Kreditvergabe zu nötigen."
"Mit ihren heute verkündeten Maßnahmen ist die EZB ihrem monetären Kurs extrem treu geblieben. Allerdings zeugt das große Bündel an Maßnahmen von einer enormen Nervosität seitens der obersten Währungshüter. Denn auch sie müssen sich eingestehen, dass ihre Geldpolitik bislang die Wirkung verfehlt hat. Die Bilanz ist ernüchternd: So ist es der EZB nicht einmal gelungen, die am leichtesten von ihr zu beeinflussenden Indikatoren in die gewünschte Richtung zu drehen."
"Es ist vollkommen unnötig, dass die Europäische Zentralbank (EZB) den Geldhahn heute noch weiter aufgedreht hat. Die Notenbank überzeichnet die Deflationsrisiken. Der Geldmarkt im Euro-Raum ist durch die EZB-Politik faktisch stillgelegt. Wirtschaftsreformen sowie die Sanierung von Bankbilanzen werden verschleppt. Doch auf all diesen Feldern hat die EZB heute noch einmal eine Schippe draufgelegt."
Die heutige Entscheidung der europäischen Zentralbank, den Leitzins auf Null Prozent zu senken, hat gravierende Folgen für sämtliche Formen der kapitalgedeckten Vorsorge. Nach Ansicht des Bund der Versicherten e. V. (BdV) steht die private Versicherungswirtschaft vor einem Wendepunkt. Alle Formen der privaten Vorsorge basieren darauf, dass an den Kapitalmärkten Zinsen erwirtschaftet werden können. „Sowohl die private Krankenversicherung als auch die private Altersvorsorge haben bei dauerhaftem Null-Zins keine Zukunft“, erklärt Axel Kleinlein, Vorstandssprecher des BdV.
Ganz anders lesen sich dagegen Zahlen, welche die EZB für die Euro-Zone verkündete. Im Februar stieg die Kreditvergabe so deutlich wie seit Jahren nicht mehr. Banken vergaben 0,9 Prozent mehr Darlehen an Unternehmen als im Vorjahresmonat. Auch im Januar hatte das Plus bei 0,6 Prozent gelegen.
Kredite außerhalb des Wohnungsbaus schwach
Für die deutschen Banken fielen die Daten ebenfalls befriedigend aus. "Die kürzlich von der EZB veröffentlichten Zahlen zur Kreditvergabe der deutschen Banken waren recht gut. Das ist erfreulich, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Kreditmarkt gespalten bleibt", sagt Jörg Zeuner, Chefvolkswirt der KfW. Das Geschäft mit Wohnungsbaukrediten in Deutschland und mit Unternehmen aus anderen Euroländern expandiere zwar. "Im Gegensatz dazu erwarten wir, dass die Vergabe neuer Kredite an heimische Unternehmen außerhalb des Wohnungsbaus schwach bleibt".
Immobiliendarlehen verschönern also die Zahlen der EZB. Sich darauf zu verlassen, könnte aber gefährlich werden. Angesichts der Niedrigzinsen setzen Sparer auf Betongold und wollen um jeden Preis die niedrigen Baufinanzierungszinsen nutzen. Entsprechend driftet der Immobilienmarkt in Deutschland immer weiter auseinander, gerade in gefragten Lagen in den Großstädten warnen Experten schon länger vor einer Blase.
In luxuriösen Lagen werden mittlerweile Quadratmeterpreise von bis zu 19.000 Euro fällig. Ein unverfälschtes Bild der Kreditvergabe liefern daher die Zahlen der KfW, bei denen Immobilienkredite herausgerechnet wurden.
Ab Juni beginnt die EZB mit der Ausgabe von extrem günstigen Krediten für Banken. Die besten Konditionen erhalten dabei Institute, deren Kreditvergabe sich zuletzt verbessert hat. Auch hier sollen Immobilienkredite nicht berücksichtigt werden.
Viel Kritik aus der Politik
Gründe für die schwächelnde Kreditvergabe gibt es einige. Zum einen horten die Unternehmen dank des billigen Geldes viele Eigenmittel. Zum anderen lastet weiterhin eine hohe Unsicherheit auf der Investitionslust der Unternehmen. Ökonom Zeuner erwartet, dass die Investitionsbereitschaft erst wieder wachsen wird, wenn in den Unternehmen das Vertrauen in die globale Konjunktur zurückkehrt. Zuletzt signalisierten Stimmungsindikatoren dagegen Sorgen um die Realwirtschaft.
Für EZB-Chef Mario Draghi sind die neuen Prognosen der EZB keine gute Nachricht. Der Italiener verkündete im März ein wahres Feuerwerk an Maßnahmen, um dem EZB-Inflationsziel von knapp unter zwei Prozent endlich näher zu kommen. Unter anderem senkte die Zentralbank den Leitzins auf null Prozent und weitere das Anleihekaufprogramm, welches im März vergangenen Jahres startete, um 20 auf 80 Milliarden Euro monatlich aus.
Die neuen Kreditprognosen könnten einmal mehr darauf hindeuten, dass das billige Geld der Notenbank ins Leere läuft und sein Ziel verfehlt. Zumindest in Deutschland wurde die Kritik an der EZB-Politik zuletzt immer lauter. Mehrere Politiker der Union riefen zuletzt zu einer Kehrtwende der Geldpolitik auf. „Die EZB fährt einen hoch riskanten Kurs und nimmt enorme Risiken in Kauf“, warnte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) in der „Welt am Sonntag“.
"Angriff auf das Vermögen der Deutschen"
„Der Wegfall der Zinsen produziert eine klaffende Lücke in der Altersvorsorge der Bürger.“ Gleichzeitig werde ein „fatales Signal“ gesetzt: „Nämlich, dass Vorsorge und Sparen keinen Sinn haben.“ Bayerns Finanzminister Markus Söder klagte gegenüber dem "Spiegel": "Die Nullzinspolitik ist ein Angriff auf das Vermögen von Millionen Deutschen, die ihr Geld auf Sparkonten und in Lebensversicherungen angelegt haben“.
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble äußerte jüngst die Befürchtung, dass "die Auswirkungen der Geldpolitik in Deutschland zunehmend euroskeptische Bestrebungen nähren". Offenbar will der Finanzminister auf dem anstehenden Treffen mit seinen Kollegen der G-20 für einen Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik werben.
Immer lauter wird die EZB-Kritik auch seitens der Banken. Der neue Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken (BdB), Hans-Walter Peters, sagte der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“, die Zinspolitik der EZB zerre an den Zinsmargen, der Haupteinnahmequelle vieler Institute.
Sparkassen-Präsident Georg Fahrenschon warf der EZB ebenfalls vor, mit ihrer Nullzinspolitik das Finanzsystem zu gefährden und das Vertrauen in den Euro zu zerstören.
Die EZB wehrt sich verbal gegen die Kritik. Ratsmitglied Benoit Coeure erklärte auf einer Notenbankkonferenz am vergangenen Donnerstag in Frankfurt, er würde sich auch freuen, wenn nicht mehr alle Probleme der Euro-Zone auf dem Tisch der EZB landen würden. Sein Kollege, EZB-Chefvolkswirt Peter Praet, erklärte, die viele Kritik an der EZB sei manchmal schwer zu schlucken.