Die Europäische Zentralbank will „mit allen Mitteln“ („whatever it takes“, O-Ton Mario Draghi) den Euro retten. Im Notfall werde man, so kündigten es die Notenbanker auf dem Höhepunkt der Euro-Krise 2012 an, zur Stabilisierung der Gemeinschaftswährung unbegrenzt Staatsanleihen einzelner Euro-Länder kaufen, wenn diese einem Reformprogramm zustimmen. Allein die Ankündigung reichte, um für Ruhe an den Anleihemärkten zu sorgen und die Renditen der Euro-Krisenländer purzeln zu lassen.
Doch ist das Kaufprogramm mit dem Namen „Outright Monetary Transactions“ (OMT) mit dem EU-Recht vereinbar? In Karlsruhe geklagt hatten der CSU-Politiker Peter Gauweiler, die frühere Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD), die Bundestagsfraktion der Linken und der Verein „Mehr Demokratie“. Fast 12.000 weitere Kläger schlossen sich an. Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar 2014 Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des OMT-Programms geäußert und bat den EuGH um eine Einschätzung, ob das Vorgehen der EZB mit dem Europarecht vereinbar ist.
Die Antwort der Luxemburger Richter folgte am Dienstagmorgen: Ja, das OMT-Programm ist EU-konform. „Das Programm überschreitet nicht die währungspolitischen Befugnisse der EZB und verstößt nicht gegen das Verbot der monetären Finanzierung von Mitgliedstaaten“, teilte der Gerichtshof mit. Das Urteil kann dramatische Folgen haben: für Deutschland, für Griechenland, für Europa. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Das Anleihenkaufprogramm OMT der Europäischen Zentralbank
Im September 2012 traf der EZB-Rat eine weitreichende Entscheidung: Die Notenbank werde notfalls unbegrenzt Staatsanleihen von Euroländern kaufen, um den Euro zu retten. Geknüpft wurde das Programm „Outright Monetary Transactions“ (OMT), das nie genutzt wurde, an bestimmte Bedingungen.
Die EZB wird nur tätig, wenn das betroffene Land unter einen Euro-Rettungsschirm (EFSF/ESM) geschlüpft ist und folglich strenge Reformvorgaben erfüllen muss.
Der EZB-Rat kann die Geschäfte jederzeit einstellen, wenn die Ziele erreicht sind oder die Länder Reformen nicht wie vereinbart umsetzen.
Anders als beim früheren Anleihenkaufprogramm SMP verzichtet die EZB auf eine vorrangige Gläubigerstellung. Das heißt: Ein Schuldenschnitt würde sie genauso treffen wie andere Gläubiger.
Das Volumen des OMT ist theoretisch unbegrenzt. Die EZB kann die Notenpresse anwerfen und Staatspapiere kaufen.
Wie ist das Urteil zu erklären?
Eine Überraschung ist der Luxemburger Urteilsspruch nicht. Die Richter zeigten sich in der Vergangenheit oft großzügig, wenn es um Kompetenzen von EU-Institutionen geht. Signifikante Einwände gegen Rettungsbemühungen in der Euro-Schuldenkrise hatten sie nie geäußert; der europäischen Rettungsschirm ESM etwa wurde Ende 2012 höchstrichterlich gebilligt.
Im Januar diesen Jahres kam der EuGH-Generalanwalt und Gutachter Pedro Cruz Villalon in einer ausführlichen Analyse zu dem Schluss, dass das OMT-Programm grundsätzlich mit EU-Recht vereinbar sei. Nach Auffassung Villalons muss die EZB in der Geldpolitik „über ein weites Ermessen verfügen“.
Dem schlossen sich die Richter an. Ihrem Urteil zufolge ist die EZB ermächtigt, "das OMT-Programm zu beschließen". Das Programm gehöre "zum Bereich der Währungspolitik", heißt es zur weiteren Begründung. Die EZB habe garantiert, Staatsanleihen auf den Sekundärmärkten anzukaufen. Damit werden Anleihen nicht direkt gekauft, sondern erst, wenn sich bereits ein Marktpreis gebildet hat. Mit dieser Zusage verhindere die EZB, dass das in den EU-Verträgen geregelte Verbot der sogenannten monetären Finanzierung von Mitgliedstaaten umgangen werde, so das Urteil.
Der Gerichtshof stellte zudem fest, dass das OMT-Programm auch nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt. Die Richter gaben der EZB allerdings vor, die von ihr selbst gesetzten Regeln auch einzuhalten: Die Notenbank müsse - falls sie das OMT-Programm jemals nutze - eine Mindestfrist einhalten und dürfe ihre Entscheidung zum Ankauf oder das Volumen nicht vorher ankündigen.
Schlechte Karten für Griechenland
Ist das Urteil der Todesstoß für die Griechen?
Für die griechische Regierung kommt das Urteil – gesprochen ausgerechnet von einem Griechen, dem Vorsitzenden Richter Vassilios Skouris – zur Unzeit. Droht die „Syriza“-Administration doch der Eurozone ständig mit verheerenden Folgen und einem Dominoeffekt, sollte Griechenland aus der Gemeinschaftswährung ausscheiden. Jene Ansteckungsgefahr aber könnte die Europäische Zentralbank nun im Keim ersticken.
Mit dem Luxemburger Urteilsspruch kann die EZB nach einem möglichen Grexit auf den Anleihemärkten aktiv werden und ganz gezielt zum Beispiel italienische Staatsanleihen – Italien dürfte an dem Märkten das größte Misstrauen nach einer Griechenland-Pleite entgegengebracht werden – aufkaufen. Die Renditen dürften nur kurz nach dem „Grexit“ nach oben schießen und über die Marke von drei oder vielleicht vier Prozent klettern, ehe die EZB eingreifen und das Zinsniveau drücken könnte.
Das größte Ass auf der Hand der pokernden Griechen – die Drohung, dass eine Pleite die gesamte Eurozone erschüttern könnte – wirkt plötzlich wie eine ziemlich mäßige Herz-Neun oder Karo-Zehn: nichts, wovor man Angst haben müsste. Kurzum: Die Ausgangslage Griechenlands in den Verhandlungen mit den Geldgebern über weitere Kredite – am Donnerstag startet die nächste Runde auf dem Treffen der Euro-Finanzminister – hat sich deutlich verschlechtert.
Die Reaktionen zum OMT-Programm
"Draghi hatte viel von den Ankündigungen schon vorweg genommen, deshalb geben die Märkte jetzt etwas nach. Deshalb sind seine Ankündigungen aber nicht als negativ zu werten. Mit einem Kursfeuerwerk war ja nicht unbedingt zu rechnen. Die erhofften Punkte hat Draghi alle ziemlich klar angesprochen.
Wenn die Regierungen der betroffenen Länder, wie zum Beispiel Spanien, das Angebot der EZB annehmen sollten und die Reformen unter den Rettungsschirmen einleitet, dann ist das ein koordiniertes Vorgehen, das zur Beruhigung der Märkte für längere Zeit geeignet ist. Jetzt hängt es von der Politik und nicht von der EZB ab, das Angebot anzunehmen.
Es wäre nicht gut gewesen, wenn die EZB Grenzen in Umfang oder Zinshöhen beim Anleihenkaufprogramm aufgezeigt hätte, denn dagegen wäre wieder spekuliert worden. Das Wort 'unbegrenzt' ist von der EZB als Zeichen der Stärke gewählt worden."
"Die EZB hat den großen Revolver zwar gefunden, aber es fehlt an Munition, um eine langfristig positive Auswirkung auf die Märkte zu tätigen. Obwohl heute nützliche Maßnahmen verabschiedet wurden, die sicherlich kurzfristig eine Erleichterung für die Peripheriestaaten bringen, hinkt die Kapazität der EZB und des europäischen Parlaments hinterher, um Spanien UND Italien aus der Klemme zu helfen. Ein Bail-Out von Spanien UND Italien sollte erst dann möglich sein, wenn die EZB und Deutschland erkennen, dass als effektives Instrument nur eine quantitative Lockerung im Stil der amerikanischen Notenbank in Frage kommt."
"Mit einer begrenzten Ankaufpolitik der EZB im Gegenzug zu stringent überwachten Reformen in den entsprechenden Staaten kann Zeit für dringend notwendige Wirtschaftsreformen gewonnen werden. Auf keinen Fall dürfen diese Maßnahmen der EZB aber dazu führen, dass eine bestehende Problemlage nur verlängert und die Rechnung, gerade für Deutschland, am Ende noch umfangreicher wird. Deshalb muss das Volumen der Aufkäufe begrenzt bleiben."
"Beim Ankaufprogramm für Staatsanleihen ist große Vorsicht angebracht. Interventionen verpuffen, wenn die nötigen Reformen in den Mitgliedsstaaten ausbleiben. Bislang zeigt sich die EZB aller Risiken bewusst und sollte ihrer vorsichtigen Linie treu bleiben. Das gilt auch für all die Rufe, die EZB solle mehr Fed und weniger Bundesbank sein. Die Krise hat gezeigt, dass die Finanzmärkte Reformbemühungen durchaus honorieren.
Für die Reformen und die Staatsfinanzierung sind vor allem die einzelnen Staaten selbst verantwortlich. Der Ruf nach der EZB ist verständlich - ihm vorschnell nachzugeben allerdings nicht. Die Politik ist gerade hier gefordert, den Druck auf die EZB durch Strukturreformen und Haushaltskonsolidierung in den Ländern zu mildern, damit diese wieder ihren eigentlichen Job machen kann: Die Geldwertstabilität sichern."
"Die EZB hat genau das beschlossen, was in den letzten Tagen vermehrt diskutiert und auch teilweise eingepreist wurde. Insofern ist der Beschluss der EZB keine echte Neuerung. Unmittelbare Inflationsgefahren werden durch die Sterilisierung des Anleihekaufprogramms (MOT) in Grenzen gehalten, dennoch besteht für die EZB im Vergleich zu Repo-Geschäften ein erhöhtes Ausfallrisiko."
"Die Entscheidung der EZB, den Leitzins unverändert zu lassen ist richtig. Sie hat durch die vergangene Zinssenkung bereits anerkannt, dass sie den konjunkturellen Einbruch im Euroraum zur Kenntnis genommen hat. Das Problem des Euroaums liegt aber derzeit nicht in der Höhe des Leitzinses, sondern im fehlenden Vertrauen in dessen Stabilität.
Dem kann die EZB nur mit dem angekündigten unbegrenzten Aufkaufprogramm für Staatsanleihen begegnen. Dies ist der entscheidende Schritt, der die Voraussetzungen für eine Überwindung der Krise schafft. Nur mit diesem Programm im Rücken werden die Märkte ihre Spekulation gegen den Euro aufgeben und es dank sinkender Risikoaufschläge den Staaten ermöglichen, ihre Schulden auf Dauer wieder aus eigener Kraft - also ohne die Hilfe eines Rettungsschirms - zu bedienen."
"Die Zentralbank ist nicht dazu da, Staatsfinanzierung zu betreiben. Anleihekäufe sind der falsche Weg, da sie dringend notwendige Sparbemühungen und Strukturänderungen in den öffentlichen Haushalten der hoch verschuldeten Länder unterlaufen und Anreize nehmen. Die Europäische Zentralbank darf nicht in die Rolle einer Ersatzregierung gedrängt werden."
"Die Entscheidung der EZB ist nicht überraschend. Sie kauft nun unbegrenzt Staatsanleihen von Krisenstaaten und nähert sich damit der monetären Staatsfinanzierung. Zudem akkumuliert sie mit den Käufen zusätzliche Bilanzrisiken. Da sie zusätzlich die Sicherheiten-Erfordernisse für ihre Liquiditätsoperationen weiter senkt, können die Ausfallrisiken im Prinzip unbegrenzt zunehmen. Selbst wenn das Bundesverfassungsgericht gegen den Rettungsschirm ESM entscheiden würde, ist eine klare Begrenzung der deutschen Haftungssumme in weite Ferne gerückt.
Indem die EZB ihre Käufe daran knüpft, dass die Staaten ein EU-Anpassungsprogramm durchlaufen, mischt sie sich deutlich in die Finanzpolitik ein. Umgekehrt wird der politische Druck groß sein, die Käufe lange beizubehalten. Wie strikt die von der EZB betonte Konditionalität tatsächlich ist, könnte sich demnächst am Fall Griechenlands entscheiden, wenn die Troika dort nicht nachhaltige Staatsfinanzen vorfinden und das Rettungsprogramm dennoch ausweiten sollte."
"Der Schritt ist getan. Jetzt muss die Politik liefern. Es fällt auf, dass sich die Märkte halten, obwohl das meiste erwartet worden war. Wenn wir dieses Niveau verteidigen können, wäre das ein positives Zeichen."
"Über die heute berichteten Maßnahmen bin ich zwar nicht sehr glücklich, aber sie waren kaum zu umgehen und sind letztendlich das Ergebnis der institutionellen Entwicklung im Euroraum. Würde die EZB nicht in den Markt eingreifen, könnten einzelne Länder weiter in die Abwärtsspirale gedrängt werden - bis hin zum Austritt. Insofern kann es nur ein Zusammenspiel geben zwischen Geldpolitik und Reformbemühungen, um ein solche Entwicklung zu verhindern. Es gibt derzeit genau zwei Optionen: Entweder wir finden den Weg zu einer teilweise Vergemeinschaftung der Schulden oder die bereits sichtbaren Zentrifugalkräfte in der Währungsunion verstärken sich weiter.
Die Märkte hatten die Ergebnisse weitgehend vorweg genommen, so dass auch für die kommenden Tage keine deutlicheren Marktreaktionen zu erwarten sind. Alle Augen sind nun auf das Bundesverfassungsgericht gerichtet. Hier erwarte ich keine negativen Überraschungen."
"Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Die Zinssenkung kommt in einer der nächsten Sitzungen. Die EZB hält ihr Pulver trocken. Sie wird später nachlegen.
"Die EZB hat alle wichtigen Zinssätze wie erwartet unverändert gelassen. Wir sind der Ansicht, dass eine konventionelle Lockerung der Geldpolitik keine angemessene Antwort auf die Probleme ist, denen der EZB-Rat derzeit gegenübersteht. Deutschland benötigt derzeit keine Zinssenkung - und Spanien würde eine Zinssenkung nicht retten."
Zahlt Deutschland die Rechnung für das OMT-Programm?
Klar ist: Durch das Aufkaufprogramm könnten Verluste für die Zentralbank entstehen, schließlich ist es ja möglich, dass Kredite nicht zurückgezahlt werden können. Etwaige Verluste müsste die EZB in ihrer Bilanz verbuchen. Im ersten Schritt könnten so die Gewinne, die die EZB an die nationalen Notenbanken weiterleitet, geringer ausfallen.
Dass die EZB pleitegehen kann, ist ausgeschlossen. Im Zweifelskann sie einfach neues Geld ausgeben. Dieses Geld wird als Verbindlichkeit in der Bilanz ausgewiesen, hat aber praktisch keine Folgen. Der deutsche Steuerzahler wird also kaum Geld in die EZB nachpumpen müssen.
Hinzu kommt: Die EZB will perspektivisch die möglichen Staatsanleihenkäufe auf Rechnung der nationalen Notenbanken tätigen. Jede nationale Zentralbank haftet dann für den eigenen Staat. Geringe Gewinne denn wirkliche Belastungen dürften die Folgen des OMT-Programms – sollte es jemals angewendet werden – sein.
Wie reagiert das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe?
Das Bundesverfassungsgericht hat sich eine letzte Entscheidung bewusst vorbehalten. Die Karlsruher müssen – sofern sie dazu aufgerufen werden – klären, ob der OMT-Beschluss auch mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar ist. Im Raum steht etwa die Frage, inwieweit OMT in die Haushaltsrechte des Bundestags eingreift.
Das Verfassungsgericht könne hierüber erst „auf Basis der Beantwortung der Vorlagefragen“ entscheiden, also nach dem Urteil des EuGH, erklärte Karlsruhe. „Ein solches letztes Entscheidungsrecht hat das Bundesverfassungsgericht, da das Europarecht in Deutschland nicht etwa deswegen verbindlich ist, weil europäische Organe es beschlossen haben. Vielmehr entscheidet stets das deutsche Parlament – mit verfassungsändernder Mehrheit – über die Verbindlichkeit in Deutschland“, erklärt die Commerzbank in einem Schriftstück zum EuGH-Prozess. Der EuGH kläre folglich nur die europarechtliche Frage, gibt dann den europarechtlich geklärten OMT-Beschluss an das Bundesverfassungsgericht zurück. Dieses entscheidet dann die Verfassungsfrage.
Fragen zum EZB-Anleihekaufprogramm
Die Preisentwicklung im Euroraum bereitet den Notenbankern Sorgen. Im Januar und Februar sind die Verbraucherpreise auf Jahressicht jeweils gesunken. Deshalb befürchten die Währungshüter eine Deflation, also einen anhaltenden Preisrückgang quer durch die Warengruppen. Das könnte dazu führen, dass Verbraucher und Unternehmen Anschaffungen in Erwartung weiterer Preissenkungen verschieben und die Wirtschaft erlahmt. Dies will die EZB mit den Käufen verhindern: „Das Programm wird dazu beitragen, die Inflation wieder auf ein Niveau zurückzuführen, das mit dem Ziel der EZB im Einklang steht.“ Die EZB strebt eine Teuerungsrate von knapp zwei Prozent an.
Die EZB kauft Wertpapiere am Sekundärmarkt - also nicht direkt bei Staaten, sondern bei Banken oder Versicherern. So wird Geld ins Finanzsystem geschleust. Die EZB erwartet, dass das Programm den Unternehmen in ganz Europa helfen wird, leichter Zugang zu Krediten zu erhalten. Das werde die Investitionstätigkeit steigern, Arbeitsplätze schaffen und das Wirtschaftswachstum insgesamt stützen. Dafür druckt sich die EZB quasi selbst Geld, die Menge (Quantität) des Zentralbankgeldes nimmt zu, daher der Begriff „Quantitative Lockerung“ (QE).
Die EZB will Papiere von Eurostaaten, von internationalen Institutionen wie der Europäischen Investitionsbank (EIB) oder von nationalen Förderbanken wie der KfW kaufen. Bei Staatsanleihen gilt: Gekauft werden nur Papiere von guter Bonität. Anleihen, die von Ratingagenturen als Ramsch gewertet werden, sind außen vor - es sei denn, das Land befindet sich in einem Sanierungsprogramm der EU und erfüllt alle Sparauflagen. Die Überprüfung des Programms muss abgeschlossen sein. Damit ist im Moment ausgeschlossen, dass die EZB Anleihen Zyperns oder Griechenlands kauft.
Bislang vor allem wie ein Schmierstoff für Aktienmärkte. Da viele andere Geldanlagen wegen der niedrigen Zinsen kaum noch etwas abwerfen, stecken Investoren ihr Geld in Aktien. Die Kurse steigen. Experten warnen, dass dadurch Blasen an den Aktienmärkten entstehen können. Ähnliches gilt für Immobilienmärkte. Bundesbank-Vorstand Andreas Dombret sieht die Gefahr, dass viele Anleger auf der Suche nach Rendite zu Vermögenswerten greifen, die sie bisher wegen deren Risiken gemieden haben: „Die Entstehung von Preisblasen wird damit wahrscheinlicher, und das könnte zu einem Problem für die Stabilität des Finanzsystems werden.“
Bundesbank-Präsident Jens Weidmann befürchtet, dass der Reformeifer in Krisenländern nachlassen könnte - schließlich wird das Schuldenmachen billiger, wenn die EZB als großer Akteur auf den Plan tritt. Kritiker werfen der EZB zudem vor, sie finanziere letztlich Staatsschulden mit der Notenpresse. Das mache die Notenbank abhängig von den Staaten und gefährde ihre Unabhängigkeit.
Im Prinzip schon, doch sie hat ihr Pulver weitgehend verschossen. Das gilt vor allem für die Zinsen, mit denen die Geldpolitiker eigentlich die Inflation steuern: Eine Zinssenkung verbilligt Kredite und soll Konjunktur wie Inflation antreiben. Doch die EZB hat den Leitzins schon auf 0,05 Prozent gesenkt, also quasi abgeschafft. „Gäbe es noch Spielraum, so hätte die EZB die Leitzinsen bereits gesenkt. Da diese Möglichkeit aber nicht mehr bestand, war das Programm zum Ankauf von Vermögenswerten das einzig geeignete Instrument, mit dessen Hilfe die EZB ein ähnliches Ergebnis erreichen konnte“, erklärt die EZB.
Die Karlsruher Richter hatten bereits eine Reihe von Bedenken gegen OMT genannt. „Droht jetzt Chaos?“, fragen daher die Experten der Commerzbank.
Fakt ist: Die Karlsruher Richter könnten im Extremfall die Bundesregierung zur Neuverhandlung der EU-Verträge auffordern. Es gebe aber auch Kritik an dieser Auffassung: „Das Europarecht würde gesprengt werden, falls sich alle nationalen Verfassungsgerichte das letzte Recht zur Auslegung vorbehalten.“ Wann sich die Karlsruher Richter mit dem EuGH-Urteil beschäftigen werden, steht noch nicht fest.
Rückenwind für QE
Was bedeutet das Urteil für das QE-Programm der EZB?
Zunächst einmal nichts. Denn die Luxemburger Richter entscheiden nicht über das gewaltige Kaufprogramm („Quantitative Lockerung“ oder englisch „Quantitative Easing/QE“), das seit dem 9. März 2015 läuft und das die Konjunktur anschieben soll. Sollte sich der EuGH hinter das nie genutzte OMT-Programm von 2012 stellen, würde er damit der EZB aber auch für das aktuelle Programm Rückenwind geben. Und selbst wenn das Bundesverfassungsgericht das OMT abschließend anders beurteilen würde, meint Commerzbank-Ökonom Michael Schubert: „In jedem Fall wären verfassungsrechtliche Bedenken gegen das OMT wohl nicht auf das aktuelle QE-Anleihenkaufprogramm übertragbar.“
Beim QE-Programm investiert die EZB monatlich 60 Milliarden Euro vor allem in Staatsanleihen und das bis Ende September 2016. Das frische Zentralbankgeld soll idealerweise über Geschäftsbanken als Kredit bei Unternehmen und Verbrauchern ankommen. Das könnte Investitionen und Konsum anschieben und soll so auch die Inflation anheizen. Auch an dem QE-Programm gibt es viel Kritik: So planen Medienberichten zufolge die drei Unternehmer Heinrich Weiss, Patrick Adenauer und Jürgen Heraeus eine Verfassungsbeschwerde.
Die Krisenpolitik der Euro-Zone seit 2010
Erstmals muss mit Griechenland ein Euro-Mitglied ein internationales Hilfsprogramm beantragen, um eine Staatspleite zu verhindern. Das Programm erweist sich später als nicht ausreichend.
Ein „Europäischer Rettungsschirm“ wird beschlossen. Er soll sicherstellen, dass die Zahlungsfähigkeit der einzelnen Euroländer gesichert wird. EFSF („Europäische Finanzstabilisierungsfazilität“) reichte Kredite aus, für die die Euro-Länder mit Garantien bürgten. Der maximale Garantieanteil Deutschlands betrug rund 211 Milliarden Euro. Unter diesen Rettungsschirm schlüpfen - neben Griechenland - später auch Portugal, Irland, Spanien und Zypern.
Parallel beginnt die Europäische Zentralbank (EZB) erstmals mit dem Kauf von Staatsanleihen. Das „Securities Markets Programme“ (SMP) sollte den Anstieg der Renditen von Anleihen angeschlagener Euroländer bremsen. Das SMP läuft bis Anfang 2012.
Die EZB verspricht, notfalls unbegrenzt Anleihen von Krisenstaaten zu erwerben. Gekauft wurde nach dem Programm „Outright Monetary Transactions“ (OMT) bisher noch keine Anleihe. Dennoch beschäftigt der OMT-Beschluss den Europäischen Gerichtshof (EuGH).
Mit dem ESM („Europäischer Stabilisierungsmechanismus“) geht ein neuer Rettungsschirm an den Start, der den EFSF dauerhaft ablöst. Wichtigster Unterschied der beiden Einrichtungen: Der ESM erhält eigenes Kapital, zu dem die Euroländer beitragen. Der deutsche Kapitalanteil beträgt 21,7 Milliarden Euro; hinzu kommen Garantien mit einem deutschen Anteil von 168,3 Milliarden Euro.
Wieder eine Premiere bei der EZB: Die Notenbank beschließt ein riesiges Anleihekaufprogramm - im Fachjargon „Quantitative Easing“ (QE). Damit sollen Milliarden und Abermilliarden Euro in die Wirtschaft gepumpt werden - als Stütze für die schwache Konjunktur.
Wieso drehen die Börsen nicht ins Plus?
Für die Börse ist die EuGH-Entscheidung keine Beruhigungspille. Der Aktienmarkt war vor allem aufgrund der drohenden Staatspleite Griechenlands mit einem Minus in den Tag gestartet, zumal auch die Vorgaben aus den USA und Tokio bereits in diese Richtung gewiesen hatten. Der deutsche Aktienindex Dax fiel daher im frühen Handel um 0,7 Prozent. Bis zur Urteilsverkündung vergrößerte sich der Verlust gegenüber dem Vortag auf 1,7 Prozent, der Dax sank auf nur noch 10.798 Punkte. Auch der europäische Auswahlindex EuroStoxx 50 verlor im Vergleich zu Montag 1,5 Prozent. Der Euro legte hingegen gegenüber dem US-Dollar leicht zu. Am Morgen stieg die Gemeinschaftswährung zeitweise auf mehr als 1,132 US-Dollar.
Nach der Urteilsverkündung des EuGH blieben harsche Marktreaktionen aus, insgesamt tendierten die Märkte jedoch freundlicher. Das Dax-Minus verringerte sich auf rund ein Prozent, der EuroStoxx lag nur noch 0,9 Prozent im Minus. Der Euro-Wechselkurs reagiert zunächst freundlich, setzte kurz darauf jedoch erneut zur Talfahrt an und fiel auf 1,126 Dollar.
Offenbar hatten Anleger mit dem Segen der Richter für das OMT-Programm der EZB gerechnet und konzentrierten sich weiter auf Signale einer möglichen Staatspleite Griechenlands sowie die befürchtete erste Zinsanhebung seit neun Jahren durch die US-Notenbank Fed. Nach zweitägigen Beratungen der Notenbank hoffen die Börsenteilnehmer am morgigen Mittwoch, wenn Notenbankchefin Janet Yellen vor die Mikrofone tritt, auf neue Hinweise zum Zeitplan (mit Material von dpa und Reuters).
.