Die Märkte reagierten euphorisch. Kurz nachdem Mario Draghi, der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), am Donnerstag ein gigantisches Ankaufprogramm für Staatsanleihen verkündet hatte, schoss der Dax auf ein Allzeithoch. Mit dem Einstieg in das „Quantitative Easing“ hat die EZB ein neues Kapitel expansiver Geldpolitik eröffnet.
Was plant die EZB?
Die Währungshüter werden ab März Wertpapiere im Wert von 60 Milliarden Euro monatlich von den Banken erwerben und diesen dafür Zentralbankgeld gutschreiben. Die Käufe werden von der EZB koordiniert und von den nationalen Notenbanken umgesetzt. In dem Gesamtumfang von 60 Milliarden Euro sind forderungsbesicherte Wertpapiere (ABS) und Pfandbriefe enthalten, die die EZB bereits seit Ende 2014 kauft und weiter erwerben wird.
Zusätzlich kaufen die Notenbanken demnächst auch Staatsanleihen und Anleihen staatlicher Agenturen wie der Europäischen Investitionsbank. Das Kaufprogramm läuft bis mindestens September 2016 und spült so 1140 Milliarden Euro an frischem Geld in das Finanzsystem.
Sollte die Inflation bis dahin noch unter dem Zielwert der EZB von knapp zwei Prozent liegen, folgen weitere Käufe. Die Aufteilung nach der Nationalität der Emittenten orientiert sich am Anteil der Länder am Kapital der EZB. Griechische Staatsanleihen wird die EZB jedoch erst erwerben, wenn sich Athen mit der Troika auf ein neues Hilfsprogramm geeinigt hat.
Insgesamt entfallen von den zusätzlichen Käufen zwölf Prozent auf Anleihen staatlicher Agenturen. Diese werden von den nationalen Notenbanken erworben, die Risiken daraus aber teilen sich alle Länder. Weitere acht Prozent der Käufe nimmt die EZB auf ihre Bilanz.
Damit gilt für 20 Prozent der Wertpapierkäufe eine gemeinsame Haftung. Für die übrigen 80 Prozent haften die jeweils kaufenden nationalen Zentralbanken. Die Laufzeiten der Anleihen liegen zwischen 2 und 30 Jahren. Dabei verzichtet die EZB auf den Status als bevorrechtigte Gläubigerin.
Welche Motive stecken hinter den Anleihekäufen?
Die Euro-Hüter begründen ihre Entscheidung mit ihrem Mandat, die Preise stabil zu halten. Unter Preisstabilität versteht die EZB eine Inflationsrate von knapp unter zwei Prozent. Derzeit liegt die Euro-Teuerung jedoch bei minus 0,2 Prozent. Zudem sind die mittelfristigen Inflationserwartungen an den Märkten auf rund 1,5 Prozent gesunken.
Die EZB argumentiert, dies könne in eine Deflationsspirale münden. Dem will sie entgegenwirken, indem sie den Banken Wertpapiere abkauft. Mit dem erhaltenen Zentralbankgeld sollen die Banken Kredite vergeben, um Konjunktur und Inflation anzukurbeln.
Kritiker argwöhnen jedoch, das Deflationsargument sei vorgeschoben. „Eine ausgeprägte Deflation liegt nicht vor und ist auch nicht zu erwarten“, sagt Christoph Schmidt, Vorsitzender des Sachverständigenrats (SVR). Die negative Teuerungsrate ist in erster Linie auf den Absturz des Ölpreises zurückzuführen.
Eine Deflation, also ein allgemeiner Rückgang des Preisniveaus, droht nur, wenn die Geldmenge schwächer als die Gütermenge wächst. Derzeit aber expandiert die Euro-Geldmenge M1 (Bargeld und Sichteinlagen) mit rund drei Prozent deutlich stärker als die Güterproduktion (rund ein Prozent). Daraus leitet sich mittelfristig ein Anstieg des Preisniveaus um etwa zwei Prozent ab.
Die Krisenpolitik der Euro-Zone seit 2010
Erstmals muss mit Griechenland ein Euro-Mitglied ein internationales Hilfsprogramm beantragen, um eine Staatspleite zu verhindern. Das Programm erweist sich später als nicht ausreichend.
Ein „Europäischer Rettungsschirm“ wird beschlossen. Er soll sicherstellen, dass die Zahlungsfähigkeit der einzelnen Euroländer gesichert wird. EFSF („Europäische Finanzstabilisierungsfazilität“) reichte Kredite aus, für die die Euro-Länder mit Garantien bürgten. Der maximale Garantieanteil Deutschlands betrug rund 211 Milliarden Euro. Unter diesen Rettungsschirm schlüpfen - neben Griechenland - später auch Portugal, Irland, Spanien und Zypern.
Parallel beginnt die Europäische Zentralbank (EZB) erstmals mit dem Kauf von Staatsanleihen. Das „Securities Markets Programme“ (SMP) sollte den Anstieg der Renditen von Anleihen angeschlagener Euroländer bremsen. Das SMP läuft bis Anfang 2012.
Die EZB verspricht, notfalls unbegrenzt Anleihen von Krisenstaaten zu erwerben. Gekauft wurde nach dem Programm „Outright Monetary Transactions“ (OMT) bisher noch keine Anleihe. Dennoch beschäftigt der OMT-Beschluss den Europäischen Gerichtshof (EuGH).
Mit dem ESM („Europäischer Stabilisierungsmechanismus“) geht ein neuer Rettungsschirm an den Start, der den EFSF dauerhaft ablöst. Wichtigster Unterschied der beiden Einrichtungen: Der ESM erhält eigenes Kapital, zu dem die Euroländer beitragen. Der deutsche Kapitalanteil beträgt 21,7 Milliarden Euro; hinzu kommen Garantien mit einem deutschen Anteil von 168,3 Milliarden Euro.
Wieder eine Premiere bei der EZB: Die Notenbank beschließt ein riesiges Anleihekaufprogramm - im Fachjargon „Quantitative Easing“ (QE). Damit sollen Milliarden und Abermilliarden Euro in die Wirtschaft gepumpt werden - als Stütze für die schwache Konjunktur.
Das legt den Verdacht nahe, dass es der EZB mit dem Kauf von Staatsanleihen vielmehr darum geht, die Banken und Regierungen in Südeuropa zu entlasten. Die Finanzinstitute dort haben sich auf Geheiß ihrer Regierungen mit Staatsanleihen eingedeckt. Mit dem Kauf der Anleihen übernimmt die EZB die Ausfalllast. Zugleich drückt sie die Effektivzinsen der Papiere und damit die Refinanzierungskosten der Regierungen nach unten. Die Euro-Hüter werden so zum Dienstleister der Finanzminister – und gefährden ihre Unabhängigkeit.
Wie wirken die Anleihekäufe auf die Wirtschaft?
Studien für die USA und Großbritannien zeigen, dass die Anleihekäufe der Notenbanken dort Wirtschaft und Inflation angekurbelt haben. Die EZB hofft auf ähnliche Wirkungen in Europa. In Schätzungen kommt sie zu dem Ergebnis, eine Ausweitung der Bilanzsumme um eine Billion Euro werde das Wirtschaftswachstum in der Euro-Zone um 0,2 bis 0,8 Prozentpunkte erhöhen.
Anleihekäufe können die Wirtschaft über mehrere Kanäle beeinflussen. Besonders bedeutsam ist der Vertrauenseffekt. Großvolumige Käufe von Anleihen sollen den Bürgern und Unternehmern signalisieren, dass die Zentralbank die Wirtschaft nicht in eine Deflationsspirale abstürzen lässt. Da es derzeit jedoch keine echte Deflationsgefahr gibt, die Bürger vielmehr vom Rückgang der Energiepreise profitieren, ist zweifelhaft, ob die neue Geldschwemme Vertrauen schafft. Vielmehr könnte der Eindruck von Aktionismus entstehen.
Ein weiterer Wirkungskanal sind die Zinsen. Sinkende Renditen für Staats- und Unternehmensanleihen verringern die Finanzierungskosten für die Wirtschaft. Allerdings sind die Zinsen für Staatsanleihen in der Euro-Zone bereits seit dem Rettungsversprechen von EZB-Chef Draghi im Sommer 2012 deutlich gesunken.
So kann sich Italien nach Berechnungen des Thinktanks Open Europe derzeit für vier Prozentpunkte weniger Zinsen verschulden als damals. Spanien muss für seine Kredite fünf, Portugal sogar sieben Prozentpunkte weniger zahlen.
Ökonomen zu den Staatsanleihenkäufen der EZB
"Die EZB sollte keine Staatspapiere kaufen, denn dann würde sie die Zinsen der Wackelstaaten weiter drücken und sie anregen, sich noch mehr zu verschulden. Der Kauf wird von Artikel 123 des EU-Vertrages zu Recht verboten, weil er einer verbotenen Monetisierung der Staatsschulden gleichkommt. Man sollte auch bedenken, dass selbst die US-Notenbank Fed keine Staatspapiere von Gliedstaaten kauft. Kalifornien, Illinois oder Minnesota stehen am Rande der Pleite, und doch hilft die Fed ihnen nicht mit Krediten. Es ist schlichtweg unakzeptabel, dass die EZB meilenweit über die Fed hinausgeht, obwohl Europa den gemeinsamen Bundesstaat noch gar nicht gegründet hat. Die EZB-Politik treibt die Staaten Europas in Gläubiger-Schuldner-Verhältnisse und wird längerfristig nichts als Streit und Spannungen erzeugen."
"Die EZB verfehlt ihr Mandat der Preisstabilität und ist dabei, ihr wichtigstes Gut zu verlieren: ihre Glaubwürdigkeit. In letzter Instanz ist der Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB ein notwendiges Übel, um ihrem Mandat gerecht zu werden. Je zögerlicher die EZB handelt, desto weniger effektiv ihre Geldpolitik und desto höher die Risiken."
"Ich sehe derzeit keine Deflationsgefahren, die Staatsanleihekäufe rechtfertigen könnten. Ohne die notwendigen Anpassungsprozesse in den Peripherieländern und dem ökonomisch vorteilhaften Ölpreisrückgang läge die aktuelle Inflationsrate in etwa um einen Prozentpunkt höher, als es derzeit der Fall ist. Die Jagd nach Rendite und die Risikobereitschaft an den Finanzmärkten würden weiter erhöht, der Anreiz, fürs Alter langfristig zu sparen, würde weiter vermindert."
"Seit Anfang 2009 ist der Zuwachs der Geldmenge M3 mit durchschnittlich 1,7 Prozent weit hinter dem Referenzwert von 4,5 Prozent zurückgeblieben, den einst EZB und Bundesbank für sinnvoll hielten. Entsprechend schwächelt die Konjunktur, während der Preisauftrieb auch ohne Öl gefährlich nah an die Deflation herankommt. In dieser Lage muss die EZB mit einer Offenmarktpolitik gegenhalten, also mit dem Kauf von Anleihen auf dem offenen Markt, der auch Staatsanleihen umfassen sollte."
"Es ist nicht notwendig, nun auch noch mit breit angelegten Staatsanleihekäufen auf den Ölpreisverfall zu reagieren. Die EZB sollte nicht nur auf Deflationsrisiken schauen, sondern auch berücksichtigen, dass sie als Käufer von Staatsanleihen den Regierungen zusätzlichen Anreiz gäbe, notwendige Strukturreformen aufzuschieben."
Eine substanzielle Belebung des Kreditgeschäfts und der Konjunktur ist bisher dennoch ausgeblieben. Daher stellt sich die Frage, ob Anleihekäufe daran etwas ändern können, zumal der Spielraum für weitere Zinssenkungen begrenzt ist. Dazu kommt, dass sich die Unternehmen in der Euro-Zone zu 85 Prozent über ihre Hausbanken finanzieren. Deren Kreditbedingungen aber werden von den Anleihekäufen der EZB kaum beeinflusst. Anders in den USA: Dort stillen die Unternehmen ihren Kredithunger vornehmlich durch eigene Anleihen. Daher gelang es der Fed, die Finanzierungskosten der Unternehmen zu senken.
Wie Mario Draghi die Märkte mit Geld fluten kann
Die EZB könnte massenhaft Anleihen aufkaufen und selbst das Risiko in ihre Bücher nehmen. Sie würde sich dabei am Anteil der jeweiligen Notenbanken am Grundkapital der EZB orientieren, das je nach Bevölkerungszahl und Wirtschaftsleistung der Länder unterschiedlich hoch ist. Draghi vermied es bislang, eine konkrete Zahl für die Käufe ins Schaufenster zu stellen. Doch strebt der EZB-Rat eine Ausweitung der Bilanz auf das Volumen von Anfang 2012 an. Damit müsste die EZB rund eine Billion Euro in die Hand nehmen. Mit dem eingeleiteten Kauf von Hypothekenpapieren und Pfandbriefen dürfte diese Summe nicht annähernd zu erreichen sein. Allerdings könnte die EZB das Spektrum um private Anleihen erweitern.
Kritiker befürchten, dass solide wirtschaftende Länder am Ende für Krisenstaaten haften müssen. Sollten Papiere - etwa von Griechenland - ausfallen, müsste auch der deutsche Steuerzahler bluten. Der niederländische Notenbank-Chef Klaas Knot sieht darin ein Problem: "Wir müssen vermeiden, dass über die Hintertür der EZB-Bilanz Entscheidungen getroffen werden, die den demokratisch legitimierten Politikern der Euroländer vorbehalten bleiben müssen." Ein möglicher Ausweg aus diesem Dilemma wäre eine Ankauf durch die jeweiligen Notenbanken der Euro-Staaten.
Draghi könnte den Bedenken gegen eine zu große Haftungsübernahme durch die EZB mit einer Kompromisslösung Rechnung tragen: Die EZB würde demnach nur einen Teil der Ankäufe übernehmen und es den Notenbanken der einzelnen Länder überlassen, bis zu einem gewissen Limit auf eigenes Risiko am Markt aktiv zu werden. Damit würde Draghi womöglich die Bundesbank und andere Gegner besänftigen. Ob eine solche Aufgabenteilung aber reibungslos funktioniert und ein ausreichend großes Volumen zustande kommt, ist offen. Genauso wie die Frage, ob die EZB am Donnerstag tatsächlich bereits den Knopf drücken wird.
Bei diesem Modell verbliebe das Risiko bei den einzelnen Staaten. Die EZB würde den Beschluss fassen, dass die Zentralbanken von Portugal bis Finnland Papiere erwerben können und ihnen dafür ein Limit setzen. Der französische Notenbank-Chef Christian Noyer ist für "eine prozentuale Obergrenze". Private Anleger müssten weiterhin die Mehrheit der Anleihen halten. Dies würde theoretisch bedeuten, dass die einzelnen Notenbanken insgesamt bis zu 49,9 Prozent der ausstehenden Verbindlichkeiten des jeweiligen Landes aufkaufen dürften. Da der Schuldenberg der Euro-Staaten insgesamt mehr als neun Billionen Euro groß ist, wäre ein solches Programm jedoch überdimensioniert. Die Obergrenze, falls sie überhaupt kommuniziert wird, dürfte weit niedriger liegen.
Würde sich die EZB selbst heraushalten, könnte ihr dies als Führungsschwäche ausgelegt werden: "Das wäre keine einheitliche Geldpolitik mehr", warnt der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher. Auch ein Modell, wonach sich die Ankäufe an der Summe der ausstehenden Staatsanleihen eines Landes orientieren würde, gilt als heikel: Dann wäre Italien, das Heimatland Draghis, der größte Nutznießer. Rund ein Viertel aller ausstehenden Staatsanleihen im Euro-Raum wurde von der Regierung in Rom ausgegeben.
Gegner des Programms wie etwa Bundesbank-Chef Jens Weidmann befürchten, dass die EZB den Staaten "Fehlanreize" bieten würde, ihre Reformanstrengungen zu vermindern. Denn durch den massenhaften Ankauf von Verbindlichkeiten der Staaten kommen diese Länder am Markt günstiger an frisches Geld.
Ökonom Alexander Krüger vom Bankhaus Lampe erwartet zum Beispiel, dass sich der EZB-Rat noch nicht auf Umfang, Dauer und Zusammensetzung der Käufe durchringen kann. Dann würde die EZB nur einen Grundsatzbeschluss fassen. Draghi müsste im März alle Details nachliefern.
Bis dann dürfte sich auch der Rauch nach den Parlamentswahlen in Griechenland verzogen haben. Denn das von IWF und EU vor der Pleite gerettete Land könnte eine Kehrtwende einleiten. Die zentrale Frage lautet: Bleibt es auf Reformkurs oder kommt es zur Abkehr von den Rettungsprogrammen? Ein Ankauf griechischer Staatspapiere dürfte sich bei der letzten Variante für die EZB verbieten.
Große Unterschiede zwischen Euro-Land und den USA gibt es auch mit Blick auf die Wirkungen der Anleihekäufe auf die Vermögen der Bürger. In den USA haben die Niedrigzinsen Anleger verstärkt in Aktien getrieben. Da die Amerikaner 82 Prozent ihrer Nettovermögen in Aktien und anderen Finanzanlagen geparkt haben, lässt die Börsenhausse ihr Vermögen kräftig wachsen. In der Euro-Zone halten die Bürger lediglich 49 Prozent ihrer Nettovermögen in Finanzaktiva. Daher profitieren sie weniger von der Hausse, die die Anleihekäufe an den Märkten auslöst.
Das wissen auch die Euro-Hüter. Sie setzen daher auf eine Abwertung des Euro als wichtigsten Wirkungskanal ihrer Politik. Schon die Aussicht auf Anleihekäufe hat den Euro gegenüber dem Dollar seit Frühjahr 2014 um rund 17 Prozent abwerten lassen. Die Talfahrt dürfte sich in den nächsten Monaten fortsetzen. Das verbilligt die Exporte und verteuert die Importe. Die Folge: Konjunktur und Inflation ziehen an. Offen ist jedoch, wie andere Notenbanken reagieren. Lockern sie ihre Geldpolitik ebenfalls, droht ein weltweiter Währungskrieg.
Welche Gefahren bergen die Anleihekäufe?
Der Kauf von Staatsanleihen verstößt nach Ansicht vieler Experten gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung. Zwar verbietet Artikel 123 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ausdrücklich nur den „unmittelbaren Erwerb“ von Schuldtiteln der Regierungen durch die Zentralbanken.
Die EZB will daher Anleihen nur am Sekundärmarkt, also von den Banken, kaufen. Ökonomisch läuft aber auch dies auf die Staatsfinanzierung mit der Notenpresse hinaus. Kaufen die Geschäftsbanken mit dem frisch geschöpften Geld der Zentralbank neue Staatsanleihen, fließt das Geld an den Staat, der damit seine Haushaltsdefizite finanziert.
So kommt das Geld in den Wirtschaftskreislauf und treibt die Preise mittelfristig in die Höhe. Ein Teil des frisch geschöpften Geldes dürfte zudem von den Banken in die Finanz- und Immobilienmärkte fließen und gefährliche Blasen produzieren.
Außerdem lenken die künstlich nach unten gedrückten Zinsen Geld in Investitionsprojekte, die sich unter normalen Bedingungen nicht lohnen. Die EZB stößt dadurch Fehlinvestitionen an. Dazu kommt, dass die Niedrigzinsen die Reformanreize in den Krisenländern ersticken.
Warum sollten sich die Regierungen in Italien, Frankreich und Griechenland dem Protest ihrer Wähler gegen notwendige Sparmaßnahmen aussetzen, wenn die EZB die Löcher in den Staatshaushalten eh mit der Notenpresse finanziert? „Geldpolitik kann Strukturreformen nicht ersetzen“, warnt Ökonom Schmidt.
Der Instrumentenkasten der EZB
Wieder einmal blicken alle in der Euro-Schuldenkrise gebannt nach Frankfurt: die Europäische Zentralbank (EZB) soll es im schlimmsten Fall richten, mit ihrem Waffenarsenal intervenieren und so die Märkte beruhigen.
Zwar streiten sich Fachleute und auch die Notenbanker darüber, wie effektiv, nachhaltig und sinnvoll weitere Eingriffe der Geldpolitik sein könnten. Fest steht aber: die EZB verfügt als einzige Institution über einen gut gefüllten und theoretisch sofort verfügbaren Instrumentenkasten, um angeschlagenen Banken unter die Arme zu greifen, Institute im Falle eines Bank-Runs mit neuem Geld zu schützen und durch ihre Finanz-Feuerkraft wenigsten für eine begrenzte Zeit wieder für Ruhe an den Börsen zu sorgen.
Vor dem Wahlsonntag in Athen verdichten sich die Hinweise, dass die großen Notenbanken der Welt gemeinsame Sache machen und die Märkte mit Geld fluten könnten. Eine solche konzertierte Aktion der Zentralbanken gab es schon einmal - Anfang Oktober 2008, kurz nach dem Kollaps der US-Investmentbank Lehman Brothers, als weltweit die Finanzströme zu versiegen drohten.
In der aktuellen Krise rund um die Überschuldung Griechenlands und anderer südeuropäischer Länder hat bislang nur die britische Notenbank angekündigt, dass sie gemeinsam mit dem Finanzminister in London ihren Bankensektor zum Schutz vor aus Griechenland überschwappenden Problemen mit 100 Milliarden Pfund fluten will. Am Freitag sorgte die Aussicht auf eine gemeinsame Intervention der Zentralbanken zunächst für bessere Stimmung an den Märkten.
Aktuell steht der Leitzins der EZB bei 0,75 Prozent. Die Notenbank kann natürlich jederzeit an dieser in normalen Zeiten wichtigsten Stellschraube drehen. Es wäre ein historischer Schritt: Noch nie seit Bestehen der Währungsunion lag der Schlüsselzins für die Versorgung des Finanzsystems mit frischer Liquidität niedriger.
Allerdings nimmt der Spielraum der EZB mit jeder weiteren Leitzinssenkung ab - schließlich rückt damit die Nulllinie unausweichlich immer näher. Fachleute erwarten, dass die Zentralbank mit weiteren Zinssenkungen so lange wartet wie nur möglich, um für den Fall echter Verwerfungen an den Finanzmärkten, wie sie etwa bei einem Austritt der Griechen aus der Euro-Zone drohen würden, noch Munition zu haben.
Um den Geldmarkt wiederzubeleben und die Banken zu ermuntern mehr Geld in den Wirtschaftskreislauf zu geben, könnte die EZB den sogenannten Einlagezinssatz auf null Prozent kappen. Dieser Zins liegt aktuell bei 0,25 Prozent. Das bedeutet, dass Banken, die keiner anderen Bank mehr trauen, immerhin noch Geld dafür bekommen, wenn sie überschüssige Liquidität bei der EZB parken. Bei einem Einlagezinssatz von einem Prozent entfiele der Anreiz dies zu tun. Doch ob die Banken der EZB den Gefallen tun oder das Geld dann lieber horten, ist fraglich. Aktuell parken sie jedenfalls knapp 800 Milliarden Euro in Frankfurt.
Im Dezember und im Februar ist es der EZB gelungen, mit zwei jeweils drei Jahre laufenden Refinanzierungsgeschäften die Gemüter der Banker wenigstens für eine Zeit lang zu beruhigen. Damals sicherten sich die Geldhäuser insgesamt rund eine Billion Euro bei der Zentralbank zum Billigtarif von nur einem Prozent.
Einige Experten glauben, dass weitere langlaufende Geschäfte dieser Art das durch die Unsicherheit über die Zukunft der Euro-Zone untergrabene Vertrauen wieder zurückbringen könnten. Die Banken, die sich um den Jahreswechsel bei der EZB bedient haben, sind allerdings ohnehin bis mindestens Ende 2014 abgesichert. Außerdem kann jede Bank darüber hinaus bei den wöchentlichen Hauptrefinanzierungsgeschäften der Notenbank aus dem Vollen schöpfen.
Damit den Banken die Sicherheiten nicht ausgehen, die diese als Pfand bei den Refinanzierungsgeschäften mit der Notenbank stellen müssen, kann die EZB weitere Erleichterungen bei den Anforderungen beschließen. Sie kann dabei auch selektiv nach Ländern vorgehen, um gezielter zu helfen. Allerdings sind Erleichterungen bei den Sicherheiten immer auch ein Politikum, weil dadurch die Risiken steigen, die die Zentralbank durch die Refinanzierung in ihrer Bilanz ansammelt. Im Fall der Fälle müssten diese von den Steuerzahlern der Mitgliedsländer getragen werden.
Die EZB hat seit Mai 2010 Staatsanleihen hoch verschuldeter Euro-Länder für mehr als 200 Milliarden Euro gekauft. Das im Fachjargon SMP (Securities Markets Programme) genannte Programm ist wegen seiner möglichen Nebenwirkungen in Deutschland und einigen anderen nord- und mitteleuropäischen Ländern umstritten. Es ruht derzeit, kann allerdings jederzeit wieder vom EZB-Rat in Kraft gesetzt werden.
Ob es allerdings noch seine erhofften positiven Wirkungen am Bondmarkt entfalten kann, ist unklar. Wegen der Erfahrungen bei der Umschuldung Griechenlands im Frühjahr dürften wenige private Investoren wie Banken oder Versicherungen der EZB folgen und wieder in den Markt gehen, weil sie fürchten, dass die Zentralbank erneut einen Sonderstatus als Gläubiger durchsetzen könnte, wie sie es im Fall Griechenland getan hat.
Theoretisch kann die EZB neben Staatsanleihen auch andere Arten von Wertpapieren kaufen und auf diese Weise Geld schaffen: zum Beispiel Bankschuldverschreibungen, Aktien und Unternehmensanleihen. Während der Ankauf von Bank Bonds eine durchaus denkbare Möglichkeit wäre, Liquidität bei den Banken zu schaffen, scheinen andere Wege wenig erfolgversprechend. So könnte die EZB wohl schlecht erklären, warum sie etwa Aktien von Banken kauft, nicht aber von Auto- oder Chemiekonzernen. Oder sie setzt sich dem Verdacht aus, der einen Bank mehr Aktien abzukaufen als anderen oder zum Beispiel spanische Institute deutschen oder österreichischen Banken vorzuziehen.
Theoretisch kann die EZB auch ihre Anforderungen an die Mindestreserve der Banken, die diese bei ihr halten müssen, absenken. Sie hat dies um den Jahreswechsel bereits getan und den Satz ihrer gesamten Einlagen, den jede Geschäftsbank bei ihr parken muss, von zwei auf ein Prozent halbiert. Dadurch hatte sie damals eine Summe von rund 100 Milliarden Euro für die Banken freigemacht. Ein solcher Schritt würde es für Banken in Südeuropa, die wohl am ehesten unter einer Kapitalflucht leiden würden, leichter machen, Mittel flüssig zu halten.
Problematisch ist zudem, dass die Anleihekäufe die Ausfallrisiken zwischen einzelnen Ländern umverteilen und eine Gemeinschaftshaftung erzeugen, die gegen das Bail-out-Verbot (Artikel 125 AEUV) verstößt. Daran kann letztlich auch der Kauf von Staatsanleihen auf eigene Rechnung der Notenbank des jeweiligen Landes nichts ändern.
Denn kommt es in einem Land zu einem Schuldenschnitt, muss die Notenbank ihren Bestand an Staatsanleihen abschreiben. Je größer die Verluste im Verhältnis zu ihrem Eigenkapital sind, desto größer wird der Druck, die Notenbank zu rekapitalisieren. Dafür dürften Mittel aus dem Euro-Rettungsfonds ESM fließen, für die in erster Linie die deutschen Steuerzahler bürgen.
Diese tragen als Nettosparer ohnehin die Hauptlast der Anleihekäufe der EZB. Im Schnitt haben sie mehr Geld auf Bankkonten deponiert, als sie Kredite in Anspruch nehmen. Daher treffen sie die Niedrigzinsen besonders heftig. Nach Berechnungen der Allianz Group haben die Deutschen durch die Niedrigzinspolitik in den vergangenen fünf Jahren netto rund 22,8 Milliarden Euro Zinsverluste erlitten.
Die Anleihekäufe der EZB dürften diese Verluste in den nächsten Jahren weiter anschwellen lassen. Böse Überraschungen dürften die Bürger auch erleben, wenn sie ihren Urlaub außerhalb der Euro-Zone verbringen. Der schwache Euro macht den Urlaub im Dollar-Raum nahezu unerschwinglich. Spätestens an der Strandbar dürfte dem letzten Bürger klar werden, dass die Geldschwemme, die Europas Währung retten soll, letztlich den Wohlstand seiner Bürger erodiert.