EZB kauft Staatsanleihen Der Euro wird zur Weichwährung

Durch den Kauf von Staatsanleihen wird die Europäische Zentralbank (EZB) zum Erfüllungsgehilfen der nationalen Regierungen - und der Euro zur Weichwährung. Die vier wichtigsten Fragen und Antworten zur EZB-Entscheidung.

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Bundesbank-Präsident Jens Weidmann und EZB-Chef Mario Draghi Quelle: dpa

Die Märkte reagierten euphorisch. Kurz nachdem Mario Draghi, der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), am Donnerstag ein gigantisches Ankaufprogramm für Staatsanleihen verkündet hatte, schoss der Dax auf ein Allzeithoch. Mit dem Einstieg in das „Quantitative Easing“ hat die EZB ein neues Kapitel expansiver Geldpolitik eröffnet.

Was plant die EZB?

Die Währungshüter werden ab März Wertpapiere im Wert von 60 Milliarden Euro monatlich von den Banken erwerben und diesen dafür Zentralbankgeld gutschreiben. Die Käufe werden von der EZB koordiniert und von den nationalen Notenbanken umgesetzt. In dem Gesamtumfang von 60 Milliarden Euro sind forderungsbesicherte Wertpapiere (ABS) und Pfandbriefe enthalten, die die EZB bereits seit Ende 2014 kauft und weiter erwerben wird.

Zusätzlich kaufen die Notenbanken demnächst auch Staatsanleihen und Anleihen staatlicher Agenturen wie der Europäischen Investitionsbank. Das Kaufprogramm läuft bis mindestens September 2016 und spült so 1140 Milliarden Euro an frischem Geld in das Finanzsystem.

Sollte die Inflation bis dahin noch unter dem Zielwert der EZB von knapp zwei Prozent liegen, folgen weitere Käufe. Die Aufteilung nach der Nationalität der Emittenten orientiert sich am Anteil der Länder am Kapital der EZB. Griechische Staatsanleihen wird die EZB jedoch erst erwerben, wenn sich Athen mit der Troika auf ein neues Hilfsprogramm geeinigt hat.

Insgesamt entfallen von den zusätzlichen Käufen zwölf Prozent auf Anleihen staatlicher Agenturen. Diese werden von den nationalen Notenbanken erworben, die Risiken daraus aber teilen sich alle Länder. Weitere acht Prozent der Käufe nimmt die EZB auf ihre Bilanz.

Damit gilt für 20 Prozent der Wertpapierkäufe eine gemeinsame Haftung. Für die übrigen 80 Prozent haften die jeweils kaufenden nationalen Zentralbanken. Die Laufzeiten der Anleihen liegen zwischen 2 und 30 Jahren. Dabei verzichtet die EZB auf den Status als bevorrechtigte Gläubigerin.

Welche Motive stecken hinter den Anleihekäufen?

Die Euro-Hüter begründen ihre Entscheidung mit ihrem Mandat, die Preise stabil zu halten. Unter Preisstabilität versteht die EZB eine Inflationsrate von knapp unter zwei Prozent. Derzeit liegt die Euro-Teuerung jedoch bei minus 0,2 Prozent. Zudem sind die mittelfristigen Inflationserwartungen an den Märkten auf rund 1,5 Prozent gesunken.

Die EZB argumentiert, dies könne in eine Deflationsspirale münden. Dem will sie entgegenwirken, indem sie den Banken Wertpapiere abkauft. Mit dem erhaltenen Zentralbankgeld sollen die Banken Kredite vergeben, um Konjunktur und Inflation anzukurbeln.

Kritiker argwöhnen jedoch, das Deflationsargument sei vorgeschoben. „Eine ausgeprägte Deflation liegt nicht vor und ist auch nicht zu erwarten“, sagt Christoph Schmidt, Vorsitzender des Sachverständigenrats (SVR). Die negative Teuerungsrate ist in erster Linie auf den Absturz des Ölpreises zurückzuführen.

Eine Deflation, also ein allgemeiner Rückgang des Preisniveaus, droht nur, wenn die Geldmenge schwächer als die Gütermenge wächst. Derzeit aber expandiert die Euro-Geldmenge M1 (Bargeld und Sichteinlagen) mit rund drei Prozent deutlich stärker als die Güterproduktion (rund ein Prozent). Daraus leitet sich mittelfristig ein Anstieg des Preisniveaus um etwa zwei Prozent ab.

Die Krisenpolitik der Euro-Zone seit 2010

Das legt den Verdacht nahe, dass es der EZB mit dem Kauf von Staatsanleihen vielmehr darum geht, die Banken und Regierungen in Südeuropa zu entlasten. Die Finanzinstitute dort haben sich auf Geheiß ihrer Regierungen mit Staatsanleihen eingedeckt. Mit dem Kauf der Anleihen übernimmt die EZB die Ausfalllast. Zugleich drückt sie die Effektivzinsen der Papiere und damit die Refinanzierungskosten der Regierungen nach unten. Die Euro-Hüter werden so zum Dienstleister der Finanzminister – und gefährden ihre Unabhängigkeit.

Wie wirken die Anleihekäufe auf die Wirtschaft?

Studien für die USA und Großbritannien zeigen, dass die Anleihekäufe der Notenbanken dort Wirtschaft und Inflation angekurbelt haben. Die EZB hofft auf ähnliche Wirkungen in Europa. In Schätzungen kommt sie zu dem Ergebnis, eine Ausweitung der Bilanzsumme um eine Billion Euro werde das Wirtschaftswachstum in der Euro-Zone um 0,2 bis 0,8 Prozentpunkte erhöhen.

Aussicht auf Geldflut schwächt Euro: Bilanzsumme der EZB und Euro-Wechselkurs. (zum Vergrößern bitte anklicken)

Anleihekäufe können die Wirtschaft über mehrere Kanäle beeinflussen. Besonders bedeutsam ist der Vertrauenseffekt. Großvolumige Käufe von Anleihen sollen den Bürgern und Unternehmern signalisieren, dass die Zentralbank die Wirtschaft nicht in eine Deflationsspirale abstürzen lässt. Da es derzeit jedoch keine echte Deflationsgefahr gibt, die Bürger vielmehr vom Rückgang der Energiepreise profitieren, ist zweifelhaft, ob die neue Geldschwemme Vertrauen schafft. Vielmehr könnte der Eindruck von Aktionismus entstehen.

Ein weiterer Wirkungskanal sind die Zinsen. Sinkende Renditen für Staats- und Unternehmensanleihen verringern die Finanzierungskosten für die Wirtschaft. Allerdings sind die Zinsen für Staatsanleihen in der Euro-Zone bereits seit dem Rettungsversprechen von EZB-Chef Draghi im Sommer 2012 deutlich gesunken.

So kann sich Italien nach Berechnungen des Thinktanks Open Europe derzeit für vier Prozentpunkte weniger Zinsen verschulden als damals. Spanien muss für seine Kredite fünf, Portugal sogar sieben Prozentpunkte weniger zahlen.

Ökonomen zu den Staatsanleihenkäufen der EZB

Eine substanzielle Belebung des Kreditgeschäfts und der Konjunktur ist bisher dennoch ausgeblieben. Daher stellt sich die Frage, ob Anleihekäufe daran etwas ändern können, zumal der Spielraum für weitere Zinssenkungen begrenzt ist. Dazu kommt, dass sich die Unternehmen in der Euro-Zone zu 85 Prozent über ihre Hausbanken finanzieren. Deren Kreditbedingungen aber werden von den Anleihekäufen der EZB kaum beeinflusst. Anders in den USA: Dort stillen die Unternehmen ihren Kredithunger vornehmlich durch eigene Anleihen. Daher gelang es der Fed, die Finanzierungskosten der Unternehmen zu senken.

Wie Mario Draghi die Märkte mit Geld fluten kann

Große Unterschiede zwischen Euro-Land und den USA gibt es auch mit Blick auf die Wirkungen der Anleihekäufe auf die Vermögen der Bürger. In den USA haben die Niedrigzinsen Anleger verstärkt in Aktien getrieben. Da die Amerikaner 82 Prozent ihrer Nettovermögen in Aktien und anderen Finanzanlagen geparkt haben, lässt die Börsenhausse ihr Vermögen kräftig wachsen. In der Euro-Zone halten die Bürger lediglich 49 Prozent ihrer Nettovermögen in Finanzaktiva. Daher profitieren sie weniger von der Hausse, die die Anleihekäufe an den Märkten auslöst.

Das wissen auch die Euro-Hüter. Sie setzen daher auf eine Abwertung des Euro als wichtigsten Wirkungskanal ihrer Politik. Schon die Aussicht auf Anleihekäufe hat den Euro gegenüber dem Dollar seit Frühjahr 2014 um rund 17 Prozent abwerten lassen. Die Talfahrt dürfte sich in den nächsten Monaten fortsetzen. Das verbilligt die Exporte und verteuert die Importe. Die Folge: Konjunktur und Inflation ziehen an. Offen ist jedoch, wie andere Notenbanken reagieren. Lockern sie ihre Geldpolitik ebenfalls, droht ein weltweiter Währungskrieg.

Welche Gefahren bergen die Anleihekäufe?

Der Kauf von Staatsanleihen verstößt nach Ansicht vieler Experten gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung. Zwar verbietet Artikel 123 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ausdrücklich nur den „unmittelbaren Erwerb“ von Schuldtiteln der Regierungen durch die Zentralbanken.

Die EZB will daher Anleihen nur am Sekundärmarkt, also von den Banken, kaufen. Ökonomisch läuft aber auch dies auf die Staatsfinanzierung mit der Notenpresse hinaus. Kaufen die Geschäftsbanken mit dem frisch geschöpften Geld der Zentralbank neue Staatsanleihen, fließt das Geld an den Staat, der damit seine Haushaltsdefizite finanziert.

So kommt das Geld in den Wirtschaftskreislauf und treibt die Preise mittelfristig in die Höhe. Ein Teil des frisch geschöpften Geldes dürfte zudem von den Banken in die Finanz- und Immobilienmärkte fließen und gefährliche Blasen produzieren.

So kreditwürdig sind die Eurostaaten
Das Centrum für europäische Politik (CEP) hat die Kreditfähigkeit der Euro-Staaten analysiert. Einen besonders intensiven Blick haben die Wissenschaftler auf Belgien, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Portugal und Spanien geworfen. Das Resultat: die Probleme, die zur Euro-Krise geführt haben, bestehen weiterhin - und haben sich sogar auf weitere Länder ausgeweitet. Quelle: dpa
Die Kreditfähigkeit von Spanien nimmt erstmals seit Einführung des Euros zu. Die Ampel für Spaniens Kreditwürdigkeit steht auf grün, das CEP vergibt beim Schuldenindex eine Wertung von 2,3. Ein positiver Wert des CEP-Default-Indexes bei gleichzeitigem gesamtwirtschaftlichen Finanzierungsüberschuss bedeutet: Das Land benötigt in der betrachteten Periode keine Auslandskredite, es steigert daher seine Kreditfähigkeit. Diese positive Entwicklung dürfe jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Land noch weitere Konsolidierungs- und Reformmaßnahmen umsetzen muss, um die in den Krisenjahren drastisch angestiegene Staatsverschuldung und die hohe Arbeitslosigkeit zu reduzieren. Quelle: dpa
Auch für Irland steht die Ampel auf grün. Der ehemalige Krisenstaat hat, wie die kontinuierliche Zunahme der Kreditfähigkeit seit 2010 zeigt, die Krise überwunden. Der Schuldenindex beträgt 6,7, ist also deutlich positiv. Aufgabe muss es nun sein, die Investitionen, die auf fast Null gesunken sind, zu steigern, um die Wirtschaft wieder voran zu treiben. Quelle: dpa
Für Portugal zeigt die Ampel dagegen rotes Licht: Zwar erodiert die portugiesische Kreditfähigkeit noch immer. Der ununterbrochene Anstieg des Schuldenindexes seit 2011 zeigt jedoch, dass Portugal erhebliche Anstrengungen unternommen und Anpassungen bewältigt hat. Derzeit beträgt der Index -2. Unbeschadet dieser positiven Entwicklungen ist es allerdings fraglich, ob Portugal bereits ohne weitere Finanzhilfen auskommen wird, wenn das Anpassungsprogramm Mitte 2014 ausläuft. Quelle: dpa
Auch Italien gehört zu den Ländern mit einer "verfestigten abnehmenden Kreditfähigkeit", wie es beim CEP heißt. Die seit 2009 zu beobachtende Erosion der Kreditfähigkeit von Italien dauere an. Gegenüber 2012 habe sich der Verfall beschleunigt. Es sei fraglich, ob sich dies auf absehbare Zeit ändere. Denn die hierfür notwendigen Reformen und Konsolidierungsmaßnahmen seien von der italienischen Regierung bisher nicht ergriffen worden. Quelle: dpa
Ganz mies ist die Lage in Griechenland: Mit einem Wert von -9,8 hat Griechenland die schlechteste Kreditwürdigkeit aller 31 untersuchten Staaten. Die Kreditfähigkeit des Landes verfällt weiter und zwar deutlich schneller als die aller anderen Euro-Länder. Die Wiedererlangung der griechischen Kreditfähigkeit ist nicht absehbar, die Ampel steht auf dunkelrot. Quelle: dpa
Eine negative Überraschung kam in diesem Jahr aus dem Norden Europas: Belgien und Finnland weisen im ersten Halbjahr 2013 erstmals eine abnehmende Kreditfähigkeit auf. Da beide Länder noch über Auslandsvermögen verfügen, ist die Schuldentragfähigkeit allerdings noch nicht unmittelbar bedroht, die Ampel zeigt gelb-rot. Der CEP-Default-Index liegt im Falle Belgiens bei -0,5, bei Finnland beträgt er -0,1. Ein negativer Wert kann auf zwei Arten entstehen: 1. Die Nettokapitalimporte übersteigen die kapazitätssteigernden Investitionen. Das Land konsumiert über das im Inland erwirtschafteten Einkommen auch einen Teil des Nettokapitalimports. Die Volkswirtschaft verschuldet sich folglich im Ausland, um Konsumausgaben finanzieren zu können. 2. Kapital verlässt das Land, so dass der gesamtwirtschaftliche Finanzierungssaldo positiv ist. Gleichzeitig jedoch schrumpft der Kapitalstock. Das Land verarmt. Quelle: dpa

Außerdem lenken die künstlich nach unten gedrückten Zinsen Geld in Investitionsprojekte, die sich unter normalen Bedingungen nicht lohnen. Die EZB stößt dadurch Fehlinvestitionen an. Dazu kommt, dass die Niedrigzinsen die Reformanreize in den Krisenländern ersticken.

Warum sollten sich die Regierungen in Italien, Frankreich und Griechenland dem Protest ihrer Wähler gegen notwendige Sparmaßnahmen aussetzen, wenn die EZB die Löcher in den Staatshaushalten eh mit der Notenpresse finanziert? „Geldpolitik kann Strukturreformen nicht ersetzen“, warnt Ökonom Schmidt.

Der Instrumentenkasten der EZB

Problematisch ist zudem, dass die Anleihekäufe die Ausfallrisiken zwischen einzelnen Ländern umverteilen und eine Gemeinschaftshaftung erzeugen, die gegen das Bail-out-Verbot (Artikel 125 AEUV) verstößt. Daran kann letztlich auch der Kauf von Staatsanleihen auf eigene Rechnung der Notenbank des jeweiligen Landes nichts ändern.

Denn kommt es in einem Land zu einem Schuldenschnitt, muss die Notenbank ihren Bestand an Staatsanleihen abschreiben. Je größer die Verluste im Verhältnis zu ihrem Eigenkapital sind, desto größer wird der Druck, die Notenbank zu rekapitalisieren. Dafür dürften Mittel aus dem Euro-Rettungsfonds ESM fließen, für die in erster Linie die deutschen Steuerzahler bürgen.

Diese tragen als Nettosparer ohnehin die Hauptlast der Anleihekäufe der EZB. Im Schnitt haben sie mehr Geld auf Bankkonten deponiert, als sie Kredite in Anspruch nehmen. Daher treffen sie die Niedrigzinsen besonders heftig. Nach Berechnungen der Allianz Group haben die Deutschen durch die Niedrigzinspolitik in den vergangenen fünf Jahren netto rund 22,8 Milliarden Euro Zinsverluste erlitten.

Die Anleihekäufe der EZB dürften diese Verluste in den nächsten Jahren weiter anschwellen lassen. Böse Überraschungen dürften die Bürger auch erleben, wenn sie ihren Urlaub außerhalb der Euro-Zone verbringen. Der schwache Euro macht den Urlaub im Dollar-Raum nahezu unerschwinglich. Spätestens an der Strandbar dürfte dem letzten Bürger klar werden, dass die Geldschwemme, die Europas Währung retten soll, letztlich den Wohlstand seiner Bürger erodiert.

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