Studien für die USA und Großbritannien zeigen, dass die Anleihekäufe der Notenbanken dort Wirtschaft und Inflation angekurbelt haben. Die EZB hofft auf ähnliche Wirkungen in Europa. In Schätzungen kommt sie zu dem Ergebnis, eine Ausweitung der Bilanzsumme um eine Billion Euro werde das Wirtschaftswachstum in der Euro-Zone um 0,2 bis 0,8 Prozentpunkte erhöhen.
Anleihekäufe können die Wirtschaft über mehrere Kanäle beeinflussen. Besonders bedeutsam ist der Vertrauenseffekt. Großvolumige Käufe von Anleihen sollen den Bürgern und Unternehmern signalisieren, dass die Zentralbank die Wirtschaft nicht in eine Deflationsspirale abstürzen lässt. Da es derzeit jedoch keine echte Deflationsgefahr gibt, die Bürger vielmehr vom Rückgang der Energiepreise profitieren, ist zweifelhaft, ob die neue Geldschwemme Vertrauen schafft. Vielmehr könnte der Eindruck von Aktionismus entstehen.
Ein weiterer Wirkungskanal sind die Zinsen. Sinkende Renditen für Staats- und Unternehmensanleihen verringern die Finanzierungskosten für die Wirtschaft. Allerdings sind die Zinsen für Staatsanleihen in der Euro-Zone bereits seit dem Rettungsversprechen von EZB-Chef Draghi im Sommer 2012 deutlich gesunken.
So kann sich Italien nach Berechnungen des Thinktanks Open Europe derzeit für vier Prozentpunkte weniger Zinsen verschulden als damals. Spanien muss für seine Kredite fünf, Portugal sogar sieben Prozentpunkte weniger zahlen.
Ökonomen zu den Staatsanleihenkäufen der EZB
"Die EZB sollte keine Staatspapiere kaufen, denn dann würde sie die Zinsen der Wackelstaaten weiter drücken und sie anregen, sich noch mehr zu verschulden. Der Kauf wird von Artikel 123 des EU-Vertrages zu Recht verboten, weil er einer verbotenen Monetisierung der Staatsschulden gleichkommt. Man sollte auch bedenken, dass selbst die US-Notenbank Fed keine Staatspapiere von Gliedstaaten kauft. Kalifornien, Illinois oder Minnesota stehen am Rande der Pleite, und doch hilft die Fed ihnen nicht mit Krediten. Es ist schlichtweg unakzeptabel, dass die EZB meilenweit über die Fed hinausgeht, obwohl Europa den gemeinsamen Bundesstaat noch gar nicht gegründet hat. Die EZB-Politik treibt die Staaten Europas in Gläubiger-Schuldner-Verhältnisse und wird längerfristig nichts als Streit und Spannungen erzeugen."
"Die EZB verfehlt ihr Mandat der Preisstabilität und ist dabei, ihr wichtigstes Gut zu verlieren: ihre Glaubwürdigkeit. In letzter Instanz ist der Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB ein notwendiges Übel, um ihrem Mandat gerecht zu werden. Je zögerlicher die EZB handelt, desto weniger effektiv ihre Geldpolitik und desto höher die Risiken."
"Ich sehe derzeit keine Deflationsgefahren, die Staatsanleihekäufe rechtfertigen könnten. Ohne die notwendigen Anpassungsprozesse in den Peripherieländern und dem ökonomisch vorteilhaften Ölpreisrückgang läge die aktuelle Inflationsrate in etwa um einen Prozentpunkt höher, als es derzeit der Fall ist. Die Jagd nach Rendite und die Risikobereitschaft an den Finanzmärkten würden weiter erhöht, der Anreiz, fürs Alter langfristig zu sparen, würde weiter vermindert."
"Seit Anfang 2009 ist der Zuwachs der Geldmenge M3 mit durchschnittlich 1,7 Prozent weit hinter dem Referenzwert von 4,5 Prozent zurückgeblieben, den einst EZB und Bundesbank für sinnvoll hielten. Entsprechend schwächelt die Konjunktur, während der Preisauftrieb auch ohne Öl gefährlich nah an die Deflation herankommt. In dieser Lage muss die EZB mit einer Offenmarktpolitik gegenhalten, also mit dem Kauf von Anleihen auf dem offenen Markt, der auch Staatsanleihen umfassen sollte."
"Es ist nicht notwendig, nun auch noch mit breit angelegten Staatsanleihekäufen auf den Ölpreisverfall zu reagieren. Die EZB sollte nicht nur auf Deflationsrisiken schauen, sondern auch berücksichtigen, dass sie als Käufer von Staatsanleihen den Regierungen zusätzlichen Anreiz gäbe, notwendige Strukturreformen aufzuschieben."
Eine substanzielle Belebung des Kreditgeschäfts und der Konjunktur ist bisher dennoch ausgeblieben. Daher stellt sich die Frage, ob Anleihekäufe daran etwas ändern können, zumal der Spielraum für weitere Zinssenkungen begrenzt ist. Dazu kommt, dass sich die Unternehmen in der Euro-Zone zu 85 Prozent über ihre Hausbanken finanzieren. Deren Kreditbedingungen aber werden von den Anleihekäufen der EZB kaum beeinflusst. Anders in den USA: Dort stillen die Unternehmen ihren Kredithunger vornehmlich durch eigene Anleihen. Daher gelang es der Fed, die Finanzierungskosten der Unternehmen zu senken.
Wie Mario Draghi die Märkte mit Geld fluten kann
Die EZB könnte massenhaft Anleihen aufkaufen und selbst das Risiko in ihre Bücher nehmen. Sie würde sich dabei am Anteil der jeweiligen Notenbanken am Grundkapital der EZB orientieren, das je nach Bevölkerungszahl und Wirtschaftsleistung der Länder unterschiedlich hoch ist. Draghi vermied es bislang, eine konkrete Zahl für die Käufe ins Schaufenster zu stellen. Doch strebt der EZB-Rat eine Ausweitung der Bilanz auf das Volumen von Anfang 2012 an. Damit müsste die EZB rund eine Billion Euro in die Hand nehmen. Mit dem eingeleiteten Kauf von Hypothekenpapieren und Pfandbriefen dürfte diese Summe nicht annähernd zu erreichen sein. Allerdings könnte die EZB das Spektrum um private Anleihen erweitern.
Kritiker befürchten, dass solide wirtschaftende Länder am Ende für Krisenstaaten haften müssen. Sollten Papiere - etwa von Griechenland - ausfallen, müsste auch der deutsche Steuerzahler bluten. Der niederländische Notenbank-Chef Klaas Knot sieht darin ein Problem: "Wir müssen vermeiden, dass über die Hintertür der EZB-Bilanz Entscheidungen getroffen werden, die den demokratisch legitimierten Politikern der Euroländer vorbehalten bleiben müssen." Ein möglicher Ausweg aus diesem Dilemma wäre eine Ankauf durch die jeweiligen Notenbanken der Euro-Staaten.
Draghi könnte den Bedenken gegen eine zu große Haftungsübernahme durch die EZB mit einer Kompromisslösung Rechnung tragen: Die EZB würde demnach nur einen Teil der Ankäufe übernehmen und es den Notenbanken der einzelnen Länder überlassen, bis zu einem gewissen Limit auf eigenes Risiko am Markt aktiv zu werden. Damit würde Draghi womöglich die Bundesbank und andere Gegner besänftigen. Ob eine solche Aufgabenteilung aber reibungslos funktioniert und ein ausreichend großes Volumen zustande kommt, ist offen. Genauso wie die Frage, ob die EZB am Donnerstag tatsächlich bereits den Knopf drücken wird.
Bei diesem Modell verbliebe das Risiko bei den einzelnen Staaten. Die EZB würde den Beschluss fassen, dass die Zentralbanken von Portugal bis Finnland Papiere erwerben können und ihnen dafür ein Limit setzen. Der französische Notenbank-Chef Christian Noyer ist für "eine prozentuale Obergrenze". Private Anleger müssten weiterhin die Mehrheit der Anleihen halten. Dies würde theoretisch bedeuten, dass die einzelnen Notenbanken insgesamt bis zu 49,9 Prozent der ausstehenden Verbindlichkeiten des jeweiligen Landes aufkaufen dürften. Da der Schuldenberg der Euro-Staaten insgesamt mehr als neun Billionen Euro groß ist, wäre ein solches Programm jedoch überdimensioniert. Die Obergrenze, falls sie überhaupt kommuniziert wird, dürfte weit niedriger liegen.
Würde sich die EZB selbst heraushalten, könnte ihr dies als Führungsschwäche ausgelegt werden: "Das wäre keine einheitliche Geldpolitik mehr", warnt der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher. Auch ein Modell, wonach sich die Ankäufe an der Summe der ausstehenden Staatsanleihen eines Landes orientieren würde, gilt als heikel: Dann wäre Italien, das Heimatland Draghis, der größte Nutznießer. Rund ein Viertel aller ausstehenden Staatsanleihen im Euro-Raum wurde von der Regierung in Rom ausgegeben.
Gegner des Programms wie etwa Bundesbank-Chef Jens Weidmann befürchten, dass die EZB den Staaten "Fehlanreize" bieten würde, ihre Reformanstrengungen zu vermindern. Denn durch den massenhaften Ankauf von Verbindlichkeiten der Staaten kommen diese Länder am Markt günstiger an frisches Geld.
Ökonom Alexander Krüger vom Bankhaus Lampe erwartet zum Beispiel, dass sich der EZB-Rat noch nicht auf Umfang, Dauer und Zusammensetzung der Käufe durchringen kann. Dann würde die EZB nur einen Grundsatzbeschluss fassen. Draghi müsste im März alle Details nachliefern.
Bis dann dürfte sich auch der Rauch nach den Parlamentswahlen in Griechenland verzogen haben. Denn das von IWF und EU vor der Pleite gerettete Land könnte eine Kehrtwende einleiten. Die zentrale Frage lautet: Bleibt es auf Reformkurs oder kommt es zur Abkehr von den Rettungsprogrammen? Ein Ankauf griechischer Staatspapiere dürfte sich bei der letzten Variante für die EZB verbieten.
Große Unterschiede zwischen Euro-Land und den USA gibt es auch mit Blick auf die Wirkungen der Anleihekäufe auf die Vermögen der Bürger. In den USA haben die Niedrigzinsen Anleger verstärkt in Aktien getrieben. Da die Amerikaner 82 Prozent ihrer Nettovermögen in Aktien und anderen Finanzanlagen geparkt haben, lässt die Börsenhausse ihr Vermögen kräftig wachsen. In der Euro-Zone halten die Bürger lediglich 49 Prozent ihrer Nettovermögen in Finanzaktiva. Daher profitieren sie weniger von der Hausse, die die Anleihekäufe an den Märkten auslöst.
Das wissen auch die Euro-Hüter. Sie setzen daher auf eine Abwertung des Euro als wichtigsten Wirkungskanal ihrer Politik. Schon die Aussicht auf Anleihekäufe hat den Euro gegenüber dem Dollar seit Frühjahr 2014 um rund 17 Prozent abwerten lassen. Die Talfahrt dürfte sich in den nächsten Monaten fortsetzen. Das verbilligt die Exporte und verteuert die Importe. Die Folge: Konjunktur und Inflation ziehen an. Offen ist jedoch, wie andere Notenbanken reagieren. Lockern sie ihre Geldpolitik ebenfalls, droht ein weltweiter Währungskrieg.