2. Der gesenkte Einlagezins
Was hat die EZB gemacht?
Wie erwartet hat die Zentralbank am negativen Einlagezins geschraubt. Banken, die ihr Geld kurzfristig bei der EZB anlegen, zahlen künftig einen Strafzins in Höhe von 0,4 Prozent.
Was war vorher?
Bisher lag der Einlagezins bei minus 0,3 Prozent.
Pressestimmen zum EZB-Entscheid
„Das viele frische Geld dürfte kaum in der Realwirtschaft ankommen, sondern vielmehr die Blasenbildung an den Finanzmärkten verstärken. Der wichtigste Transmissionsmechanismus für die Übertragung geldpolitischer Impulse, die Kreditvergabe der Banken, wird durch negative Zinsen zusehends blockiert. So können die Banken die Negativzinsen kaum an Sparer weiterreichen, da diese ihr Geld sonst abheben und „unter der Matratze“ horten könnten. Um die höheren Zinskosten dennoch auf die Kunden abzuwälzen und der sinkenden Profitabilität zu begegnen, erhöht manche Bank einfach ihre Kreditzinsen, etwa im Hypothekarbereich. Die zur Ankurbelung von Krediten gedachten Negativzinsen führen in diesen Fällen zu einer Verschärfung der Kreditpolitik. Die überdosierte Medizin der EZB ist bisweilen nicht nur wirkungslos, sondern gar kontraproduktiv.“
„Das war mehr als die Finanzmärkte erwartet hatten, und sie reagierten anfangs auch begeistert. Doch dann trübte sich das Bild. Denn der Hintergrund der weiteren Lockerung der Geldpolitik ist keineswegs rosig. Die EZB senkte nämlich zugleich ihre Erwartungen hinsichtlich des wirtschaftlichen Wachstums sowie ihre Voraussagen zur Entwicklung der Inflation. Sie stellt somit fest, dass ihre Therapie bislang nur unzureichend wirkt, und sie verdoppelt deshalb die Dosis ihrer Medizin. Derweil geht das Vertrauen in eine wirtschaftliche Erholung verloren.“
„Die Kreditkrise war entstanden, weil es zu billig war, sich Geld zu leihen und Unternehmen ebenso wie Verbraucher zu viele Schulden machten. Die EZB ist nun erneut dabei, das Schuldenmachen zu stimulieren. Damit ist das Risiko verbunden, dass diese Schulden die Wirtschaft später wieder in Schwierigkeiten bringen. Wenn Banken zu riskante Kredite vergeben, können neue Seifenblasen entstehen. Hinzu kommt, dass Banken durch die Negativzinsen unter Druck geraten und so noch weiter geschwächt werden. Angesichts dieser Risiken kritisieren vor allem Zentralbanken in Nordeuropa schon seit geraumer Zeit die Zinspolitik der EZB.“
„Hin- und hergerissen zwischen den Rufen der Finanzmärkte nach noch mehr billigem Geld und kritischen Kommentaren von Volkswirten ob der Wirkungslosigkeit der bisherigen Maßnahmen mussten er und die anderen Mitglieder des geldpolitischen Rats eine wegweisende Entscheidung treffen. Nun sind die Würfel gefallen: Draghi setzt alles auf eine Karte und versucht mit einer monströsen Flut an Geld einen Befreiungsschlag - von dessen Gelingen die wirtschaftliche Zukunft der Eurozone zu großen Teilen abhängt.
Um des Hauptproblems, nämlich immer niedrigerer Inflationsraten, Herr zu werden, drückt der EZB-Chef die Zinsen noch tiefer, teilweise auch unter null. Damit entsteht eine Situation, die genauso skurril ist, wie sie klingt: Zur Verbesserung der wirtschaftlichen Gesamtwetterlage in Europa setzt Draghi just auf jene Maßnahmen, welche die Probleme herbeigeführt haben - nämlich eine zu laxe Geldpolitik, wie sie auf globaler Ebene seit Jahrzehnten praktiziert wird.“
„Jetzt haben wir den Beweis, dass sich die Europäische Zentralbank auch dann nicht beeinflussen lässt, wenn ihre Kritiker so mächtig sind wie die Welt der deutschen Wirtschaft. Dass sie nicht schüchtern ist und sich auf jungfräuliches Gebiet wagt. Dass sie zu überraschen weiß. Tatsächlich hat sie gestern mit einem komplexen Maßnahmenpaket überrascht und damit deutlich gemacht, dass sie nicht die Absicht hat, ihre Glaubwürdigkeit durch zögerliche Entscheidungen zu gefährden. Für die Märkte war dies die Botschaft, dass die EZB reagiert, wenn sich die wirtschaftlichen Umstände in der Eurozone und global ändern.“
„Die Entscheidungen der EZB sind eine verschlüsselte Botschaft an Berlin. EZB-Präsident Mario Draghi signalisiert damit der Bundesregierung, dass die Eurozone eine andere Finanzpolitik braucht. Europa kann die Stagnation überwinden, wenn Berlin zwei Dinge einsieht.
Erstens muss Deutschland mehr investieren, vor allem in die Verbesserung der Infrastruktur. Zweitens kann eine niedrige Nachfrage durch staatliche Investitionen belebt werden. Europa muss ein Konjunkturprogramm finanzieren. Es wird nicht leicht sein, Berlin davon zu überzeugen. Daher muss Draghi seine Botschaft ständig wiederholen.“
„Ein Land, das Entscheidungen trifft, ohne die Interessen seiner Partner zu berücksichtigen, kann von ihnen selbst keine Solidarität erwarten. Deutschland muss lernen, selbst Verantwortung für die Folgen seiner Entscheidungen zu tragen. Diese Beobachtung ist weiterhin gültig. (...) Dass die Probleme und Proteste zunehmen, bedeutet nicht, dass die Deutschen ihre Kanzlerin stürzen wollen. Eher wollen sie die Regierungschefin zu einer Änderung ihrer Politik bewegen - und das geschieht Schritt für Schritt auch. Doch weit mehr noch hat sich die Position Deutschlands innerhalb der EU verändert. (...) Deutschland ist inzwischen selbst im Westen der Europäischen Union zu einer großen Insel (in der Flüchtlingspolitik) geworden.“
„Die Christdemokraten werden wahrscheinlich nicht glänzend abschneiden, aber niemand wird wegen eines Stimmenverlustes Merkel wegputschen. Sie hat keinen Herausforderer, es gibt keine Alternative zu ihr. Horst Seehofer weiß das auch. Hinter den lästigen Manövern des bayerischen Landesregierungschefs und CSU-Vorsitzenden, wie etwa seine Kumpelei mit dem ungarischen Ministerpräsidenten, steckt die Überlegung, dass er mit stark populistischen Schritten in dem in der Flüchtlingsflut als Frontstaat geltenden Bayern der AfD den Boden entziehen kann.
Bedenklicher ist, wie einsam die Kanzlerin der führenden politisch-wirtschaftlichen Macht Europas geblieben ist. Der Bundesrepublik ist es bisher immer im Interesse einer gemeinsamen europäischen Lösung gelungen, einen gewissen Konsens zu schaffen - obwohl die Griechen dazu andere Erfahrungen haben und verständlicherweise anderer Meinung sind. Deutschland und seine Regierungschefin wirken im März 2016 wie isolierte Reisende auf einem Sonderweg. Alle anderen schließen. Routen, Grenzen. Im Kalten Krieg gab es vielleicht eben soviel Stacheldraht auf dem Kontinent, der nur mit seinen Zäunen und seinem Klingendraht höchstens etwas Zeit gewinnt. Die Flüchtlinge kommen.“
Was will die EZB damit erreichen?
Die Notenbank will Banken dafür bestrafen, Einlagen bei der EZB zu halten. Die Institute sollen das Geld lieber für die Vergabe von Krediten verwenden und so das Wirtschaftswachstum ankurbeln.
Was bringt das?
Die Maßnahme ist höchst umstritten, denn die EZB schadet damit vor allem den Banken, deren Margen weiter sinken. Zwar erklärt die Notenbank, bisher sei die Profitabilität der Institute durch den Negativzins nicht beeinflusst worden. Viele Bankvorstände sehen das allerdings ganz anders. Die Konsequenz: einige Sparkassen überlegen bereits offen, ihr Geld nicht mehr bei der EZB anzulegen, sondern Scheine und Münzen lieber im eigenen Tresor zu lagern. Das ist günstiger. Ziehen tatsächlich Institute ihr Geld aus dem System ab, hat die EZB ihren gewünschten Effekt definitiv verfehlt.
Die Erfahrung anderer Länder zeigt bereits, dass Negativzinsen oft nicht den gewünschten Effekt einer steigenden Kreditvergabe erzielen. In Dänemark beispielsweise wurden Darlehen am Ende teurer, weil die Banken die Strafzinsen auf diesem Weg an den Kunden weitergaben. Auch in Japan wurden vor kurzem Negativzinsen eingeführt. Prompt kündigten die Gewerkschaften der Banken an, in diesem Jahr wohl keine Lohnerhöhung zu fordern. Ein Grund dafür dürfte die schlechte Situation der Banken aufgrund des Negativzinses sein. Die Bank of Japan könnte also genau das Gegenteil von dem erreichen, was sie anstrebt: fallende Preise. Denn bleiben die Löhne niedrig, wird nicht mehr konsumiert, und die Preise steigen auch nicht. Denkbar ist dieses Szenario auch in der Euro-Zone.
Viele Beobachter erwarteten daher, die EZB könne einen gestaffelten Einlagezins einführen und nur bestimmte Einlagen mit dem höchsten Strafzins von 0,4 Prozent belasten. Offenbar hielt Mario Draghi das aber für falsch. „Wir wollten nicht signalisieren, dass wir den Zins so weit ins Negative senken können, wie wir wollen“, lautete die Erklärung des Italieners.
Das sind die drei Leitzinssätze der EZB
Der wichtigste Leitzins ist der Hauptrefinanzierungssatz. Er legt den Mindestzins fest, den Geschäftsbanken der EZB für einen Kredit mit einwöchiger Laufzeit im Rahmen der sogenannten Tenderauktionen bieten müssen. Änderungen wirken sich in der Regel direkt auf die Zinsen am Geld- und am Kapitalmarkt aus.
Für Banken, die sehr kurzfristig Geld brauchen, wird es teurer, hier bietet die EZB die sogenannte Spitzenrefinanzierungsfazilität an. Diese Kredite haben eine Laufzeit von einem Tag. Der Zins, den Banken für das über Nacht geliehene Geld zu zahlen haben, ist der Spitzenrefinanzierungssatz. Er liegt in der Regel rund einen Prozentpunkt über dem Hauptrefinanzierungssatz.
Die Einlagefazilität ist das Gegenstück zur Spitzenrefinanzierungsfazilität. Sie gibt Banken die Möglichkeit, einen Überschuss an flüssigen Mitteln bis zum nächsten Geschäftstag bei der Zentralbank zu parken. Die Verzinsung gibt der Einlagefazilitätssatz an. Spitzen- und Einlagefazilität sind Instrumente, mit denen die EZB weitere Feinsteuerung verwirklichen kann. Wenn die Banken zum Beispiel nur sehr wenig oder gar keinen Zins auf das Geld bekommen, das sie bei der EZB parken, dann steigt der Anreiz, es an einen Kunden zu verleihen. Derzeit ist der Einlagezins negativ - und bestraft somit Banken, die Geld bei der EZB parken.
Der wahre Grund könnte aber ein anderer sein: Die Commerzbank berechnete vor kurzem, dass die Banken der Euro-Kernländer wie Deutschland, Frankreich aber auch der Niederlande überproportional stark von der Einführung eines solchen Staffelzinses, also von „Freigrenzen“, profitiert hätten, da sie über deutlich höhere Überschussreserven verfügen, als Banken aus Spanien oder Italien. Gleichzeitig trifft der Strafzins die Kernland-Banken härter. Mario Draghi hat sich daher eine andere Maßnahme ausgedacht, mit der er die Banken beglücken will – das gilt aber natürlich für alle Banken der Euro-Zone.
Fazit: Die Gefahr, dass der Negativzins für nicht die gewünschte Wirkung erzielt, ist groß. Im Ernstfall straft Draghi die Banken so stark ab, dass sie weniger profitabel werden und ihre Schwäche sich wiederum negativ auf die gesamte Konjunktur auswirkt. Diesen Kreislauf muss die EZB in jedem Fall verhindern, zumal sie als Aufsicht darüber wachen muss, wie stabil Europas Banken sind.