EZB-Zinsentscheid Warum Draghis Maßnahmenfeuerwerk so riskant ist

EZB-Chef Mario Draghi setzt alles auf eine Karte und will mit einem bunten Strauß an Maßnahmen die Preise in der Euro-Zone antreiben. Was die EZB-Beschlüsse bedeuten und warum sie an ein Glückspiel erinnern.

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Mario Draghi Quelle: REUTERS

All in – mit diesem Glücksspielbegriff kommentierte die DZ Bank den Katalog an Maßnahmen, mit dem die Europäische Zentralbank (EZB) die Märkte flutete. Ein schlechtes Zeichen? Eigentlich sollten Glücksspiel und die Politik einer Notenbank eine möglichst kleine Schnittmenge haben. EZB-Chef Mario Draghi sieht das offenbar etwas anders.

Er hat nicht nur wie erwartet am Einlagezins geschraubt, sondern zusätzlich den Leitzins auf null gesetzt. Zudem bläht die EZB ihr Anleihekaufprogramm massiv auf, kauft nun monatlich Anleihen für 80 Milliarden Euro statt bisher 60 Milliarden Euro. Als wäre das nicht genug, feilt Draghi auch noch an den Statuten des Anleihekaufprogramms und legt neue Langfrist-Kredite für Banken zu Schnäppchenpreisen auf (TLTROs).

Es ist, als wolle der Italiener alle seine Kritiker Lügen strafen. Er habe keine Maßnahmen mehr im Köcher, tönte es bereits bei vorhergehenden Zinsschritten von vielen Seiten. Was er denn machen wolle, wenn es mal wirklich ernst werde, wurde der EZB-Chef gefragt. Spätestens nun ist klar: egal wie expansiv die Geldpolitik bereits ist, dem Italiener wird noch etwas einfallen, um mehr Notenbankgeld in die Märkte zu drücken. Es gibt kaum Tabus.

Das sagen Ökonomen zur EZB-Entscheidung

Das Potpourri reicht von klassischer Zinspolitik bis hin zu sehr unkonventionellen und unerwarteten Instrumenten. Unsere Maßnahmen bewegen sich von den konventionellen immer weiter hin zu den unkonventionellen Instrumenten der Geldpolitik, erklärte Draghi im Anschluss an die Ratssitzung der 26 EZB-Direktoren.

Doch was genau hat die EZB beschlossen? Ein Überblick über die Änderungen und Instrumente.

1. Die klassische Leitzinssenkung

Was hat die EZB gemacht?

Der Leitzins, also der Zins, zu dem sich Banken bei der Zentralbank Geld leihen können,  wurde von der Notenbank auf null gesetzt. Gleichzeitig senkte sie den Spitzenrefinanzierungszins um fünf Basispunkte auf 0,25 Prozent.

Was war vorher?

Der wichtigste Zins von Europas Notenbank lag schon vorher auf einem historisch niedrigen Niveau von 0,05 Prozent.

Was will die EZB  damit erreichen?

Eigentlich ist eine Veränderung des Leitzinses die zentrale Stellschraube in der Politik der Notenbank. Gesenkt werden die Zinsen normalerweise, um die Inflation anzukurbeln, also für steigende Preise zu sorgen. Die EZB strebt wie andere Notenbanken eine Inflationsrate von knapp unter zwei Prozent an, so definiert sie Preisstabilität. In diesem Fall will die EZB vor allem Deflation verhindern, also sinkende Preise, denn sie fürchtet dadurch Zweitrundeneffekte wie sinkende Löhne und einen sinkenden Konsum.

Was bringt das?

Die Leitzinssenkung dürfte für das Ziel der Preisstabilität maximal eine Nebenrolle spielen, der Effekt der geringen Absenkung marginal sein. Denn: schon vorher lag der Zins auf einem Rekordtief, Banken konnten sich so günstig wie noch nie Geld bei der Notenbank leihen. Trotzdem sank die Teuerungsrate in der Euro-Zone im Februar wieder in den deflationären Bereich. Im Vergleich zu den anderen Maßnahmen ist die Leitzinssenkung aber Kleinvieh. Draghi dürfte zu dem Instrument gegriffen haben, um den Märkten zu zeigen, dass er vor nichts zurückschreckt. Noch nicht einmal vor Nullzinsen.

Draghi straft die Banken ab

2. Der gesenkte Einlagezins

Was hat die EZB gemacht?

Wie erwartet hat die Zentralbank am negativen Einlagezins geschraubt. Banken, die ihr Geld kurzfristig bei der EZB anlegen, zahlen künftig einen Strafzins in Höhe von 0,4 Prozent.

Was war vorher?

Bisher lag der Einlagezins bei minus 0,3 Prozent.

Pressestimmen zum EZB-Entscheid

Was will die EZB damit erreichen?

Die Notenbank will Banken dafür bestrafen, Einlagen bei der EZB zu halten. Die Institute sollen das Geld lieber für die Vergabe von Krediten verwenden und so das Wirtschaftswachstum ankurbeln.

Was bringt das?

Die Maßnahme ist höchst umstritten, denn die EZB schadet damit vor allem den Banken, deren Margen weiter sinken. Zwar erklärt die Notenbank, bisher sei die Profitabilität der Institute durch den Negativzins nicht beeinflusst worden. Viele Bankvorstände sehen das allerdings ganz anders. Die Konsequenz: einige Sparkassen überlegen bereits offen, ihr Geld nicht mehr bei der EZB anzulegen, sondern Scheine und Münzen lieber im eigenen Tresor zu lagern. Das ist günstiger. Ziehen tatsächlich Institute ihr Geld aus dem System ab, hat die EZB ihren gewünschten Effekt definitiv verfehlt.

Die Erfahrung anderer Länder zeigt bereits, dass Negativzinsen oft nicht den gewünschten Effekt einer steigenden Kreditvergabe erzielen. In Dänemark beispielsweise wurden Darlehen am Ende teurer, weil die Banken die Strafzinsen auf diesem Weg an den Kunden weitergaben. Auch in Japan wurden vor kurzem Negativzinsen eingeführt. Prompt kündigten die Gewerkschaften der Banken an, in diesem Jahr wohl keine Lohnerhöhung zu fordern. Ein Grund dafür dürfte die schlechte Situation der Banken aufgrund des Negativzinses sein. Die Bank of Japan könnte also genau das Gegenteil von dem erreichen, was sie anstrebt: fallende Preise. Denn bleiben die Löhne niedrig, wird nicht mehr konsumiert, und die Preise steigen auch nicht. Denkbar ist dieses Szenario auch in der Euro-Zone.

Viele Beobachter erwarteten daher, die EZB könne einen gestaffelten Einlagezins einführen und nur bestimmte Einlagen mit dem höchsten Strafzins von 0,4 Prozent belasten. Offenbar hielt Mario Draghi das aber für falsch. „Wir wollten nicht signalisieren, dass wir den Zins so weit ins Negative senken können, wie wir wollen“, lautete die Erklärung des Italieners.

Das sind die drei Leitzinssätze der EZB

Der wahre Grund könnte aber ein anderer sein: Die Commerzbank berechnete vor kurzem, dass die Banken der Euro-Kernländer wie Deutschland, Frankreich aber auch der Niederlande überproportional stark von der Einführung eines solchen Staffelzinses, also von „Freigrenzen“, profitiert hätten, da sie über deutlich höhere Überschussreserven verfügen, als Banken aus Spanien oder Italien. Gleichzeitig trifft der Strafzins die Kernland-Banken härter. Mario Draghi hat sich daher eine andere Maßnahme ausgedacht, mit der er die Banken beglücken will – das gilt aber natürlich für alle Banken der Euro-Zone.

Fazit: Die Gefahr, dass der Negativzins für nicht die gewünschte Wirkung erzielt, ist groß. Im Ernstfall straft Draghi die Banken so stark ab, dass sie weniger profitabel werden und ihre Schwäche sich wiederum negativ auf die gesamte Konjunktur auswirkt. Diesen Kreislauf muss die EZB in jedem Fall verhindern, zumal sie als Aufsicht darüber wachen muss, wie stabil Europas Banken sind.

Gefährliche Kreditblase

3. Banken-Finanzierung durch TLTROs

Was macht die EZB?

Die Notenbank bringt erneut Langfrist-Kredite für Banken zu Schnäppchenpreisen auf den Markt. Die gezielten langfristigen Refinanzierungsoperationen (TLTROs) können von Europas Banken ab Juni abgerufen werden. Sie sollen eine Laufzeit von vier Jahren haben und werden zu Mini-Zinsen erhältlich sein. Der Zins, welchen die Bank über die gesamte Laufzeit zahlt, richtet sich nach den jeweiligen Leitzinsen, liegt also gerade bei null. Hinzu kommt eine Art Bonusprogramm, welches Mario Draghi einführen will. Je mehr Kredite eine Bank laut ihrer Bilanz vergibt, desto günstiger soll sie die TLTROs bekommen. Der niedrigste mögliche Zins, so Draghi, sei der Einlagezins.

Was war vorher?

Die EZB hat bereits einmal beschlossen, solche Tender-Kredite an Banken ausgegeben, zuletzt im Sommer 2014. Diese können von den Banken noch bis März dieses Jahres abgerufen werden. Die neuen TLTROs II werden ab Juni verfügbar sein.

Was will die EZB damit erreichen?

Die Notenbank will Banken in der Euro-Zone eine langfristige Finanzierungssicherheit geben. Mit der Bonusregelung will sie zudem dafür sorgen, dass die Geldpolitik in der Realwirtschaft ankommt. Banken sollen also das billige Geld nicht einfach in ihren Bilanzen lagern, sondern es in Form von Krediten an die Verbraucher und die Unternehmen in der Euro-Zone weitergeben.

Was bringt das?
Die Wirkung dieses Instruments dürfte zumindest fraglich sein. Schon die vergangenen TLTROs wurden von den Geldinstituten deutlich weniger nachgefragt, als es noch bei den ersten Tendern der Fall war, welche Draghi während der Finanzkrise verteilte. Draghis Ziel, die Kreditvergabe anzukurbeln, ist zwar ehrenwert, muss aber hinterfragt werden.

Der Instrumentenkasten der EZB

Zum einen sind die Unternehmen der Euro-Zone weiterhin damit beschäftigt, Schulden und vor allem Überkapazitäten abzubauen. Mit seinem Maßnahmenstrauß hat Draghi zudem nicht unbedingt dafür gesorgt, dass das Vertrauen der Unternehmen in die wirtschaftliche Erholung steigt. Angesichts der Unsicherheit dürften viele eher abwarten, als zu investieren. Selbst wenn die Banken Kredite anbieten, werden diese im Zweifel also gar nicht nachgefragt.

Und das ist auch gut so, finden zumindest einige Ökonomen. Der Chefvolkswirt vom Bankhaus Lampe, Alexander Krüger, befürchtet, dass die Weltkonjunktur ihre besten Tage hinter sich hat. Gründe für eine deutliche Wachstumsbelebung sieht er nicht. „In so einem Umfeld ist es für den Euro-Raum gut, dass die Kreditnachfrage nicht kräftig steigt“, sagt Krüger. Käme es zu einem Kreditboom, drohten reihenweise Darlehen auszufallen, erklärt der Ökonom. Schon jetzt warnen sogar Bankchefs davor, die Institute würden zu riskante Kredite vergeben. Im schlechten Fall riskiert Draghi mit seiner Maßnahme also eine gefährliche Kreditblase.

"Wir schaffen das - koste es, was es wolle"

4. Veränderungen des Anleihekaufprogramms

Was macht die EZB?

Zunächst hat die Notenbank das Volumen ihrer Anleihekäufe ausgedehnt. Statt wie bisher für 60 Milliarden Euro kauft sie nun Anleihen im Wert von 80 Milliarden Euro pro Monat. Enden soll das Programm vorerst weiterhin im März 2017. Draghi betonte allerdings, dass die EZB auch darüber hinaus kaufen könnte, wenn nötig.

Das sind die drei Leitzinssätze der EZB

Bisher durften die Notenbanken maximal 33 Prozent aller Papiere einer bestimmten Anleihe halten. Diese Grenze wurde nun für bestimmte Papiere von der Notenbank auf 50 Prozent hochgesetzt. Diese erhöhte Obergrenze gilt für Papiere von "zugelassenen internationalen Organisationen und multilateralen Entwicklungsbanken".

Der Casus Knacksus: die EZB hat ihr Anleihekaufprogramm nun auf Unternehmensanleihen ausgeweitet. Sie will Papiere von Unternehmen (keine Banken) kaufen, deren Bonität von den Ratingagenturen mit einem Investmentrating ausgestattet wurden.

Was war bisher?

Das Volumen des Programms lag bei nur 60 Milliarden Euro, der Kauf von Unternehmensanleihen durch die EZB galt als undenkbar.

Was will die EZB erreichen?

Die Notenbank will mit aller Macht dafür sorgen, dass ihr Geld bei den Unternehmen ankommt. Gleichzeitig ist der Schritt ein Signal. Draghi sagt nicht „Wir schaffen das“, sondern er sagt „Wir schaffen das – koste es, was es wolle“.

Was bringt das?

Die Zinsen im Euro-Raum dürften noch weiter sinken. Schon jetzt rentieren viele Staatsanleihen im negativen Bereich, Beobachter befürchten, dass im Fall einiger Länder bald nicht mehr genug kaufbare Anleihen da sind. Gleichzeitig betreibt die Notenbank nun Unternehmensfinanzierung. Entsprechend dürften auch die Zinsen auf Unternehmensanleihen stark sinken.

Beobachter sehen bereits jetzt eine Tendenz dazu, dass sich Unternehmen eher am günstigen Anleihemarkt finanzieren, anstatt ihre Bank um einen Kredit zu bitten. Erneut könnte also eine EZB-Maßnahme die andere konterkarieren.

Noch hat die EZB nicht erläutert, nach welchen spezifischen Kriterien sie die zu kaufenden Anleihen auswählen wird. Trotzdem steht fest: statt direkter Staatsfinanzierung betreibt die Notenbank nun direkte Unternehmensfinanzierung. Ein fatales Signal.

Und das heißt nicht, dass die Staaten dabei leer ausgehen. Durch die niedrigen Anleihezinsen können sich die Länder der Euro-Zone extrem günstig finanzieren. Mario Draghi kauft ihnen also Raum für Reformen, dieser wird aber bisher kaum genutzt. „Es verfestigt sich unser Eindruck, dass es der EZB in erster Linie um die Sicherung der Schuldentragfähigkeit geht“, schreibt Lampe-Chefvolkswirt Krüger in einer Analyse der EZB-Maßnahmen.

Hinzu kommt, dass die EZB mit ihrer Maßnahme den Euro kräftig abschwächen dürfte. Offiziell erklärt die Notenbank zwar, keine Währungspolitik zu betreiben. Ungelegen dürfte ihr der schwächere Euro aber nicht sein.   

Für Sparer fatal

5. Forward Guidance

Was hat die EZB gemacht?

Die Notenbank gibt den Märkten seit einiger Zeit eine Art Richtlinie dafür, wie lange die Zinsen ultra-niedrig bleiben werden. Diese Prognose wurde nun erneut verändert. Die EZB, so Draghi, erwarte, dass der Zins für eine längere Zeit so niedrig wie jetzt oder sogar niedriger sein werde. Der Zeitraum, so der EZB-Chef, gehe deutlich über den geplanten Zeitraum der Anleihekäufe hinaus. Sprich: der Nullzins wird uns mindestens bis März 2017 begleiten.

Was war bisher?

Eine Forward Guidance gab Draghi schon seit längerem. Einen spezifischen Zusatz mit einer Mindestdauer gab es aber bisher nicht.

Was will die EZB damit erreichen?

Sie will den Märkten vor allem Planungssicherheit geben.  

Was bringt das?

Für Kreditnehmer ist das ein gutes Zeichen. Wer bald ein Haus kaufen will oder in einigen Monaten eine Anschlussfinanzierung brauchen wird, kann ziemlich sicher davon ausgehen, dass er ultra-günstige Finanzierungskonditionen vorfinden wird.

Für Sparer ist das Zeichen allerdings fatal: sie wissen jetzt, dass die Zinsen auf unbestimmte Zeit ultraniedrig bleiben und müssen fürchten, dass es so etwas wie Tagesgeldzinsen künftig möglicherweise gar nicht mehr geben wird.

Fazit: Bereits jede Maßnahme für sich genommen ist riskant. Gleichzeitig lässt sich relativ sicher sagen, dass eine Maßnahme alleine keine Chance hätte, den gewünschten Effekt zu liefern. Ergänzen sich die Instrumente, ist ein Effekt denkbar. Allerdings stehen sich viele davon auch gegenseitig im Weg. Vielmehr besteht die Gefahr, dass der riesige Tanker der EZB-Geldpolitik unkontrollierbar in verschiedene Richtungen steuert und dabei enorme, extrem gefährliche Kreditblasen kreiert. 

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