Finanzmarkt nach dem Brexit Wie die EU das Clearing neu regelt

Auch nach dem Brexit will die EU-Kommission die Abwicklung von Euro-Derivaten in London erlauben - sofern ihr Volumen nicht "systemrelevant" ist. Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.

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Quelle: REUTERS

Die EU-Kommission will im Hinblick auf den EU-Austritt Großbritanniens, das Aufsichtsregime für das sogenannte Derivate-Clearing reformieren. Sie hat heute einen Verordnungsentwurf vorgelegt, wie die Abwicklung (Clearing) von Euro-Derivaten nach dem Brexit gestaltet werden soll. Wichtig für London: in der Frage der Umsiedlung des Clearing-Geschäfts will die EU zwar das letzte Wort haben, wenn das Volumen der in Euro abgewickelten Wertpapiere in einem sogenannten Clearing-Haus systemrelevant ist. Aber sie sieht dies nur als eine mögliche Option vor, ein Automatismus besteht nicht. Der Entwurf muss noch vom EU-Parlament und von den EU-Mitgliedsländern gebilligt werden.

Clearing ist ein wenig glamouröser aber wichtiger Teil von Finanztransaktionen. In der Fachsprache ist oft von „Plumbing“ die Rede – der Vergleich zieht Parallelen zu den Abwasserrohrsystemen in einem Haushalt – und bezieht sich darauf, dass das Abwickeln im Hintergrund ein reibungsloses Funktionieren von Finanzmarktgeschäften garantiert. Seit der Finanzkrise hat das Clearing an Bedeutung gewonnen und es gilt als lukrativer Geschäftsbereich der Börsenbetreiber.

Früher wurden derartige Geschäfte einfach direkt zwischen den Handelspartnern verrechnet, heute sind die Clearing Häuser als „zentrale Gegenpartei“ eben Central Counter Party (CPP) zwischen Käufer und Verkäufer geschaltet, diese Regelung ist seit der Finanzkrise obligatorisch. Sollte eine der beiden Parteien ihren Verpflichtungen nicht nachkommen können, springt das Clearing Haus ein. Das verringert das Risiko und erhöht die Transparenz und Sicherheit im Derivatemarkt. Die Clearing Häuser – im Fachjargon CCPs genannt – sind quasi die zentralen, neutralen Mittler von Finanztransaktionen. Der Markt für außerbörslich gehandelte Derivate ist nach Schätzungen der EU-Kommission derzeit 544 Billionen Dollar schwer. Davon werden 62 Prozent über Clearinghäuser abgewickelt.

Was beinhaltet die neue Regelung?

Die EU will der EU-Marktaufsichtsbehörde ESMA (European Securities and Markets Authority) mehr Befugnisse gegenüber den nationalen Regulierern geben. In der ESMA will sie einen neuen Aufsichtsmechanismus einrichten, der sowohl für die Clearing Häuser in der EU als auch in Drittstaaten gelten soll. Sie schlägt die Einführung eines Zwei-Stufen-Systems für Clearing Häuser aus Drittstaaten vor. Diejenigen, die nicht als systemrelevant gelten – d.h., deren Kollaps die Stabilität des Finanzsystems nicht gefährden würde – dürfen weiter unter dem bisher geltenden Äquivalenz-Regime operieren. Die großen, wichtigen und systemrelevanten Clearing Häuser werden dagegen strikteren Auflagen unterworfen. Der Vorschlag sieht auch vor, dass die EU nach dem Brexit über den Abzug von Teilen des billionenschweren Derivatemarktes aus London entscheiden darf, allerdings klingt der entsprechende Passus weniger drastisch als erwartet. So soll die Brüsseler Behörde in der Frage der Umsiedlung des Geschäfts das letzte Wort haben, wenn das Volumen der in Euro abgewickelten Wertpapiere in einem sogenannten Clearing-Haus systemrelevant ist. Es fehlen allerdings präzise Angaben darüber,  welche Volumen als systemrelevant gelten sollen.

Inhalte der Reform

Was sieht die Reform im Einzelnen vor?

Die neuen Auflagen der EU sehen für Clearing-Häuser aus Drittstaaten vor, dass diese sich an die Bestimmungen halten müssen, die auch für Abwickler in der Eurozone gelten und gleichzeitig die Auflagen erfüllen, die in ihren Heimatstaaten festgelegt wurden. Sie sollen sich ferner verpflichten, ESMA alle relevanten Informationen zur Verfügung zu stellen und Kontrollbesuche zu ermöglichen. Derartige Befugnisse entsprechen dem Prinzip von US-Behörden, die schon jetzt das Recht haben, Dollar-Geschäfte in London unter die Lupe zu nehmen und sensible Daten einzusehen. Außerdem schlägt die EU-Kommission vor, dass die Abwickler eine Bestätigung der relevanten EU-Zentralbanken brauchen sollen, um zu beweisen, dass sie auch die weiteren zusätzlichen Auflagen erfüllen, die von diesen Notenbanken gefordert werden. Das betrifft zum Beispiel die Verfügbarkeit von Sicherheiten, die die Handelspartner bei den Clearing Häusern hinterlegen müssen oder bestimmte Liquiditätsanforderungen.  

Derivate-ABC für Einsteiger

Ist auch von einer Verlagerung des Clearing in die Euro-Zone die Rede?

Die ESMA soll entscheiden können, ob ein EU-externes Abwicklungshaus systemrelevant ist und hohe Volumen von in Euro ausgegebenen Derivaten verwaltet. Sollte dies der Fall sein, könnte die EU-Kommission in einem letzten Schritt anordnen können, das Geschäft zu verlagern. In dem Entwurf ist von einer begrenzten Zahl von systemrelevanten Clearing Häusern die Rede, die als so wichtig gelten können, das auch die in der Reform genannten verschärften Auflagen nicht ausreichen, um den potentielle Risiken entgegenzuwirken. In diesem Fall kann die EU-Kommission auf Antrag der ESMA und in Übereinstimmung mit der zuständigen Zentralbank entscheiden, dass dieses Clearing Haus nur dann Euro-Derivate abwickeln darf, wenn es eine physische Präsenz in der Eurozone etabliert.

Was meinen die Kritiker einer Verlagerung des Euroclearing?

Viele Großbanken, vor allem die US-Investmenthäuser in London hatten davor gewarnt. Sie meinen eine Fragmentierung der Clearing-Standorte führe zu höheren Kosten. Wie hoch diese Mehrkosten ausfallen könnten, wird diskutiert. Auch der Chef der Londoner Börse LSE, Xavier Rolet, wehrt sich vehement gegen eine Verlagerung.

Warum hat die EU jetzt Reformvorschläge für das Euro-Derivate-Clearing vorgelegt?

Es geht um den Brexit und um die Finanzstabilität. Denn nach dem EU-Austritt wird Großbritannien ein Drittland sein, die Europäische Zentralbank (EZB), die als Lender of Last Ressort agiert, hätte dann als Aufsichtsorgan womöglich kein Durchgriffsrecht auf die Londoner Clearing Häuser. Die Folgen einer Reform für die Kosten der Marktteilnehmer sind im Vergleich dazu weniger wichtig.

Was bedeutet die Vorschläge der EU-Kommission für den Finanzplatz London?

Eine große Mehrheit der Marktteilnehmer verrechnet ihre Euro-Derivate derzeit beim Londoner Clearinghaus LCH Clearnet, denn die Tochter der London Stock Exchange (LSE) wickelt derzeit den größten Teil aller Euro-Derivate und Zinsswaps ab. Insgesamt werden in London jeden Tag Geschäfte im Wert von rund 800 Milliarden Pfund abgewickelt – das sind Dreiviertel des gesamten globalen Geschäfts. Mit dem Brexit aber werden ganz neue Bedingungen geschaffen, LCH Clearnet könnte seine Zulassung als EU-Clearingstelle verlieren. LSE-Chef Xavier Rolet meint, dass in einem solchen Fall etwa 100 000 Jobs in der britischen Finanzindustrie verloren gehen könnten.

Wohin könnte das Euroclearing wandern, wenn es in die Eurozone verlagert werden muss?

Kurz gesagt: nach Frankfurt und/oder nach Paris. Frankfurt mit der Deutsche-Börse-Sparte Eurex Clearing und Paris mit Clearnet SA hoffen, viele dieser Jobs anzulocken. Insgesamt gibt es in der EU - einschließlich Großbritannien - 17 gibt sogenannte Central Counterparties (CCPs), darüber hinaus operieren weitere 28 CCPs aus Drittländern unter einem System der gegenseitigen Anerkennung (Äquivalenz). Es gibt bereits jetzt globale Clearinghäuser, die eine Zulassung für das Euroclearing haben.

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