Finnland in der Krise Europas nächstes Problem kommt aus dem Norden

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Ende der Vorherrschaft

Doch seit Nokia wegbricht, wird klar, dass ansonsten fast nur eine Branche in Finnland noch von globaler Bedeutung ist: die Holz- und Papierindustrie. Es gehört nicht viel Fantasie dazu, um in Zeiten der allumfassenden Digitalisierung zu diagnostizieren, dass dieser Wirtschaftszweig als Ganzes ein Problem hat.

In den vergangenen Jahren mussten mehrere große Produktionsstätten schließen. Das ist vor allem deshalb ein Problem, weil diese Werke oft in sehr strukturschwachen Gebieten, zum Beispiel in Karelien entlang der russischen Grenze angesiedelt waren. Zwar hoffen die Konzerne wie UPM, mit neuen Produkten auf dem Feld der erneuerbaren Energien und sogar als Automobilzulieferer zu punkten, doch die Marktchancen dieser Produkte müssen sich erst weisen.

Psychologische Belastung

Auch psychologisch am schwierigsten zu verkraften aber ist es für die finnische Wirtschaft und Gesellschaft, mitansehen zu müssen, wie sie ihren Status als Technologieführer einbüßt. Anfang des Monats hatte Microsoft den größten Stellenabbau seiner Unternehmensgeschichte angekündigt, ein Teil davon wird die übernommenen Nokia-Angestellten treffen. Das Werk im nordfinnischen Oulu wird aller Voraussicht nach schließen.

Vor wenigen Tagen folgte der nächste Nackenschlag: Der US-amerikanische Telekommunikationskonzern Broadcom schließt sein ebenfalls in Oulu angesiedeltes Entwicklungszentrum. 600 Mitarbeiter dürften davon betroffen sein. Um die Bedeutung dieser Zahlen zu verstehen, muss man sie ins Verhältnis zur Größe des Landes mit seinen 5,5 Millionen Einwohnern setzen. In Deutschland übertragen entspricht diese Nachricht dem Wegfall von rund 12.000 Arbeitsplätzen – bei Opel in Bochum waren es zuletzt noch gut 5000.  

Auch die finnischen Regierungen haben in den vergangenen Jahren mehr falsch als richtig gemacht. Als historischer Fehler wird inzwischen das Stimuluspaket des Allparteien-Quartetts Ende 2008 gesehen. Im Angesicht der Krise verständigten sich die großen Parteien darauf, über mehrere Jahre insgesamt 20 Milliarden Euro zu investieren, um die Wirtschaft zu stützen.

Verweise auf die guten Erfahrungen aus den Neunzigerjahren, als das Land eine heftige Wirtschaftskrise mit Strukturreformen meisterte, ohne das Defizit antasten zu müssen, verhallten ungehört. Heute zeigt sich das Ergebnis: Das teuer erkaufte Wachstum ist längst verpufft, Reformen wurden aufgeschoben, nur die Schulden sind noch da und nähren sich selbst.

Hoffnungsvolle Signale

Die Lichtblicke hingegen muss man suchen, aber es gibt sie. Gerade hat die Ratingagentur Moody’s das Top-Rating AAA bestätigt und dabei vor allem auf die jüngste Reform der Sozialsysteme Bezug genommen. Zudem gibt es zumindest im Softwarebereich eine innovative Szene, aus der sich erste wirtschaftliche Impulse ergeben.

Jüngst hat Google das finnische Startup „DrawElements“  erworben, der Konkurrent Facebook hat in den vergangenen Wochen gar schon zwei finnische Softwarefirmen übernommen. Das sind hoffnungsvolle Signale, doch die volkswirtschaftliche Bedeutung ist noch gering.  

Für einen wirklich optimistischen Ausblick bleibt die besagte Internetseite „goodnewsfinnland“. Dort macht man sich dieser Tage mit Rankings aller Art Hoffnung. So sei Finnland das „viertinnovativste Land der Erde“, wie der „Global Innovation Index“ ergeben habe. Zudem sei es gesellschaftlich das „am wenigsten fragile Land der Erde“, wie der „Failed State Index“ ergeben habe. Trotz aller Zahlen bleibt die Lage des Landes also vorerst eine Frage der Betrachtungsweise.

Schon der Herbst könnte zeigen, welche Lesart sich dabei durchsetzt. Dann gibt es belastbare Wirtschaftsdaten für das erste Halbjahr, auch die Kreditratings werden erneuert. Auf den heißen Herbst könnte ein besonders finsterer Winter folgen.

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