Die Türkei erwartet nun mehr Tempo bei den EU-Beitrittsverhandlungen. Was ist hier zu erwarten?
Die Türkei will nur zu ihren Bedingungen der EU beitreten. Und die sind für die EU nicht hinnehmbar – Stichwort Demokratie, Stichwort Pressefreiheit. Aus europäischer Sicht gibt es aber noch etwas anderes zu bedenken: Die EU will ganz sicher keine Außengrenzen zu instabilen Ländern wie Syrien und Irak haben. Damit hat sich ein EU-Beitritt der Türkei erledigt.
Reaktionen zu möglichen Grenzschließungen
Anton Börner, Präsident des Außenhandelsverband BGA, warnt im "Tagesspiegel" vor Grenzschließungen. Rund 70 Prozent des deutschen Außenhandels würden innerhalb Europas abgewickelt. "Vor diesem Hintergrund werden sich die Kosten alleine für die internationalen Straßentransporte um circa drei Milliarden Euro verteuern."
"Durch Staus und Wartezeiten, zusätzliche Bürokratie oder zum Beispiel die Umstellung von Just-in-time-Lieferung auf deutlich teurere Lagerhaltung können sich die Kosten für die deutsche Wirtschaft schnell auf zehn Milliarden Euro pro Jahr summieren", mahnt DIHK-Geschäftsführer Martin Wansleben.
Der Vize-Präsident des Europaparlaments, Alexander Graf Lambsdorff (FDP), sagte der "Rheinischen Post": „Die Schließung der deutschen Grenzen wäre ein Debakel für die Flüchtlinge, für die Wirtschaft, aber auch für Millionen Pendler und Urlauber.“
"Verstärkte Kontrollen ist was anderes, aber eine komplette Schließung ist absolut illusorisch. Und man sollte den Leuten da keine Scheinlösungen anbieten“, sagte SPD-Generalsekretärin Katarina Barley im Deutschlandfunk.
"Wenn die Grenzen geschlossen würden, ist Schengen gefährdet. Das hat ebenfalls große Auswirkungen auf Deutschland, auf Arbeitsplätze in Deutschland", sagte der nordrhein-westfälische CDU-Landesvorsitzende Armin Laschet.
Warum dann überhaupt die Verhandlungen?
Die Türkei will Stärke demonstrieren. Erdogan möchte zeigen, dass man außenpolitisch ein derartiges Gewicht hat, wie noch nie in der Geschichte zuvor. Damit legitimiert er seine Macht nach innen.
Kann sich Europa eigentlich darauf verlassen, dass die Türkei ihre Zusagen einhält, wenn es zu einem Deal in der Flüchtlingskrise kommt?
Ja, davon gehe ich aus. Trotzdem ist die Türkei natürlich ein schwieriger Partner, zumal die Situation von der Dynamik des Syrien-Kriegs überlagert wird. Erdogan wird unvorhersehbare Entwicklungen und Wendungen für sich nutzen und den Europäern weitere Leistungen abverlangen.
Wie lange hält es die Türkei aus, Sammelbecken für syrische Flüchtlinge zu sein?
Mit den EU-Geldern kann die Türkei die Flüchtlinge besser in den Arbeitsmarkt und ins Bildungssystem integrieren. Erdogan geht es aber vor allem um eine politische Rechnung. Je mehr syrische Flüchtlinge in der Türkei sind, desto größer wird der Einfluss der Türkei für die Zeit nach dem Bürgerkrieg in Syrien.
Es ist im Interesse Erdogans mehr Flüchtlinge ins Land zu holen?
Natürlich war das so nicht gewollt, und für die Türkei ist es auch nicht einfach. Aber es nützt ihm politisch. Wenn der Krieg irgendwann vorbei ist, werden alle Kriegsparteien Bilanz ziehen. Die Kurden werden ihre Verdienste im Kampf gegen den Islamischen Staat betonen. Und die Türken werden sagen, dass sie ihrer humanitären Verantwortung nachgekommen sind und Europa in einer extrem schwierigen Lage geholfen haben. Wenn es dann darum geht, die Nachkriegsordnung zu gestalten, dürften die Türken gegenüber den Kurden im Vorteil sein. Das ist für Erdogan überaus wichtig.