Die ökonomischen Kosten der Ukraine-Krise steigen für alle Beteiligten. Putin kann eigentlich kein Interesse an einer Strategie der erneuten Konfliktverschärfung und möglichen Abspaltung der Ostukraine haben. Denn es entstünden daraus erhebliche Transferlasten, die sich Moskau kaum leisten kann. Zudem würden dann neue Sanktionen des Westens wirksam, die ihrerseits der russischen Wirtschaft enorm schaden würden.
Insgesamt sind die Folgekosten für Russland sehr hoch. Dass Wladimir Putin die Krise dennoch weiter schürt zeigt, dass wirtschaftliche Überlegungen für ihn nicht immer oberste Priorität haben.
Verlierer steht fest
Zwar besteht für die Ukraine immer noch die Chance auf eine Entspannung, die eine Sanktionsspirale mit Folgeschäden auch für die westlichen Volkswirtschaften verhindern kann. Aber selbst dann dürfte die russische Wirtschaft bereits als Verlierer feststehen. Sie wurde von dem Konflikt in einer Phase getroffen, in der sie ohnehin konjunkturell zu schwächeln begonnen hatte: Die Investitionstätigkeit war schon letztes Jahr rückläufig.
Die Investitionsunlust der Unternehmen ist erklärbar, wenn man den schlechten Zustand etwa der Verkehrsinfrastruktur im Lande und die Engpässe daraus betrachtet. Ein zuweilen unkalkulierbarer Rechtsrahmen und Eingriffe des Staates in die Preisbildung machen ihnen dort zusätzlich das Leben schwer.
Konsum auf Pump
Der Konsum hat zwar bis Ende letzten Jahres floriert. Ein großer Teil davon war aber kreditfinanziert, was die Notenbank schon früh im letzten Jahr moniert hat. Zins- und Tilgungsleistungen stellen immer mehr Privathaushalte vor Probleme. Als Anteil an den verfügbaren Einkommen haben diese Belastungen bereits eine Höhe von 20 Prozent erreicht. Zudem häufen sich jetzt Kreditausfälle. Eine Verlangsamung der Aktivitäten im Einzelhandel ist damit bereits seit letztem Jahr angelegt.
2013 erzielte Russland nur ein Wirtschaftswachstum von 1,3 Prozent; es war der schwächste Zuwachs seit der Krise von 2009, und er lag noch deutlich unter den ebenfalls enttäuschenden Raten anderer Schwellenländer. Auf diese Schwäche setzen nun die Belastungen aus dem Konflikt in der Ukraine auf.
Kursstürze an der Moskauer Aktienbörse und hohe Kapitalabflüsse ins Ausland belegen den Ernst der Lage und verursachen ihrerseits Folgewirkungen: Auf die Rubelschwäche nach den Ereignissen auf der Krim und den wechselkursbedingten Preissteigerungen im März und April musste die Notenbank bereits mehrfach die Leitzinsen anheben. Höhere Investitionen als Ausgleich sind kurzfristig nicht zu erwarten.
Teurer Import
Dabei ist der Investitionsbedarf immens, da der Kapitalstock vielerorts noch aus der Sowjetzeit stammt und langsam aber stetig erodiert. Zu viele Konsumgüter und mehr als die Hälfte der Lebensmittel muss Russland teuer importieren.
Dies ist nicht zuletzt eine Folge der Wirtschaftspolitik Putins. Er ist nach wie vor auf den Ressourcensektor fixiert, weil der „sichere“ Dividenden für den Staat liefert und sich auch als politisches Druckmittel eignet.
Droht ein Nullwachstum?
Damit sind auch Russlands Exporte sehr einseitig strukturiert: Etwa 70 Prozent entfallen allein auf Öl, Gas und andere Rohstoffe. Eine Diversifizierung tut dringend Not. Außer den genannten Primärgütern gibt es kaum russische Produkte, die am Weltmarkt nachhaltigen Erfolg hätten.
Dabei werden Sektoren wie etwa der Fahrzeugbau nun wohl stärker den Entzug westlichen Kapitals spüren. Damit kann Russland seine starke Position im Energiesektor eigentlich kaum ausspielen. Ein abgesperrter Gashahn wird für Deutschland und Europa zwar Versorgungsengpässe und Konjunkturbelastungen verursachen. Hauptleidtragender wäre aber die russische Wirtschaft selbst: Das Loch aus fehlenden Exporterlösen wäre kurzfristig kaum zu stopfen, auch nicht durch Gasgeschäfte mit China.
Russland - und die Ängste seiner Nachbarn
25 Prozent der Bevölkerung sind ethnische Russen. 2007 erlebte das High-Tech-Land einen schlimmen Hackerangriff wohl aus Russland – da wird die Krim-Krise zum Albtraum.
Ohne russisches Gas gehen rund um Riga die Lichter aus. Das wissen die zwei Millionen Letten, von denen mehr als ein Drittel Russisch als Muttersprache angibt.
Hier begann vor 25 Jahren der Zerfall der Sowjetunion, hier verschifft Russland heute viel Erdöl. Zum russischen Erdgas gibt es auch in Litauen bislang keine Alternative.
Russland fernhalten – das ist hier parteiübergreifende Staatsraison. Seit Jahren sehen sich die Polen als Fürsprecher der Ukraine in der Europäischen Union.
Die Annexion der Krim erinnert die Tschechen fatal an den sowjetischen Einmarsch in Prag vor 46 Jahren. Russland ist weit weg – das Gefühl der Bedrohung nicht.
Das Land musste 2009 tagelang ohne Gas auskommen – Kollateralschaden russischer Sanktionen gegen die Ukraine. Eine Neuauflage dieses Szenarios wäre bedrohlich.
Ohne eigene Energiequellen sind die Ungarn vom russischen Öl und Gas abhängig. Trotzdem subventioniert die Regierung großzügig den Stromverbrauch im Lande.
Was geschieht mit dem Land, wenn die 1,4 Millionen Ungarn in Siebenbürgen nach dem Muster der Krim-Russen die heutige Staatsgrenze infrage stellen?
Ohne Öl und Gas aus Russland würde das arme Land völlig zusammenbrechen – darum fürchtet die Regierung in Sofia nichts mehr als eine Verschärfung der Konfrontation.
Die Halbinsel ist ein Armenhaus. Im Verhältnis zur Bevölkerungszahl entsprach ihre Wirtschaftsleistung bisher kaum 40 Prozent des ukrainischen Durchschnitts. Wie Putin seinen neuen Untertanen den Aufschwung bescheren will, ist unklar.
Im Sommer 2014 hat das Land ein Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnet. Doch in der abtrünnigen Region Transnistrien stehen schon lange russische Truppen.
Ökonomisch orientiert sich das Land an Europa. Wegen des Konflikts um Südossetien hat Russland ein Embargo verhängt. Das wurde aber gerade gelockert.
Das arme Land hängt am Tropf Russlands. Moskau liefert billiges Gas, baut ein Atomkraftwerk – und unterstützt die Armenier im Grenzkonflikt mit Aserbaidschan.
Die ölreiche Staat drängt sich den Europäern als alternativer Lieferant auf, der Europa bei der Diversifizierung der Energieversorgung helfen kann. Das passt den Russen gar nicht.
Die neue Regierung drängt in Richtung EU, der Osten des Landes ist mit Russland verbandelt. Aber der Handel mit Russland nimmt ab, die Oligarchen sind auf West-Kurs.
Das unterentwickelte Land hat seine Pipelines an Russland verkauft und Raffinerien an Moskauer Banken verpfändet. Minsk ist abhängig von Moskau wie keine andere Regierung.
Peking will seinen wichtigen Partner Russland nicht verprellen. Doch Grenzverschiebungen wie auf der Krim machen China mit Blick auf Tibet und die Uiguren extrem nervös.
Im Norden des Landes gibt es viele Städte, in denen Russen die Mehrheit stellen. Kasachstan ist mit seinen Rohstoffen außerdem für Russland wirtschaftlich sehr attraktiv.
Der jüngste Deal mit Peking, der hier so viele Schlagzeilen gemacht hat, kommt überhaupt erst frühestens in vier Jahren ökonomisch zum Tragen. Zuvor sind viele Investitionen vorzufinanzieren. Ein Verzicht auf Erdgaserlöse aus dem Westen wäre auch deshalb schmerzlich, weil dadurch die Finanzierung des russischen Staatsbudgets gerade zu einem Zeitpunkt gefährdet wird, an dem sich hohe Kosten aus der Integration der Krim abzeichnen. Ein „Anschluss“ der Ostukraine würde diese Kosten noch potenzieren. Zudem liefe Russland bei weiteren Konfrontationen Gefahr, sich international noch mehr zu isolieren.
Das Land müsste dann auf viele Vorteile verzichten, die es seit den Neunzigerjahren durch die Einbindung in die Globalisierung nutzen kann – einschließlich der Teilnahme an den internationalen Finanzmärkten und der Freizügigkeit im Reiseverkehr.
Weiter schwach
Eine ernste Eskalation der Krise ist weiterhin nicht das Hauptszenario. Aber falls sich die Lage in der Ukraine zwar langsam, aber am Ende doch entschärft, bliebe die russische Wirtschaft in diesem Jahr und wohl auch danach hohen Belastungen ausgesetzt. Es ist absehbar, dass sie nicht nur im ersten Quartal zurück geworfen wurde, sondern auch im zweiten Quartal sehr schwach abgeschnitten hat.
Der Mix aus hohen Zinsen, Wechselkurseinbußen, teuren Importen und Kapitalabflüssen dürfte für Russland vorerst bestehen bleiben. Gleichzeitig wird sich die Binnenkonjunktur weiter schwer tun mit einer Erholung. Ein Wachstum von knapp ein Prozent erscheint für dieses Jahr nicht mehr realistisch, ein Nullwachstum sollte nicht überraschen.