Die Hoffnungen auf eine friedliche Lösung des Konfliktes in der Ukraine haben sich bislang leider nicht erfüllt. Im Gegenteil: Die Situation spitzt sich immer noch weiter zu und es gibt ständig neue Unruheherde. Die Vereinbarung von Genf hat keine Lösung gebracht. Nach wie vor besteht die Gefahr einer Eskalation. In einem solchen Fall würden wir hierzulande deutlich die Auswirkungen zu spüren bekommen. Mit welchen Einbrüchen müssten wir dann rechnen?
Eine weitere Verschärfung der Lage und ein Eingreifen russischer Truppen ist ein durchaus realistisches Risikoszenario. Eine solche Entwicklung hätte dann erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen zur Folge – auch auf Deutschland und die EU-Länder. Denn in diesem Fall würden die westlichen Länder wichtige Wirtschaftssanktionen beschließen. Ich gehe davon aus, das dann die Exporte von Deutschland und den anderen EWU-Länder nach Russland im laufenden Jahr um rund 25 Prozent und im Jahr 2015 um rund 50 Prozent zurückgehen würden.
Die russischen Gasexporte über das ukrainische Pipeline-Netz würden vermutlich zum Erliegen kommen. Die Energieexporte über die anderen Transportwege dürften dagegen weiterlaufen. Russland ist schließlich auf die Deviseneinnahmen angewiesen und viele westliche Länder auf das russische Gas. Aufgrund der verschlechterten Versorgungslage und der gestiegenen Unsicherheit werden jedoch dann die weltweiten Gaspreise anziehen. Ich rechne für den Fall dieses Risikoszenarios mit einem Preisanstieg beim Gas von rund 20 Prozent.
Die höheren Energiepreise, die Exportverbote (Sanktionen) und die negative Stimmung werden dann insgesamt zu einer erheblichen Dämpfung der Konjunktur in Europa führen. Das Wachstum in Deutschland würde bis Ende 2015 um rund 1,5 Prozent Punkte schlechter entwickeln als ohne diese Krise. Dabei gehen die negativen Konjunkturwirkungen sowohl von einem verringerten Außenhandelssaldo aus als auch von Einschränkungen des privaten Konsums aufgrund der steigenden Energiepreise und Einschränkungen bei den Unternehmensinvestitionen aufgrund der zu erwartenden Verschlechterung des Sentiments.
Für die Konjunktur im Euro-Raum insgesamt dürften sich die Auswirkungen etwa in derselben Größenordnung wie in Deutschland bewegen. Für die Euro Länder bedeutet das, dass die konjunkturelle Erholung zwar nicht abbricht, aber doch merklich gedämpft wird. Finnland und die baltischen Staaten träfen die Eskalation der Krise und mögliche Handelssanktion besonders hart.
Die wirtschaftlichen Verflechtungen der südeuropäischen Euro Länder mit Russland sind dagegen deutlich geringer. Am stärksten abhängig von russischem Gas ist Griechenland, das rund 54 Prozent seines Bedarfs durch entsprechende Importe deckt und über keine eigenen Erdgasvorkommnisse verfügt. Italien bezieht nur rund ein Viertel seiner Gasimporte aus Russland, während Spanien und Portugal kaum auf diese angewiesen sind.
Spürbare Folgen
Im Falle allgemeiner Visabeschränkungen für russische Bürger wäre in diesen Ländern auch noch der Tourismussektor erheblich betroffen. Im Falle Griechenlands kommen beispielsweise bereits rund fünf Prozent der Besucher aus Russland.
Schon bislang haben die Kapitalmärkte sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in Europa auf Hiobsbotschaften aus dem Dreieck Kreml – Kiew – Krim mit einer Flucht in die bekannten vermeintlichen „Sicheren Häfen“ reagiert. Vor allem US-Treasuries und Bonds sind gefragt gewesen. Gerade auf Meldungen über einen möglichen Gas-Boykott Russlands hat der Finanzmarkt zuletzt empfindlich reagiert. Ohne die Ukraine-Spannungen lägen die Zehnjahres-Renditen hierzulande und in Übersee wohl um 20 Basispunkte höher.
Eine weitere Zuspitzung der Krise dürfte die Risikoaversion rasant ansteigen lassen. Dies dürfte die Renditen weiter fallen lassen. Kurzfristig könnten hier sogar neue historische Renditetiefpunkte markiert werden. Die Aktienmärkte sollten ebenfalls sehr empfindlich reagieren, insbesondere vor dem Hintergrund des teilweisen sehr hohen Bewertungsniveaus. Der Dax könnte in einem solchen Szenario in Richtung 8500 Punkte fallen.
Um einen etwaigen Schock an den Finanzmärkten abzufedern und um durchaus mögliche Kettenreaktionen zu unterbinden, könnte die Europäische Zentralbank unterstützend tätig werden. Eine Leitzinssenkung auf null Prozent, ein erstmaliger negativer Einlagensatz und eine Ankündigung, die Vollzuteilungspolitik zu verlängern, scheinen in diesem Szenario wahrscheinlich. Diese Maßnahmen sollten dann einem allzu schnellen Wiederanstieg, gerade bei den Bundrenditen, entgegenwirken.
Eine weitere Zuspitzung der Krise in der Ukraine hätte also durchaus spürbare Folgen für die europäische Konjunktur, wie den Finanzmärkten. Deutschland käme wegen der sehr stabilen Konjunktur jedoch relativ gut durch diese Krise.
Falls jedoch in Folge sich wieder ein kalter Krieg zwischen Ost und West ausbilden sollte, würden alle verlieren. Vor diesem Hintergrund sollte man Gedanken über robuste föderale Strukturen in der Ukraine nicht sofort verwerfen. Vielmehr könnten diese den Raum bieten, die jetzigen Spannungen wieder in den Griff zu bekommen.