Folgen für Deutschland

Was passiert, wenn die Ukraine-Krise eskaliert?

Im Falle einer Eskalation der Ukraine-Krise würden wir die Auswirkungen hierzulande deutlich zu spüren bekommen, meint unser Gastautor. Womit wir in Deutschland rechnen müssten.

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Nach wie vor besteht die Gefahr einer Eskalation der Ukraine-Krise. Mit welchen wirtschaftlichen Auswirkungen müssten wir rechnen? Quelle: dpa

Die Hoffnungen auf eine friedliche Lösung des Konfliktes in der Ukraine haben sich bislang leider nicht erfüllt. Im Gegenteil: Die Situation spitzt sich immer noch weiter zu und es gibt ständig neue Unruheherde. Die Vereinbarung von Genf hat keine Lösung gebracht. Nach wie vor besteht die Gefahr einer Eskalation. In einem solchen Fall würden wir hierzulande deutlich die Auswirkungen zu spüren bekommen. Mit welchen Einbrüchen müssten wir dann rechnen?

Eine weitere Verschärfung der Lage und ein Eingreifen russischer Truppen ist ein durchaus realistisches Risikoszenario. Eine solche Entwicklung hätte dann erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen zur Folge – auch auf Deutschland und die EU-Länder. Denn in diesem Fall würden die westlichen Länder wichtige Wirtschaftssanktionen beschließen. Ich gehe davon aus, das dann die Exporte von Deutschland und den anderen EWU-Länder nach Russland im laufenden Jahr um rund 25 Prozent und im Jahr 2015 um rund 50 Prozent zurückgehen würden.

Ukraine geht wieder gegen Separatisten vor
Der "Anti-Terror-Einsatz" im Osten der Ukraine geht weiter. Die US-Regierung kündigte derweil an, rund 600 Soldaten nach Polen, Litauen, Lettland und Estland zu schicken. Pentagonsprecher John Kirby sagte, die im italienischen Vicenza stationierten Truppen sollten dort „in den nächsten Monaten und darüber hinaus“ an Übungen teilnehmen. Ziel sei eine „andauernde Präsenz“. Quelle: REUTERS
Die vom Westen unterstützte Regierung in Kiew geht davon aus, dass die Separatisten massiv von Russland unterstützt werden. Quelle: AP
Moskautreue Separatisten halten nach wie vor in mehreren Orten der Ost-Ukraine Verwaltungsgebäude besetzt. Sie fordern einen föderalen Staat mit weitgehenden Autonomierechten für das russisch geprägte Gebiet. Quelle: AP
Am Dienstag nahmen Hunderte Menschen in Slawjansk an der Beerdigung dreier prorussischer Kämpfer teil, die am Ostersonntag unweit der Stadt bei einer Schießerei getötet worden waren. Quelle: AP
Medienberichten zufolge wurde in Slawjansk zudem ein US-Journalist von bewaffneten prorussischen Kräften gefangen genommen. Das US-Magazin „Vice“ teilte mit, mit dem Außenministerium in Washington in Kontakt zu stehen, „um die Sicherheit und den Schutz für unseren Freund und Kollegen Simon Ostrovsky zu gewährleisten“. Quelle: AP
US-Außenminister John Kerry von Russland mehr Anstrengungen zur Beruhigung der Lage angemahnt. In einem Telefonat mit seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow zeigte er sich „zutiefst besorgt über den Mangel an positiven russischen Schritten zur Deeskalation“ im Osten des Landes. Quelle: AP
Zuvor hatte US-Vizepräsident Joe Biden bei einem Besuch in Kiew mit Hilfszusagen für die Ukraine der prowestlichen Führung demonstrativ den Rücken gestärkt. Er versprach der Ex-Sowjetrepublik politische und wirtschaftliche Hilfe. So sicherte das Weiße Haus dem nahezu bankrotten Land weitere Finanzmittel für den demokratischen Wandel zu. 50 Millionen US-Dollar sollten in das Land fließen, um etwa freie Wahlen und anstehende Verfassungsreformen zu unterstützen. Quelle: AP

Die russischen Gasexporte über das ukrainische Pipeline-Netz würden vermutlich zum Erliegen kommen. Die Energieexporte über die anderen Transportwege dürften dagegen weiterlaufen. Russland ist schließlich auf die Deviseneinnahmen angewiesen und viele westliche Länder auf das russische Gas. Aufgrund der verschlechterten Versorgungslage und der gestiegenen Unsicherheit werden jedoch dann die weltweiten Gaspreise anziehen. Ich rechne für den Fall dieses Risikoszenarios mit einem Preisanstieg beim Gas von rund 20 Prozent.

Die höheren Energiepreise, die Exportverbote (Sanktionen) und die negative Stimmung werden dann insgesamt zu einer erheblichen Dämpfung der Konjunktur in Europa führen. Das Wachstum in Deutschland würde bis Ende 2015 um rund 1,5 Prozent Punkte schlechter entwickeln als ohne diese Krise. Dabei gehen die negativen Konjunkturwirkungen sowohl von einem verringerten Außenhandelssaldo aus als auch von Einschränkungen des privaten Konsums aufgrund der steigenden Energiepreise und Einschränkungen bei den Unternehmensinvestitionen aufgrund der zu erwartenden Verschlechterung des Sentiments.

Stefan Bielmeier ist seit 2010 der Chefvolkswirt und Leiter Research der DZ Bank, dem Zentralinstitut von mehr als 900 Genossenschaftsbanken. (zum Vergrößern bitte anklicken) Quelle: Presse

Für die Konjunktur im Euro-Raum insgesamt dürften sich die Auswirkungen etwa in derselben Größenordnung wie in Deutschland bewegen. Für die Euro Länder bedeutet das, dass die konjunkturelle Erholung zwar nicht abbricht, aber doch merklich gedämpft wird. Finnland und die baltischen Staaten träfen die Eskalation der Krise und mögliche Handelssanktion besonders hart.

Die wirtschaftlichen Verflechtungen der südeuropäischen Euro Länder mit Russland sind dagegen deutlich geringer. Am stärksten abhängig von russischem Gas ist Griechenland, das rund 54 Prozent seines Bedarfs durch entsprechende Importe deckt und über keine eigenen Erdgasvorkommnisse verfügt. Italien bezieht nur rund ein Viertel seiner Gasimporte aus Russland, während Spanien und Portugal kaum auf diese angewiesen sind.

Spürbare Folgen

Wo Anleger auf der Hut sein sollten
Mit der Krisenampel frühzeitig gewappnet sein Die Krisenampel ist ein Frühwarnsystem, um negative Auswirkungen auf die Kapitalanlage zu prognostizieren. Entwickelt wurde das Warnsystem von der Quirin Bank und dem Analysehaus Future Value Group. Rot signalisiert dabei eine akute Krise, grün hingegen steht für eine aktuell entspannte Situation. Gelb zeigt eine möglicheerweise drohende Krise an und sollte als Alarm verstanden werden. Quelle: Handelsblatt Online
Negative RealzinsenDie Zentralbanken halten durch Ihre zwar rückläufigen aber nach wie vor erheblichen Interventionen das Zinsumfeld weiter künstlich niedrig. Gegenüber ihren zwischenzeitlichen Höchstständen zum Jahreswechsel 2013 / 2014 haben sich so die Renditen für Staatsanleihen tendenziell wieder reduziert (so liegt die Rendite z. B. zehnjähriger deutscher Staatsanleihen aktuell nur noch bei 1,66 %, die des US-Pendants weiter deutlich höher aber ebenfalls rückläufig bei 2,74 %). Die Gefahr eines plötzlich stark steigenden Realzinses (also der nominalen Zinsen nach Abzug der Inflation) ergibt sich somit auch weiterhin nicht. Auch die Inflationsraten haben sich stabilisiert (im Februar lag die Inflation in Deutschland fast unverändert bei 1,2 %), so dass auch von dieser Seite kein sprunghafter Anstieg des Realzinsniveaus droht.Ampel: Grün, seit 31.05.2013 Quelle: dpa
WährungskriseDer Kurs des Euro gegenüber dem US-Dollar bleibt weiter überaus fest. Aktuell überschreitet er mit einer Notierung von gut 1,3840 selbst die zwischenzeitlichen Höchststände vom Jahreswechsel. Trotz der nach wie vor ungelösten Euro-Problematik scheint der Kurs der Gemeinschaftswährung nach wie vor deutlich von den Beruhigungstendenzen im gemeinsamen Währungsraum zu profitieren. Selbst Kapitalmarktturbulenzen, wie sie im Februar in Bezug auf die Schwellenländer auftraten, die üblicherweise mit einer US-Dollar-Stärke einhergehen, konnten bislang an dieser trendmäßigen Entwicklung wenig ändern.Ampel: Grün, seit 31.05.2013 Quelle: dpa
StaatsschuldenkriseEin weiteres Mal hat die Wirtschaftspolitik in den USA die sicherlich schmerzhafte Diskussion um eine Absenkung der enormen Staatsverschuldung umgangen und die Schuldenobergrenze für den Bundeshaushalt erneut erhöht. Die in den vergangenen Jahren bereits mehrfach geführte Diskussion um Sparmaßnahmen und Ausgabenkürzungen wird so mindestens bis ins nächste Frühjahr verschoben. Der Stand der US-amerikanischen Staatsverschuldung lag im letzten Jahr den Angaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) gemäß bei fast 106 % gemessen an der jährlichen Wirtschaftsleistung (BIP). Für die Euro-Zone insgesamt betrug diese Quote im gleichen Zeitraum knapp 96 %.Ampel: Gelb, seit 31.05.2013 Quelle: dpa
BankenkriseAufgrund der vielfältigen sonstigen wirtschaftspolitischen und auch außenpolitischen Themen – etwa in der Ukraine – richtet sich derzeit kaum Aufmerksamkeit auf den bevorstehenden Banken-Stresstest in Europa. Die EZB beteuert kontinuierlich, in jedem Fall stützend in den europäischen Bankensektor eingreifen zu können. Dies unterstreicht auch, dass die EZB mögliche Verwerfungen nach schlechten Ergebnissen befürchtet. Eine Entwarnung kann deshalb noch nicht gegeben werden. Die Bond-Spread-Indikatoren als Basis für die Krisenampel-Schaltung verharren derzeit weiter im „gelben“ Bereich.Ampel: Gelb, seit 31.05.2013 Quelle: dpa
Versorgungs- und RohstoffpreiseTrotz der fortwährenden Verschärfung der Krim-Krise und ihrer möglichen Implikationen für die Versorgung großer Teile Europas mit Energierohstoffen (s. dazu auch unter „Transport- und Handelskrise“), zeigen sich die entsprechenden Preise an den Spot-Märkten derzeit weitgehend unbeeindruckt. So notierte Rohöl der europäischen Sorte Brent zuletzt mit knapp 108 US-Dollar je Barrel noch deutlich unter den Ständen zum Jahreswechsel (die US-Sorte WTI hat sich hingegen – vermutlich wegen teils enttäuschter Hoffnungen auf die Preiseffekte des sogenannten „Fracking“ – auf zwischenzeitlich fast 105 US-Dollar verteuert).Ampel: Grün, seit 20.12.2013 Quelle: dpa-dpaweb
Verbraucherpreis-InflationDie Nominal- und Reallohnentwicklung in Deutschland ist weiter unterdurchschnittlich. So teilte das Statistische Bundesamt Ende Februar mit, dass die Nominallöhne im Jahr 2013 durchschnittlich um lediglich 1,3 % gestiegen sind. Angesichts einer jahresdurchschnittlichen Inflationsrate von 1,5 % in 2013 sind damit die Reallöhne in Deutschland im Jahr 2013 erstmals seit 2009 wieder gefallen. Eine Nachfrageinflationskrise zeichnet sich daher momentan immer weniger ab.Ampel: Grün, seit 31.05.2013 Quelle: dpa

Im Falle allgemeiner Visabeschränkungen für russische Bürger wäre in diesen Ländern auch noch der Tourismussektor erheblich betroffen. Im Falle Griechenlands kommen beispielsweise bereits rund fünf Prozent der Besucher aus Russland.

Schon bislang haben die Kapitalmärkte sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in Europa auf Hiobsbotschaften aus dem Dreieck Kreml – Kiew – Krim mit einer Flucht in die bekannten vermeintlichen „Sicheren Häfen“ reagiert. Vor allem US-Treasuries und Bonds sind gefragt gewesen. Gerade auf Meldungen über einen möglichen Gas-Boykott Russlands hat der Finanzmarkt zuletzt empfindlich reagiert. Ohne die Ukraine-Spannungen lägen die Zehnjahres-Renditen hierzulande und in Übersee wohl um 20 Basispunkte höher.

Eine weitere Zuspitzung der Krise dürfte die Risikoaversion rasant ansteigen lassen. Dies dürfte die Renditen weiter fallen lassen. Kurzfristig könnten hier sogar neue historische Renditetiefpunkte markiert werden. Die Aktienmärkte sollten ebenfalls sehr empfindlich reagieren, insbesondere vor dem Hintergrund des teilweisen sehr hohen Bewertungsniveaus. Der Dax könnte in einem solchen Szenario in Richtung 8500 Punkte fallen.

Um einen etwaigen Schock an den Finanzmärkten abzufedern und um durchaus mögliche Kettenreaktionen zu unterbinden, könnte die Europäische Zentralbank unterstützend tätig werden. Eine Leitzinssenkung auf null Prozent, ein erstmaliger negativer Einlagensatz und eine Ankündigung, die Vollzuteilungspolitik zu verlängern, scheinen in diesem Szenario wahrscheinlich. Diese Maßnahmen sollten dann einem allzu schnellen Wiederanstieg, gerade bei den Bundrenditen, entgegenwirken.

Eine weitere Zuspitzung der Krise in der Ukraine hätte also durchaus spürbare Folgen für die europäische Konjunktur, wie den Finanzmärkten. Deutschland käme wegen der sehr stabilen Konjunktur jedoch relativ gut durch diese Krise.

Falls jedoch in Folge sich wieder ein kalter Krieg zwischen Ost und West ausbilden sollte, würden alle verlieren. Vor diesem Hintergrund sollte man Gedanken über robuste föderale Strukturen in der Ukraine nicht sofort verwerfen. Vielmehr könnten diese den Raum bieten, die jetzigen Spannungen wieder in den Griff zu bekommen.

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