François Fillon Frankreichs Rechte trumpft auf

Ex-Premierminister François Fillon setzt sich souverän durch. Vor wenigen Wochen war er noch ein Außenseiter, in den eigenen Reihen umstritten. Deutschland muss sich auf einen Kandidaten einstellen, der kein Entgegenkommen in Flüchtlings- und Europafragen zeigen wird.

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Welche Parteien mit Anti-Flüchtlingspolitik punkten wollen
Marine Le Pen, Chefin des rechtsextremen Front National (FN) in Frankreich Quelle: REUTERS
Niederländischer Rechtspopulist Geert Wilders Quelle: AP
Matteo Salvini, Chef der rechtspopulistische Lega Nord in Italien Quelle: AP
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban Quelle: REUTERS
Alle großen Parlamentsparteien Tschechiens von links bis rechts sind gegen die Aufnahme einer größeren Zahl von Flüchtlingen. Die Regierung in Prag schickte Hunderte Polizisten an die Grenze zu Österreich und kämpft gegen dauerhafte EU-Flüchtlingsquoten. Am rechten Rand verbündete sich die Splitterpartei „Morgenröte“ mit der Bewegung „Block gegen den Islam“. Auch Europaskeptiker um den früheren Präsidenten Vaclav Klaus (hier im Bild) versuchen, mit dem Thema zu punkten. In einem Jahr finden in Tschechien Kommunal- und Teilwahlen zum Senat statt. Quelle: AP
Polens Regierungschefin Ewa Kopacz Quelle: dpa
Plakat der Schweizerischen Volkspartei Quelle: dpa

Frankreichs Konservative haben eine riskante Wahl getroffen: Mit François Fillon schicken sie einen Politiker in das Rennen um den Posten des Staatschefs, dessen Pläne selbst in den eigenen  Reihen höchst umstritten sind. Wenngleich am gestrigen Sonntag gut 66 Prozent der rund vier Millionen Teilnehmer Fillon ihre Zustimmung bei den Vorwahlen der Konservativen aussprachen, muss der 62-Jährige bis zur Präsidentschaftswahl im April und Mai 2017 insgesamt 43 Millionen Wahlberechtigte ansprechen. Das dürfte dem Hardliner weit schwerer fallen als seinem unterlegenen Konkurrenten Alain Juppé, der sich bis zuletzt als Versöhner einer gespaltenen Gesellschaft präsentiert hatte. Profitieren könnte davon ausgerechnet die Rechtsnationalistin Marine le Pen. Deutschland muss sich auf jeden Fall auf Präsidentschaftskandidaten einstellen, die kein Entgegenkommen in Flüchtlings- und Europafragen zeigen werden und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zugeneigt sind.

Wie tief die Gräben selbst bei den konservativen Republikanern sind, zeigte sich am Sonntagabend bald nach Bekanntwerden der Wahlergebnisse. Bei dem vorab geplanten Handschlag vor den Kameras blickten sich Fillon und Juppé nicht einmal in die Augen. Juppé wandte sich gleich darauf ab. Fillon steckte die rechte Hand sofort in die Hosentasche, als sei sie schmutzig.

In seiner Rede, in der er seine Niederlage eingestand, wünschte Juppé Frankreich „viel Glück“, nicht etwa Fillon, und kündigte seinen Rückzug auf sein Bürgermeisteramt in Bordeaux an. „Wenn sich Juppé nach Bordeaux zurückzieht, schwächt das Fillon,“ ist Gaël Sliman überzeugt. Der Chef des französischen Meinungsforschungsinstituts Odaxa gibt zu bedenken, dass im nächsten Frühjahr „nicht nur Rentner und nicht nur rechte Wähler“ abstimmen werden.

Aktuelle Umfrage

Von der gestrigen zweiten Runde der Stichwahl sind zwar noch keine Details bekannt. In der ersten Runde vor einer Woche waren die Hälfte der Fillon-Wähler Rentner. Sie sind nur in Maßen betroffen vom wirtschaftlichen Reformprogramm des ehemaligen Premierministers unter Staatschef Nicolas Sarkozy.

Es sieht neben der Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 22 Prozent, der Abschaffung der Vermögenssteuer und der Senkung der Unternehmenssteuern unter anderem die Erhöhung des Renteneintrittsalters von 62 auf 65 Jahre vor. Darüber hinaus die Streichung von 500.000 Beamtenstellen und die Erhöhung der Arbeitszeit im öffentlichen Dienst von 35 auf 39 Wochenstunden ohne entsprechenden finanziellen Ausgleich. Auch in der Privatwirtschaft soll die gesetzlich geregelte 35-Stunden-Woche fallen zu Gunsten von Absprachen auf Betriebsebene. Die staatliche Krankenversicherung soll nur bei der Behandlung von schweren Krankheiten und Langzeitleiden einspringen.

So funktioniert die Vorwahl bei Frankreichs Konservativen

Mit dieser „kompletten Änderung der Software“, wie Fillon das nennt, verspricht der Kandidat, binnen fünf Jahren 100 Milliarden Euro an Staatsausgaben zu sparen und das wirtschaftsschwache Frankreich binnen zehn Jahren zur Nummer 1 in Europa zu machen. Sein Programm für eine Gesellschaftsreform, das Familien und christliche Werte in den Mittelpunkt stellt, kommt derweil insbesondere im ländlichen Frankreich an. Dort fühlen sich die Bewohner seit Jahren von der politischen Elite in Paris übergangen.

Hunderttausende erbitterte Gegner von Ehe-ähnlichen Gemeinschaften, von Homo-Ehe und Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare rührten in den vergangenen Wochen in den sozialen Netzwerken die Trommel für den fünffachen Vater und praktizierenden Katholiken. Am Freitagabend, bei der letzten großen Wahlveranstaltung vor der Stichwahl, bekam er den meisten Applaus, als er ins Publikum rief, Ausländer hätten „zuerst Pflichten, bevor sie Rechte beanspruchen können“ und ankündigte, „Immigration ohne Assimilierung muss aufhören“.

Dagegen liest sich der jüngste Leitantrag der CSU zum Islam liberal. Die AfD kann sich dagegen künftig auf einen weiteren prominenten Mitstreiter in Europa berufen. Wer auch immer im nächsten Herbst ins Berliner Kanzleramt einzieht, muss Frankreich sowohl als Partner bei einer Verteilung von Flüchtlingen innerhalb Europas abhaken als auch bei dem Versuch, Russland als Mitverantwortlichen für die Ursachen der Flucht aus Syrien zu sanktionieren.

Fillon will zwar nicht raus aus dem Euro und womöglich auch der EU wie le Pen. Doch er will mehr Souveränität bei den einzelnen Staaten und die Macht der EU-Kommission in Brüssel beschneiden. Die Neuverschuldung Frankreichs soll, Sparprogrammen zum Trotz, 2017 noch bei 4,7 und im Jahr darauf bei 4,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen.

Für die deutschen Anrainer des ältesten französischen Atomkraftwerks Fessenheim hat Fillon noch eine besonders schlechte Nachricht: Die geplante Stilllegung will er ebenso rückgängig machen wie auch die Reduzierung des Anteils der Atomkraft von derzeit 75 auf 50 Prozent der Stromversorgung in Frankreich.

Die Wahl entscheidet sich rechts

Fillon, das sei Sarkozy in präsentabler Form, hieß es in den vergangenen Tagen bei den konservativen Republikanern. Die Vorhaben sind ähnlich wie die von Sarkozy, der bereits in der ersten Runde der Vorwahlen ausschied. Aber der Mann, der sie nun vertritt, weiß sich gewählt und ruhig auszudrücken. Bei den Vorwahlen der der Sozialisten von 2011 - den ersten Vorwahlen überhaupt in Frankreich - hatten sich die Wähler strategisch für den gemäßigteren der beiden Stichwahlkandidaten entschieden - für denjenigen, dem sie zutrauten, nicht nur traditionell linke Wähler anzusprechen, sondern auch aus der politischen Mitte Frankreichs. Etwa enttäuschte ehemalige Wähler des damaligen konservativen Staatschefs Sarkozy. Sie schickten mit deutlichem Stimmenvorsprung François Hollande ins Rennen und erteilten der weiter links positionierten Martine Aubry eine Abfuhr. Hollande gewann die Präsidentschaftswahl im Mai 2012.

Frankreichs Konservative wagen den riskanteren Weg. Fillons Gegner schießen sich ein auf einen Kandidaten, den sie als ultraliberal, ultrakonservativ und ultra-antisozial brandmarken. Das gilt nicht nur für die politische Linke in Frankreich und für Gewerkschaften, deren Macht er als Präsident brechen will, im Zweifelsfall auch mit der Entsendung der Polizei in die Betriebe. Der rechtsnationale Front National (FN) von Marine le Pen fürchtet zwar durchaus die politische Schnittmenge zu Fillon, was die Themen Immigration, Kampf gegen den Islamismus, Putins Syrien-Politik oder das Glück von Herrn und Frau Jedermann angeht.

Das ist Marine Le Pen

Doch warum sollten die 68 Prozent FN-Wähler, die bei den Regionalwahlen vor knapp einem Jahr aus Protest gegen die vergleichsweise harmlosen Reformen unter dem sozialistischen Präsidenten Hollande zu den Rechtsnationalen überliefen, plötzlich für Fillon stimmen? Da ist es, kalkuliert le Pen durchaus nicht realitätsfern, doch viel bequemer, eine Frau zu wählen, die das Renteneintrittsalter wieder auf 60 Jahre senken will, Geringverdienern 200 Euro mehr pro Monat verspricht und Frankreich mit Importzöllen vor der verhassten Globalisierung zu schützen gedenkt.

Von der Linken ist keine Abhilfe zu erhoffen. Sie kegelt sich gerade selbst aus dem Spiel: Sie macht den erschreckend gleichen Fehler wie 2002, als Lionel Jospin in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl gegen sieben Gegenkandidaten um die Gunst ähnlich orientierter Wähler kämpfen musste - und mit gerade einmal 16,2 Prozent ausschied. In die Stichwahl gegen Jacques Chirac gelangte stattdessen Marine le Pens Vater Jean-Marie.

Vergebens drängt der sozialistische Parlamentspräsident Claude Bartolone nun darauf, die Kräfte zu einen und bei Vorwahlen der Linken einen gemeinsamen Kandidaten zu bestimmen. Am Wochenende kürten die Kommunisten Jean-Luc Mélenchon zu ihrem Kandidaten. Die ehemalige Wohnungsbauministerin der sozialliberalen Parti Radical de Gauche (PRG), Sylvia Pinel, erklärte, ebenfalls am Wochenende, ihre Kandidatur keinerlei Vorwahlen unterwerfen zu wollen.

Zuvor hatten bereits Hollandes ehemaliger Wirtschaftsminister Emmanuel Macron und Frankreichs Grüne erklärt, mit eigenen Programmen anzutreten. Damit sind schon einmal vier Linke am Start, die Präsident Hollande und/oder Premierminister Manual Valls Stimmen streitig machen werden. Valls versucht nun, das Ruder noch herum zu reißen.

„Angesichts der Verunsicherung, des Zweifels, der Enttäuschung, der Vorstellung, dass die Linke keine Chance hat, will ich den Mechanismus durchbrechen, der uns in die Niederlage führen wird,“ sagte er der Sonntagszeitung „Le Journal de Dimanche“. Implizit fordert er damit Hollande auf, auf eine erneute Kandidatur zu verzichten. Bisher galten amtierende Staatschefs automatisch als Kandidaten für eine einmalige Wiederwahl. Angesichts der Unbeliebtheit Hollandes - nur noch vier Prozent der Franzosen sind mit seiner Arbeit einverstanden - müssten die Vorwahlen der Linken im Januar jedoch in „neuem Elan und neuer Hoffnung“ münden, so Valls.

Tatsächlich wäre der Law-and-Order-Mann, selbst Einwanderersohn, aber bis in die Haarspitzen assimiliert, wohl der einzige, der Fillon mit harter Hand gegen den Islamismus, aber einem wirtschaftlich gemäßigten Reformprogramm auf der linken Seite die Stirn bieten könnte. Doch wie die Dinge liegen, wird die Entscheidung allein rechts fallen.

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