Frankreichs Konservative haben eine riskante Wahl getroffen: Mit François Fillon schicken sie einen Politiker in das Rennen um den Posten des Staatschefs, dessen Pläne selbst in den eigenen Reihen höchst umstritten sind. Wenngleich am gestrigen Sonntag gut 66 Prozent der rund vier Millionen Teilnehmer Fillon ihre Zustimmung bei den Vorwahlen der Konservativen aussprachen, muss der 62-Jährige bis zur Präsidentschaftswahl im April und Mai 2017 insgesamt 43 Millionen Wahlberechtigte ansprechen. Das dürfte dem Hardliner weit schwerer fallen als seinem unterlegenen Konkurrenten Alain Juppé, der sich bis zuletzt als Versöhner einer gespaltenen Gesellschaft präsentiert hatte. Profitieren könnte davon ausgerechnet die Rechtsnationalistin Marine le Pen. Deutschland muss sich auf jeden Fall auf Präsidentschaftskandidaten einstellen, die kein Entgegenkommen in Flüchtlings- und Europafragen zeigen werden und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zugeneigt sind.
Wie tief die Gräben selbst bei den konservativen Republikanern sind, zeigte sich am Sonntagabend bald nach Bekanntwerden der Wahlergebnisse. Bei dem vorab geplanten Handschlag vor den Kameras blickten sich Fillon und Juppé nicht einmal in die Augen. Juppé wandte sich gleich darauf ab. Fillon steckte die rechte Hand sofort in die Hosentasche, als sei sie schmutzig.
In seiner Rede, in der er seine Niederlage eingestand, wünschte Juppé Frankreich „viel Glück“, nicht etwa Fillon, und kündigte seinen Rückzug auf sein Bürgermeisteramt in Bordeaux an. „Wenn sich Juppé nach Bordeaux zurückzieht, schwächt das Fillon,“ ist Gaël Sliman überzeugt. Der Chef des französischen Meinungsforschungsinstituts Odaxa gibt zu bedenken, dass im nächsten Frühjahr „nicht nur Rentner und nicht nur rechte Wähler“ abstimmen werden.
Aktuelle Umfrage
Der Kandidat der französischen Konservativen, Francois Fillon, würde einer Umfrage zufolge bei der nächsten Präsidentschaftswahl im Frühjahr die Chefin der rechtsextremen Partei Front National, Marine Le Pen, klar besiegen.
Der Wirtschaftsliberale dürfte bei einer Stichwahl 67 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen, Le Pen nur 33 Prozent, wie aus einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Harris Interactive vom 27. November 2016 hervorgeht. Insgesamt wurden rund 6000 Personen befragt.
Von der gestrigen zweiten Runde der Stichwahl sind zwar noch keine Details bekannt. In der ersten Runde vor einer Woche waren die Hälfte der Fillon-Wähler Rentner. Sie sind nur in Maßen betroffen vom wirtschaftlichen Reformprogramm des ehemaligen Premierministers unter Staatschef Nicolas Sarkozy.
Es sieht neben der Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 22 Prozent, der Abschaffung der Vermögenssteuer und der Senkung der Unternehmenssteuern unter anderem die Erhöhung des Renteneintrittsalters von 62 auf 65 Jahre vor. Darüber hinaus die Streichung von 500.000 Beamtenstellen und die Erhöhung der Arbeitszeit im öffentlichen Dienst von 35 auf 39 Wochenstunden ohne entsprechenden finanziellen Ausgleich. Auch in der Privatwirtschaft soll die gesetzlich geregelte 35-Stunden-Woche fallen zu Gunsten von Absprachen auf Betriebsebene. Die staatliche Krankenversicherung soll nur bei der Behandlung von schweren Krankheiten und Langzeitleiden einspringen.
So funktioniert die Vorwahl bei Frankreichs Konservativen
Erstmals bestimmen Frankreichs Konservative ihren Präsidentschaftskandidaten in einer offenen Vorwahl.
Abstimmen können alle Franzosen, die im Wählerregister stehen und sich per Unterschrift zu den Werten der bürgerlichen Rechten und des Zentrums bekennen. Wer wählen will, muss zwei Euro Kostenbeteiligung zahlen.
Es gibt zwei Runden, der erste Wahlgang findet am kommenden Sonntag (20. November) statt. In den französischen Überseegebieten kann schon einen Tag vorher abgestimmt werden. Wenn wie erwartet kein Kandidat mehr als 50 Prozent erreicht, gibt es eine Woche später die entscheidende Stichwahl zwischen den Bewerbern mit den meisten Stimmen.
Die Wahllokale schließen um 19.00 Uhr. Erste Ergebnisse sollen voraussichtlich im Laufe des Abends vorliegen.
Mit dieser „kompletten Änderung der Software“, wie Fillon das nennt, verspricht der Kandidat, binnen fünf Jahren 100 Milliarden Euro an Staatsausgaben zu sparen und das wirtschaftsschwache Frankreich binnen zehn Jahren zur Nummer 1 in Europa zu machen. Sein Programm für eine Gesellschaftsreform, das Familien und christliche Werte in den Mittelpunkt stellt, kommt derweil insbesondere im ländlichen Frankreich an. Dort fühlen sich die Bewohner seit Jahren von der politischen Elite in Paris übergangen.
Hunderttausende erbitterte Gegner von Ehe-ähnlichen Gemeinschaften, von Homo-Ehe und Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare rührten in den vergangenen Wochen in den sozialen Netzwerken die Trommel für den fünffachen Vater und praktizierenden Katholiken. Am Freitagabend, bei der letzten großen Wahlveranstaltung vor der Stichwahl, bekam er den meisten Applaus, als er ins Publikum rief, Ausländer hätten „zuerst Pflichten, bevor sie Rechte beanspruchen können“ und ankündigte, „Immigration ohne Assimilierung muss aufhören“.
Dagegen liest sich der jüngste Leitantrag der CSU zum Islam liberal. Die AfD kann sich dagegen künftig auf einen weiteren prominenten Mitstreiter in Europa berufen. Wer auch immer im nächsten Herbst ins Berliner Kanzleramt einzieht, muss Frankreich sowohl als Partner bei einer Verteilung von Flüchtlingen innerhalb Europas abhaken als auch bei dem Versuch, Russland als Mitverantwortlichen für die Ursachen der Flucht aus Syrien zu sanktionieren.
Fillon will zwar nicht raus aus dem Euro und womöglich auch der EU wie le Pen. Doch er will mehr Souveränität bei den einzelnen Staaten und die Macht der EU-Kommission in Brüssel beschneiden. Die Neuverschuldung Frankreichs soll, Sparprogrammen zum Trotz, 2017 noch bei 4,7 und im Jahr darauf bei 4,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen.
Für die deutschen Anrainer des ältesten französischen Atomkraftwerks Fessenheim hat Fillon noch eine besonders schlechte Nachricht: Die geplante Stilllegung will er ebenso rückgängig machen wie auch die Reduzierung des Anteils der Atomkraft von derzeit 75 auf 50 Prozent der Stromversorgung in Frankreich.
Die Wahl entscheidet sich rechts
Fillon, das sei Sarkozy in präsentabler Form, hieß es in den vergangenen Tagen bei den konservativen Republikanern. Die Vorhaben sind ähnlich wie die von Sarkozy, der bereits in der ersten Runde der Vorwahlen ausschied. Aber der Mann, der sie nun vertritt, weiß sich gewählt und ruhig auszudrücken. Bei den Vorwahlen der der Sozialisten von 2011 - den ersten Vorwahlen überhaupt in Frankreich - hatten sich die Wähler strategisch für den gemäßigteren der beiden Stichwahlkandidaten entschieden - für denjenigen, dem sie zutrauten, nicht nur traditionell linke Wähler anzusprechen, sondern auch aus der politischen Mitte Frankreichs. Etwa enttäuschte ehemalige Wähler des damaligen konservativen Staatschefs Sarkozy. Sie schickten mit deutlichem Stimmenvorsprung François Hollande ins Rennen und erteilten der weiter links positionierten Martine Aubry eine Abfuhr. Hollande gewann die Präsidentschaftswahl im Mai 2012.
Frankreichs Konservative wagen den riskanteren Weg. Fillons Gegner schießen sich ein auf einen Kandidaten, den sie als ultraliberal, ultrakonservativ und ultra-antisozial brandmarken. Das gilt nicht nur für die politische Linke in Frankreich und für Gewerkschaften, deren Macht er als Präsident brechen will, im Zweifelsfall auch mit der Entsendung der Polizei in die Betriebe. Der rechtsnationale Front National (FN) von Marine le Pen fürchtet zwar durchaus die politische Schnittmenge zu Fillon, was die Themen Immigration, Kampf gegen den Islamismus, Putins Syrien-Politik oder das Glück von Herrn und Frau Jedermann angeht.
Das ist Marine Le Pen
Marine Le Pen, Tochter des Politikers und FN-Gründers Jean-Marie Le Pen wurde am 5. August 1968 in Neuilly-sur-Seine geboren. Als Kind überlebte sie ein Attentat, das 1976 gegen das Wohnhaus der Familie verübt wurde. Die 46-Jährige war mit Geschäftsmann Franck Chauffroy verheiratet. Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor. Nach der Scheidung heiratete sie den FN-Funktionär Éric Lorio. Auch diese Ehe scheiterte. Marine Le Pen studierte in Paris Jura und erhielt 1992 die Anwaltszulassung. Bis 1998 war sie als Anwältin tätig. Besonders markant ist ihre dominante und und für eine Frau sehr tiefe Stimme.
Seit Marine Le Pen den Parteivorsitz inne hat, versucht sie frischen Wind in den „Front National“ zu bringen. So hat sie sich zum Ziel gesetzt, Anspielungen auf das Dritte Reich zu vermeiden, um das Bild einer rechtsextremen Partei loszuwerden. Dazu passt auch, dass sie sich stärker auf die Alltagsprobleme der Bürger fokussiert. Die hohe Arbeitslosigkeit und steigende Preise sind nun die neuen zentralen Themen. Ihre Rezepte zur Überwindung der Krise: Heimische Investoren sollen von einer Abwanderung abgehalten werden, Franzosen sollen bei der Jobsuche bevorzugt werden und das Land aus dem Euro austreten. Feindbild ist die "wilde Globalisierung".
Von 1998 bis 2004 war Marine Le Pen Abgeordnete im Parlament der Region Nord-Pas-de-Calais. Über ihren Wahlkreis Île-de-France zog sie 2004 ins Europaparlament ein. Nach Stationen im Regionalparlament der Île-de-France wurde sie 2011 an die Parteispitze des Front National gewählt. Bei der Präsidentenwahl 2012 wurde sie nach Hollande und Sarkozy drittstärkste. Zeitweise sahen Umfrageergebnisse, die im Magazin „Le Nouvel Observateur“ erschienen sind, den Front National als stärkste französische Partei. Seit der Europawahl im Mai 2014 ist sie Abgeordnete im Europäischen Parlament.
Eine explizite Feindschaft zum Islam gehört zu den zentralen Positionen Le Pens und ihrer Partei. Eine entsprechende Äußerung in einer Wahlkampfrede im Dezember 2010 brachte Le Pen ins Visier der Staatsanwaltschaft. Sie verglich öffentliche Gebete von Muslimen mit der deutschen Nazi-Besatzung. "Sicher geschieht dies ohne Panzer und ohne Soldaten, aber trotzdem ist es eine Besatzung, und betroffen sind die Einwohner", so Le Pen.
Doch warum sollten die 68 Prozent FN-Wähler, die bei den Regionalwahlen vor knapp einem Jahr aus Protest gegen die vergleichsweise harmlosen Reformen unter dem sozialistischen Präsidenten Hollande zu den Rechtsnationalen überliefen, plötzlich für Fillon stimmen? Da ist es, kalkuliert le Pen durchaus nicht realitätsfern, doch viel bequemer, eine Frau zu wählen, die das Renteneintrittsalter wieder auf 60 Jahre senken will, Geringverdienern 200 Euro mehr pro Monat verspricht und Frankreich mit Importzöllen vor der verhassten Globalisierung zu schützen gedenkt.
Von der Linken ist keine Abhilfe zu erhoffen. Sie kegelt sich gerade selbst aus dem Spiel: Sie macht den erschreckend gleichen Fehler wie 2002, als Lionel Jospin in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl gegen sieben Gegenkandidaten um die Gunst ähnlich orientierter Wähler kämpfen musste - und mit gerade einmal 16,2 Prozent ausschied. In die Stichwahl gegen Jacques Chirac gelangte stattdessen Marine le Pens Vater Jean-Marie.
Vergebens drängt der sozialistische Parlamentspräsident Claude Bartolone nun darauf, die Kräfte zu einen und bei Vorwahlen der Linken einen gemeinsamen Kandidaten zu bestimmen. Am Wochenende kürten die Kommunisten Jean-Luc Mélenchon zu ihrem Kandidaten. Die ehemalige Wohnungsbauministerin der sozialliberalen Parti Radical de Gauche (PRG), Sylvia Pinel, erklärte, ebenfalls am Wochenende, ihre Kandidatur keinerlei Vorwahlen unterwerfen zu wollen.
Zuvor hatten bereits Hollandes ehemaliger Wirtschaftsminister Emmanuel Macron und Frankreichs Grüne erklärt, mit eigenen Programmen anzutreten. Damit sind schon einmal vier Linke am Start, die Präsident Hollande und/oder Premierminister Manual Valls Stimmen streitig machen werden. Valls versucht nun, das Ruder noch herum zu reißen.
„Angesichts der Verunsicherung, des Zweifels, der Enttäuschung, der Vorstellung, dass die Linke keine Chance hat, will ich den Mechanismus durchbrechen, der uns in die Niederlage führen wird,“ sagte er der Sonntagszeitung „Le Journal de Dimanche“. Implizit fordert er damit Hollande auf, auf eine erneute Kandidatur zu verzichten. Bisher galten amtierende Staatschefs automatisch als Kandidaten für eine einmalige Wiederwahl. Angesichts der Unbeliebtheit Hollandes - nur noch vier Prozent der Franzosen sind mit seiner Arbeit einverstanden - müssten die Vorwahlen der Linken im Januar jedoch in „neuem Elan und neuer Hoffnung“ münden, so Valls.
Tatsächlich wäre der Law-and-Order-Mann, selbst Einwanderersohn, aber bis in die Haarspitzen assimiliert, wohl der einzige, der Fillon mit harter Hand gegen den Islamismus, aber einem wirtschaftlich gemäßigten Reformprogramm auf der linken Seite die Stirn bieten könnte. Doch wie die Dinge liegen, wird die Entscheidung allein rechts fallen.