Frankreich Deutschland wird Macron wenig abschlagen können

Marine Le Pen oder Emmanuel Macron: Wer wird der nächste französische Präsident? Am Sonntag haben die Franzosen die Wahl. Beide müssen dringend nötige Reformen angehen. Macron holt sich prominente Unterstützung.

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"Die Mitte ist stärker, als die Populisten glauben"
Nach Ansicht von Kanzleramtschef Peter Altmaier hat das französische Wahlergebnis gezeigt, dass "die Mitte stärker ist als die Populisten glauben". Er twittert: "Das Ergebnis für @EmmanuelMacron zeigt: Frankreich UND Europa können gemeinsam gewinnen!" Quelle: dpa
Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht hat das gute Abschneiden des sozialliberalen Präsidentschaftskandidaten Emmanuel Macron in Frankreich bedauert. Wäre der Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon in die Stichwahl gekommen, hätte die französische Bevölkerung eine echte Alternative, sagte Wagenknecht der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. „Der ehemalige Investmentbanker Macron dagegen steht für die Fortsetzung und Verschärfung genau jener Politik des Sozialabbaus und forcierter Privatisierungen, die den reaktionären Front National Le Pens erst stark gemacht hat und absehbar weiter stärken wird“, sagte Wagenknecht. Macron zieht Hochrechnungen zufolge mit der Rechtspopulistin Marine Le Pen am 7. Mai in die Stichwahl um das Präsidentenamt. Er gilt als Favorit. Wagenknecht gratulierte Mélenchon „zu seinem grandiosen Ergebnis“. Quelle: dpa
SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann sieht den Erfolg des linksliberalen Präsidentschaftskandidaten Emmanuel Macron im ersten Wahlgang in Frankreich auch als Auftrag für die Parteien in Deutschland. „Nach den Niederländern haben nun auch die Franzosen den Europafeinden mehrheitlich eine Absage erteilt: Europa wählt europäisch“, sagte Oppermann der Deutschen Presse-Agentur. Er sei sehr zuversichtlich, dass sich Macron auch in der Stichwahl in zwei Wochen durchsetzen werde. „Nun gilt es in Deutschland dafür zu kämpfen, dass die immer weiter nach rechts driftende AfD nicht in den Bundestag einzieht.“ Quelle: dpa
Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini hat den Wahlerfolg des französischen Präsidentschaftskandidaten Emmanuel Macron begrüßt. „Zu sehen, wie die Flaggen Frankreichs und der EU das Ergebnis von Emmanuel Macron begrüßen - das ist die Hoffnung und die Zukunft unserer Generation“, schrieb die Politikerin am Sonntagabend bei Twitter. Quelle: AP
AfD-Chefin Frauke Petry hat der Vorsitzenden der rechtsextremen Front National, Marine Le Pen, zum Einzug in die Stichwahl in Frankreich gratuliert. Die Abstimmung habe gezeigt, dass Frankreich ebenso wie Deutschland „den Mehltau aus Stagnation und übertriebener politischer Korrektheit eine deutliche Ablehnung erteilt und sich Alternativen wünscht“, meinte die nach dem Kölner AfD-Parteitag vom Wochenende angeschlagene Bundes- und sächsische Landesvorsitzende am Montag in Dresden. Viele Bürger hätten für Le Pen gestimmt, weil sie einen Umbau wollten. „Ich freue mich mit ihr zusammen über dieses klare Signal an die Spitzen der EU und auch an bundesdeutsche Politiker, dass ihre Politik des Ausgrenzens und Stigmatisierens der Wähler inzwischen als das gesehen wird, was es in Wahrheit ist: eine übermoralisierende Impertinenz“, sagte Petry. Quelle: dpa
Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner hat sich nach den ersten Hochrechnungen zur Präsidentenwahl in Frankreich optimistisch gezeigt. „Ein Signal für Europa, ein Signal der Erneuerung“, twitterte der Politiker am Sonntagabend nach ersten Hochrechnungen. „Emmanuel Macron macht auch Deutschland Mut.“ Quelle: dpa
„Ich bin sicher, er wird der neue französische Präsident“, sagte Außenminister Sigmar Gabriel am Sonntag in der jordanischen Hauptstadt Amman. „Er war der einzige pro-europäische Kandidat, der sich nicht versteckt hat hinter Vorurteilen gegenüber Europa.“ Macron sei ein „toller Präsidentschaftskandidat“, aber auch „ein ungeheuer sympathischer Mensch und ein guter Freund“. Quelle: dpa

Jean Pisani-Ferry, 65, ist ein schmaler Herr mit eleganter Brille, mit jeder Faser seines Wesens strahlt er Kompetenz und Erfahrung aus. Kein Wunder: Pisani-Ferry war schon Berater von Ministern und EU-Kommissionspräsidenten, er hat eine renommierte Denkfabrik aufgebaut, sein Vater, sein Großvater und sein Urgroßonkel bekleideten hohe Ämter in der französischen Politik. So ein Mann weiß, dass man mit Zurückhaltung und Höflichkeit politisch meist weiter kommt als mit Lautstärke – selbst wenn man als oberster Wirtschaftsberater gerade Wahlkampf für einen 39 Jahre alten Präsidentschaftskandidaten macht, Emmanuel Macron.

Wirtschaftspolitische Pläne von Emmanuel Macron

Also blieb Pisani-Ferry auch ganz ruhig, als er vor wenigen Tagen in Paris mit dem französischen Ungleichheitsökonomen Thomas Piketty die Zukunft der EU diskutierte. Piketty drosch kräftig auf Deutschland ein, was beim Publikum gut ankam. Dort sieht man die Schuld für Frankreichs aktuelle Schwäche in der vermeintlichen deutschen Dominanz in Europa. Doch Pisani-Ferry ließ sich kein böses Wort über den starken Nachbarn entlocken. „Pif“, wie ihn viele Franzosen nennen, sagte: „Ich glaube, die Voraussetzung für vernünftige Diskussionen mit Deutschland ist, dass wir unsere eigenen Probleme in Angriff nehmen.“

Es sind solche Sätze, die Pisani-Ferry wie das wirtschaftspolitische Gewissen des jungen Hoffnungsträgers Macron erscheinen lassen – der nicht mehr links oder rechts sein will, sondern modern. Gelingt es Macron wirklich, am 7. Mai in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen Marine Le Pen zu schlagen, muss der Gründer der „En Marche“-Bewegung die ebenso versprochenen wie dringend nötigen Reformen angehen.

Das wäre vor allem die Aufgabe von Pisani-Ferry, der nüchtern bilanziert, Frankreich habe in der Vergangenheit zu selten konstruktive Vorschläge gemacht – und zu häufig die Schuld bei anderen gesucht. „Die französische Wirtschaft hat hausgemachte Probleme“, sagt er – die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit vieler Unternehmen etwa oder den riesigen Staatsapparat, der 57 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verschlingt.

Der Politikveteran will das ändern, daher gab er im Januar seinen Posten als Leiter der regierungseigenen Denkfabrik France Stratégie auf, um ins Macron-Lager zu wechseln. „Ich möchte es morgen nicht bedauern, mich auf die Rolle des Beobachters beschränkt zu haben“, sagte er. Es klang etwas bombastisch, als betrachte Pisani-Ferry – angesichts des Aufstiegs von Le Pen – die Macron-Kandidatur als eine nationale Aufgabe.

Dessen Wirtschaftsprogramm liest sich entsprechend ambitioniert. Macron will die Kluft zwischen Stadt- und Landbevölkerung verringern, den schwelenden Klassenkampf zwischen Unternehmern und Arbeitnehmern beenden. Ach ja, die Herausforderungen der Digitalisierung für Gesellschaft und Wirtschaft möchte er auch noch angehen.

Wackelige Mehrheit

Doch Berater Pisani-Ferry weiß, wie schwer die Aufgabe wird. Vor rund drei Jahren hat er gemeinsam mit dem Berliner Politikberater Henrik Enderlein ein deutsch-französisches Reformpapier für Sigmar Gabriel und Macron erstellt, damals beide noch Wirtschaftsminister. Das rüttelte unter anderem an der 35 Stunden-Woche in Frankreich, es sorgte für Empörung. Prompt distanzierte sich Macron von der Idee.

Auch nun darf Macron den Reformeifer zunächst öffentlich nicht übertreiben, schließlich ist seine Mehrheit denkbar wackelig. Neben den Anhängern von Le Pen, die auf knapp 22 Prozent der Stimmen kam, votierten in der ersten Wahlrunde noch einmal so viele Franzosen für Kandidaten, die sich gegen das „System“ aussprachen. Daher ist unklar, wie viele Anhänger anderer politischer Lager sich hinter dem Kandidaten versammeln, der gegen den Front National steht. Macrons Sieg ist keineswegs garantiert, auch wenn ihn die Umfragen derzeit deutlich vorne sehen.

Und selbst wenn er in den Präsidentenpalast einziehen sollte – dass seine Bewegung sich eine Mehrheit bei der Parlamentswahl im Juni sichert, gilt als unwahrscheinlich. Gut möglich, dass Macron sich mit einem Premierminister aus einer anderen Partei arrangieren müsste.

Der neue Präsident bräuchte dann, daran lässt Pisani-Ferry bei aller Selbstkritik keinen Zweifel, auch Hilfe aus Deutschland. Kurz vor dem ersten Wahlgang hatte Macron den „unerträglichen Handelsbilanzüberschuss Deutschlands“ öffentlich kritisiert und einen Ausgleich gefordert: „Deutschland hat ein Investitionsproblem und ein Problem niedriger Löhne“, sagt Berater Pisani-Ferry. Die Lösung könnte seiner Meinung nach ein EU-Investitionsbudget sein.

Auch zu den Defizitregeln in der Euro-Zone teilen Macron und Pisani-Ferry zwar nicht die verbreitete Argumentation, Frankreichs Probleme würden wie von Zauberhand verschwinden, müsste man sich nur nicht an die vermaledeiten Regeln halten. Doch sie sind auch überzeugt, das Pochen der EU auf strikte Haushaltsdisziplin sei zwischen 2011 und 2014 „zu früh, zu exzessiv“ gewesen.

Das Ende Europas? Was die Frankreichwahl für Brüssel und Berlin heißt

Derlei Töne hört man in Berlin nicht so gerne. Dort ist man zugleich eher skeptisch ob der Mahnung von Macron und Pisani-Ferry, ohne Reformen – einschließlich möglicher Vertragsänderungen – werde die EU binnen zehn Jahren implodieren. Oder über deren Werben für eine komplett umgesetzte Bankenunion, unter der zwar nicht Schulden vergemeinschaftet werden sollen, aber doch Risiken.

Doch Pisani-Ferry mag feste Überzeugungen haben, er trägt sie denkbar weich vor. Kanzlerin Angela Merkel oder Finanzminister Wolfgang Schäuble kritisiert der Politikberater nie direkt, lieber spricht er allgemein von „großen gemeinschaftlichen Fehlern“. Es wird schwer werden, dem höflichen Pisani-Ferry – und dem jungen Hoffnungsträger Macron – Entgegenkommen abzuschlagen.

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