Frankreich Mélenchons Dampferfahrt ins Ungewisse

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Mélenchon und Le Pen profitieren vom Urnengang

Denn die übrigen Bewerber um das Präsidentschaftsamt wollen allesamt auf die ein oder andere Weise das bestehende „System“ aus den Angeln heben. Etwa die Hälfte von ihnen wird zwar prozentual für den Ausgang der Wahl kaum eine Rolle spielen. Weil aber allen Kandidaten ohne Ausnahme in den letzten beiden Wochen vor dem Urnengang in den Medien fast auf die Sekunde genau dieselbe Präsenz zusteht, ist der Trommelwirbel beängstigend. Denn er spielt Mélenchon und Le Pen bei der Mobilisierung der vielen noch unentschlossenen Wähler in die Hände.

Etwa ein Drittel von ihnen weiß noch nicht, wo sie ihr Kreuz setzen werden. Macron ist zuletzt in den Umfragen gesunken und verharrt bei rund 22 Prozent. Dessen Kritik vom Wochenende, die Stärke der exportorientierten deutschen Wirtschaft sei „in der jetzigen Ausprägung nicht tragbar“, dürfte in dem Zusammenhang kein Zufall sein. Pierre-Antoine Delhommais, Kommentator des Wochenmagazins „Le Point“, spricht von einer „Poutouisierung der Geisteshaltung“. Der Trotzkist Philippe Poutou ist Kandidat der „Neuen Antikapitalistischen Partei“ und kann mit etwa zwei Prozent der Stimmen rechnen.

„Résistence, Résistence“ (Widerstand) skandieren Mélenchons Anhänger, wenn er ihnen „die Macht des Volkes“ verspricht. Sein Wahlkampfslogan unterscheidet sich wie so vieles andere in seinem Programm kaum oder überhaupt nicht von den Ankündigungen Le Pens. Die FN-Vorsitzende gibt vor, „im Namen des Volkes“ unterwegs zu sein. Wobei zum so genannten Volk nur diejenigen zählen, die sie ausgebeutet wähnen wie in Emile Zolas Roman „Germinal“ über die unmenschlichen Verhältnisse in französischen Bergwerken des 19. Jahrhunderts.

Der Revolutionär aus der Investmentbank
Emmanuel Macron zögerte lange, ehe er seine Präsidentschaftskandidatur verkündete. Quelle: REUTERS
Der amtierende französische Präsident Emmanuel Macron war zuvor bereits Wirtschaftsminister und Investmentbanker bei Rothschild & Cie. Quelle: AP
Wie andere Kandidaten für das höchste Staatsamt kritisierte auch Emmanuel Macron im Wahlkampf lautstark die politischen Eliten Quelle: dpa
Der ehemalige sozialistische Staatspräsident François Hollande und Emmanuel Macron vor dem Elysee-Palast. Quelle: REUTERS
Im Kabinett galt Emmanuel Macron als einer der beliebtesten Politiker, trat im August 2016 allerdings als Minister zurück. Quelle: REUTERS
Seit 2007 ist Emmanuel Macron mit seiner Frau Brigitte verheiratet. Quelle: REUTERS
Am 14. Mai 2017 wurde Emmanuel Macron ins Amt eingeführt. Quelle: REUTERS

Beide wollen etwa niedrige Löhne und Staatsausgaben kräftig anheben, das Renteneintrittsalter auf 60 Jahre senken und die im vergangenen Sommer verabschiedete Arbeitsmarktreform rückgängig machen. Beide wollen französische Produkte vor Konkurrenz schützen, sie mit einem „intelligenten“, er mit einem „solidarischen“ Protektionismus. Und beide wollen in Brüssel über einen Verbleib Frankreichs in der EU verhandeln (Mélenchon jeden einzelnen der EU-Verträge) und im Falle eines Scheiterns raus aus der Gemeinschaft.

Man wagt kaum, sich die Reaktionen internationaler Geldgeber vorzustellen, falls sie am 23. April abends  vor der Wahl stünden: Fahren wir besser mit einer Präsidentin, die unser Geld in abgewerteten Francs auszahlen will, oder mit einem Präsidenten, der uns Diebe schimpft und Staatsschulden als Witz bezeichnet? Fast 2,2 Billionen Euro schuldet Frankreich seinen Kreditoren. Das sind fast 100 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Doch das ficht Mélenchon nicht an. Auf Kritik, riet er am Ostermontag seinen Anhängern vom Ausflugsdampfer herab, sollten sie in den Tagen vor der Wahl vor allem mit Humor reagieren.

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