Frankreich Mélenchons Dampferfahrt ins Ungewisse

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Niedrige Zinsen, niedriger Ölpreis, niedriger Euro

Die Franzosen strömen zwar seit Januar zu Abertausenden zu den Wahlveranstaltungen der Kandidaten und harren vier Stunden lang bis weit nach Mitternacht vor einer TV-Debatte aus. Doch gleichzeitig glauben 75 Prozent, das politische Führungspersonal sei „ziemlich korrupt“, und 40 Prozent begegnen ihm mit tiefem Misstrauen.

Vor allem die vergangenen fünf Jahre der Präsidentschaft des Sozialisten François Hollande haben tiefe Spuren hinterlassen. Tatsächlich hat Frankreich in dieser Zeit zu wenig aus seinen Stärken gemacht, zuletzt nicht einmal von dem Dreigespann an unverhofft vorteilhaften Wirtschaftsbedingungen profitiert: niedrige Zinsen, niedriger Ölpreis, niedriger Euro.

Seit 2014 dümpelt das französische Wirtschaftswachstum bei rund einem Prozent herum. Seit 2012 ist die Arbeitslosigkeit um 18,5 Prozent gestiegen, während sie in der EU insgesamt um 21,4 Prozent gesunken ist. Im Januar verzeichnete Frankreich das größte monatliche Handelsbilanzdefizit seiner Geschichte: 8,1 Milliarden Euro. Das Defizit im Handel mit produzierten Gütern verschlechterte sich im Jahr 2016 um 9,3 Milliarden Euro auf 35,1 Milliarden Euro. Es lag damit weit über dem bisherigen Negativrekord von 29,3 Milliarden Euro im Jahr 2011.

Frankreichs Stärken

„Die Situation des Außenhandels und der Industrie hat sich in den vergangenen fünf Jahren im Vergleich zu den anderen Ländern der Euro-Zone verschlechtert,“ konstatiert Pierre-André Buigues, Professor an der Toulouse Business School und lange Jahre Berater der EU-Kommission. „Zwischen 2012 und 2016 ist die Industrieproduktion im Euro-Raum um 3,6 Prozent gestiegen, während sie in Frankreich bei einem Plus von 0,5 Prozent quasi stagnierte.“

Warum nur, wo doch Hollande seit 2013 die Wettbewerbsfähigkeit mit Steuerentlastungen der Betriebe in Höhe von jährlich rund 20 Milliarden Euro steigern wollte? Weil die Entlastung lediglich für Jobs gilt, die höchstens mit dem 2,5-fachen des Mindestlohns (also derzeit 3700 Euro) vergütet werden, half der so genannte Steuerkredit für die Wettbewerbsfähigkeit und die Beschäftigung (CICE) bisher kaum Industriebetrieben bei der Umstellung auf qualitativ höhere und damit teurere Produkte. Mit durchschnittlich 35,60 Euro pro Arbeitsstunde seien „die Arbeitskosten in Frankreich zu hoch in Relation zu der Art und der Qualität der Produkte, die wir produzieren“, sagt Buigues.

Anders als es von manchen Gewerkschaftern und Politikern gedacht war, führte der CICE auch nicht sofort zu massenhaften Neueinstellungen der Unternehmen. Stattdessen konnten sie damit auch ihre Preise senken, um mit vergleichbaren Waren aus weniger teuren Ländern zu konkurrieren, in modernere Anlagen investieren oder auch Dividenden erhöhen. Für die Jahre 2013 und 2014 kommt der regierungseigene Think Tank „France Stratégie“ in einer kürzlich vorgelegten Studie zu dem Ergebnis, dass lediglich zwischen 50.000 und 100.000 Arbeitsplätze gesichert oder geschaffen wurden.

Der "ewige Zweite" auf dem Weg nach oben
François Fillon Quelle: AP
Francois Fillon Quelle: REUTERS
Francois FIllon und Vladimir Putin Quelle: AP
Fillon 2009 bei einer Privataudienz bei Papst Benedikt XVI. Quelle: REUTERS
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der französische Premierminister, Francois Fillon 2010 Quelle: dpa
Francois Fillon mit seiner Frau Penelope Quelle: REUTERS
Francois Fillon Quelle: dpa

Da kommt dann wieder der Frust über die ach so gierigen Unternehmer und Aktionäre ins Spiel, die sich bereichert, aber keine Gegenleistung erbracht hätten. Der Klassenkampf ist in Frankreich lebendige Tradition.

Es spricht Bände, dass von den insgesamt elf Präsidentschaftskandidaten für die Wahl am Sonntag nur zwei zu Marktwirtschaft, Globalisierung und Europa stehen - Macron und der Kandidat der konservativen Republikaner, François Fillon. Letzterer galt noch im Januar als fast sicherer Sieger. Dann machten ihn eine Affäre um die Scheinbeschäftigung seiner Familienangehörigen und Geschenke reicher Gönner in den Augen vieler unwählbar. Dass Fillon nicht zurücktrat, um einen anderen Republikaner seinen Platz zu überlassen, war ein Fehler, der sich bitter rächen könnte.

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