Freihandelsabkommen Warum TTIP tot ist – fünf Gründe

Mehr Freihandel über den Atlantik – diese Idee beginnt mit einem Missverständnis. Ein überforderter EU-Kommissar, der fragwürdige Zahlen und die Intransparenz liebt, soll sie umsetzen. Warum TTIP gescheitert ist.

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Die Zeit der Mega-Abkommen ist vorbei - TTIP ist (vorerst) gescheitert. Quelle: REUTERS

An diesem Samstag gehen in ganz Deutschland hunderttausende Menschen gegen die Freihandelsabkommen mit Kanada (Ceta) und den Vereinigten Staaten (TTIP) auf die Straße. Am Montag kommt dann in Berlin ein SPD-Parteikonvent zusammen, um über das kanadische Abkommen zu beraten. Sollten die Sozialdemokraten nein sagen und ihren Vorsitzenden Sigmar Gabriel im Stich lassen, wäre Ceta Geschichte – und TTIP auch. Aber selbst wenn mehr Freihandelt mit dem 35-Millionen-Land Kanada gelingt. TTIP ist gescheitert. Fünf Gründe:

1. Ein gemeinsamer Markt – das Ziel, das keines war

Angela Merkel ist überzeugt, dass das europäisch-amerikanische Verhältnis gestärkt werden muss. Also tritt sie am 17. Januar 2007 vor das Europäische Parlament in Straßburg und erklärt ihren Plan. „Die USA sind unser wichtigster Handelspartner. Wir sind füreinander der jeweils wichtigste Investitionspartner. Ein gemeinsamer transatlantischer Markt liegt nach meiner festen Überzeugung zutiefst im europäischen Interesse.“

Der Begriff TTIP wird erst Jahre später erfunden, die Idee ist aber in der Welt. Nur welche eigentlich? Sven Giegold, Europaabgeordneter der Grünen und Attac-Mitgründer in Deutschland, hält Merkels Ansatz für falsch. „Ein gemeinsamer Markt braucht eine gemeinsame Demokratie, sonst kann man dieses Versprechen nicht einlösen.“

Doch darum ging es gar nicht, wie BDI-Außenhandelsexpertin Stormy-Annika Mildner bestätigt. „Mehr Freihandel war immer der Kern der Verhandlungen zwischen den Vereinigten Staaten und den Europäern. Ein gemeinsamer Markt war nie das Ziel“, sagt die Handelsexpertin. Was wollte Merkel also? Eine rhetorische Überhöhung, um Anhänger für das Projekt zu gewinnen? Vermutlich. Doch so entstand eben keine Geschlossenheit, sondern Verwirrung.

2. Ein falscher Botschafter verbreitet abenteuerliche Zahlen

Zwischen der Idee, einen gemeinsamen transatlantischen Markt zu schaffen, und den Verhandlungen zum TTIP-Vertrag vergehen Jahre. Im Juni 2013 erteilen die Mitgliedsstaaten der Kommission dann das Verhandlungsmandat für ein mögliches Freihandelsabkommen. Europäischer Chefunterhändler wird Karel De Gucht, Handelskommissar in Brüssel, über den im Berliner Wirtschaftsministerium eine schöne Anekdote kursiert: „Wenn De Gucht damals in einen Saal mit 800 Menschen kam, dann fanden anfangs 750 davon TTIP nicht schlimm. Als De Gucht wieder ging, waren im Saal 800 Freihandelsgegner.“

Unvergessen De Guchts Interview mit dem deutschen TV-Magazin Monitor: Gerade hat der Kommissar versprochen, TTIP werde Milliardengewinne und „hunderttausende Jobs“ nach Europa bringen, da wird er vom Moderator mit einer Studie konfrontiert, die nur 0,05 Prozent Wachstum pro Jahr vorhersieht. Er zeigt dem Kommissar ein Papier aus De Guchts eigener Behörde. Der Kommissar unterbricht das Interview, fragt: „Ist das die Studie, die wir bestellt hatten?“ Dann erklärt er den Zuschauern: „Man kann auch nicht jeden Effekt in Prozenten messen.“ Aber: 120 Milliarden Euro mehr Wirtschaftsleistung durch TTIP bis zum Jahr 2027 bleiben realistisch, ist De Gucht überzeugt.

Rolf Langhammer vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel hält es für einen Fehler, dass De Gucht mit diesen Zahlen argumentiert hat. „Angesichts der vielen heterogenen Themen, die bei TTIP verhandelt werden, stoßen die gängigen Schätzmodelle zu den Effekten an ihre Grenzen“, sagt Langhammer. Wann welche Effekte auftreten und wie positiv sie sich auswirken, bleibe daher höchst unsicher. „Die Kommission hat geglaubt, dass diese Schätzungen die Öffentlichkeit beeindrucken würden. Doch sie haben vor allem Verwirrung, Zweifel und Widerspruch ausgelöst.“

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