Die Eurozone findet keine Ruhe. Zuerst verlangt die griechische Regierung erneut einen Schuldenerlass – obwohl Griechenland einen Primärüberschuss erzielt; obwohl es vermutlich auf einen Teil des dritten Hilfspaktes verzichten kann und obwohl die Auflagen wieder nur unzureichend eingehalten werden und die nächste Zahlung nun fällig wird. Unterstützung findet sie dabei beim Internationalen Währungsfonds (IWF), der seine weitere Beteiligung an Hilfspaketen für Griechenland im Grundsatz davon abhängig gemacht hat.
Wenige Tage später kündigt die italienische Regierung an, zwei regionale Banken abzuwickeln und zu diesem Zweck insgesamt 17 Mrd. Euro zu zahlen. Die gesunden Teile der Banken werden an die zweitgrößte italienische Bank Intesa Sanpaolo für einen Euro abgegeben. Die Gläubiger der Banken werden nichts zu zahlen haben. Aus Sicht des italienischen Steuerzahlers kann das nicht als ein gutes Geschäft aufgefasst werden.
Beide Vorgänge sind für sich genommen und mit Blick auf die letzten acht Jahre weder ungewöhnlich noch überraschend. Niemand konnte ernsthaft glauben, dass die Eurozone von weiteren Rückschlägen verschont bleiben würde. Trotzdem sollte man sich nicht zurücklehnen und die Fälle als Routine auf dem Weg zur Gesundung einstufen. Vielmehr sind sie vor allem schlechte Nachrichten für die Zukunft der Eurozone.
Sie zeigen nämlich erstens, dass die Regeln der Eurozone nach wie vor keinen Biss haben. Die beiden italienischen Banken hätten den Regeln der Bankenunion zufolge zunächst von den Gläubigern aufgefangen werden sollen (“Bail-in“) – das wären etwa 10 Milliarden Euro gewesen. Das Einhalten vorn Regeln ist dabei kein Selbstzweck. Damit hätte die italienische Regierung erstmalig signalisiert, dass die Kunden der Banken in Italien genauer hinsehen sollten, bevor sie eine Anlage tätigen. Auch wäre es ein gutes Zeichen gewesen, hätte Italien die Regeln befolgt. Diese Chance ist vertan, es wurde sogar inzwischen aus Italien gefordert, das “Bail-in“ wieder abzuschaffen.
Die fünf großen Baustellen der EU
Die Folgen des globalen Finanzbebens 2008 spalten Europa bis heute - wirtschaftlich und politisch. Während europäische Statistiker für Deutschland zuletzt auf 4,2 Prozent Arbeitslosigkeit kamen, waren es für Griechenland 23,5 Prozent. Das überschuldete Land will finanzielle Freiräume, um die Wirtschaft anzukurbeln. Bei einem Südgipfel holte sich Athen jetzt Rückendeckung von Italien und Frankreich. Nicht nur deutsche EU-Politiker fordern strikte Sparsamkeit und reagieren gereizt. Aber auch Österreichs Bundeskanzler Christian Kern meint, der Sparkurs sei die eigentliche Ursache für die zunehmend antieuropäische Stimmung.
Der Zustrom von Hunderttausenden reibt die Gemeinschaft politisch auf. Hier verlaufen die Risse nicht nur zwischen Nord und Süd, sondern auch zwischen Ost und West. Beschlossen ist eine Verteilung von bis zu 160.000 Asylsuchenden aus den Anlandestaaten Italien und Griechenland in der EU. Erledigt waren aber bis Juli gerade einmal gut 3000 Fälle - 2213 Schutzsuchende aus Griechenland und 843 weitere aus Italien.
Die EU-Kommission drängelt, doch vor allem die Visegrad-Staaten Ungarn, Slowakei, Tschechien und Polen weigern sich. Stattdessen verlangen sie schärferen Grenzschutz. Das trieb nun offenbar Asselborn zu seiner Breitseite gegen die Regierung in Budapest. „Wer wie Ungarn Zäune gegen Kriegsflüchtlinge baut oder wer die Pressefreiheit und die Unabhängigkeit der Justiz verletzt, der sollte vorübergehend oder notfalls für immer aus der EU ausgeschlossen werden“, sagte Asselborn der „Welt“ (Dienstag). Die Grenzzäune würden immer höher. „Ungarn ist nicht mehr weit weg vom Schießbefehl gegen Flüchtlinge.“
Die islamistischen Anschläge in Frankreich, Belgien und zuletzt auch in Deutschland haben Lücken bei Absprachen und Austausch offenbart. Die Verunsicherung ist groß, die Forderung nach einer engeren Zusammenarbeit laut. Und es gibt Querverbindungen zum Flüchtlingsstreit: Vor allem nach den Anschlägen eines mutmaßlichen Afghanen in Würzburg und eines Syrers in Ansbach im Juli sehen sich die Gegner eines großzügigen Asyls bestätigt. EU-Ratspräsident Donald Tusk fordert jetzt eine lückenlose Erfassung aller, die in die EU einreisen.
Die vielfältigen Krisen schwelen seit langem, doch es war das Votum der Briten für ein Ausscheiden aus der EU vom 23. Juni, das daraus eine Existenzkrise für die Union machte. Wird der Ausstieg tatsächlich vollzogen, verliert die Gemeinschaft ihre drittgrößte Wirtschaftskraft, den zweitgrößte Nettozahler und ein diplomatisches Schwergewicht im UN-Sicherheitsrat. Sie wird also kleiner und schwächer. Vor allem aber macht der Schritt EU-Gegnern allerorten Mut, auch in den Gründerstaaten Niederlande, Frankreich und Italien. Denn bei allen Sollbruchstellen scheint die EU fast gespenstisch geeint in populistischer Feindseligkeit gegen Brüssel.
Die simple These, die Eurokraten seien verantwortlich für alles Übel auf dem Kontinent, überdeckt einen Machtkampf der Institutionen: Was darf die EU-Kommission bestimmen? Wie viel Einfluss hat das Parlament? Und worüber entscheiden allein die Einzelstaaten? Über möglichst viel, meinen die Osteuropäer. Die Kommission solle sich zurückhalten, denn die „wirkliche Legitimität“ liege bei den Mitgliedsländern und Parlamenten, sagt Tschechiens Regierungschef Bohuslav Sobotka. Wie nervös die EU-Exekutive ist, zeigt der Streit um die Abschaffung der Roaming-Gebühren: Nach Murren aus Parlament und Mitgliedstaaten kassierte Kommissionspräsident Juncker flugs den Plan, die Streichung der Zusatzgebühren für Handytelefonate im EU-Ausland auf 90 Tage zu befristen.
Zweitens dokumentiert die griechische Forderung, dass in Regierung Tsipras nach wie vor kein Bewusstsein für die Zuständigkeit der eigenen Probleme existiert. Somit droht ein unendlicher Regress: Der griechische Staat gibt systematisch mehr aus, als er einnimmt, und fordert dann die Solidarität der Partner.
Zusammen zeigt sich drittens, dass die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion noch längst nicht problemlos funktioniert. Für andere Länder ist das Verhalten der italienischen Regierung ein Signal, ebenso zu verfahren – in Spanien mag man sich bereits darüber ärgern, in einem ähnlichen Fall die Gläubiger zur Verantwortung gezogen zu haben.
Kein Euro ohne Krisen
Erneut müssen wir feststellen, dass die Währungsunion nicht krisenfest ist. Eine Gemeinschaft, in der die Regeln nicht eingehalten werden und die Verantwortung für eigenes Handeln auf Dritte abgeschoben werden soll, kann nicht nachhaltig sein. Daran werden auch ein rationaler französischer Präsident und eine vertiefte deutsch-französische Partnerschaft nichts ändern. Wir müssen damit leben, dass es einen Euro ohne Krisen auch in der Zukunft nicht geben wird.
Im Bundestagswahlkampf des Jahres 2017 kann diese Erkenntnis allerdings kaum jemand gebrauchen. Denn außer den Populisten ist niemand daran interessiert, den instabilen Zustand der Währungsunion und damit der Europäische Union insgesamt zu thematisieren. Letztere sind möglicherweise sogar willens, Europa weiter zu destabilisieren.
Dies erklärt auch die Zurückhaltung der Bundesregierung, die sich zu beiden Vorgängen so gut wie gar nicht äußert. In diesem Zusammenhang kann man außerdem den am Mittwoch gefällten Beschluss des Haushaltsausschusses betrachten, die nächste Hilfszahlung an Griechenland zu genehmigen, obwohl die finanzielle Beteiligung des IWFs nicht gesichert ist. Ob diese Permissivität eine gute Strategie ist, ist höchst fraglich. Denn nicht die Diskussion destabilisiert die Währungsunion, sondern das Verhalten der italienischen und der griechischen Regierung. Es ist außerdem recht gewagt zu hoffen, dass das Thema bis zum 24. September unter der Wahrnehmungsschwelle bleibt.
Da wäre es vermutlich besser für die wichtigsten Protagonisten, beispielsweise Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) oder SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz, klar Stellung zu beziehen. Ob man damit außer den deutschen Wählern in Europa jemanden überzeugen und damit Europa krisenfester machen kann, ist zweifelhaft
Dennoch wäre es für die Regierungsparteien (und noch sind Christdemokraten und Sozialdemokraten gemeinsam verantwortlich) vermutlich eine böse Überraschung, wenn das Thema in den kommenden Wochen, zum Beispiel nach der Sommerpause und dann mit nur kurzer Reaktionszeit wieder auftaucht und dann von den Populisten aufgegriffen wird. Fest steht auf jeden Fall, dass die zukünftige Bundesregierung noch häufig und intensiv mit der Eurozone und ihrer Dauerkrise befasst sein wird..