Freytags-Frage

Wann kommt die Zinswende?

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Höchste Zeit für die Zinswende

Mit Blick auf die Bundestagswahl am 24. September dieses Jahres – aber selbstverständlich, ohne diese als Begründung zu nennen – könnte die EZB dann das Erreichen der Ziel-Inflationsrate zum Anlass nehmen, den Leitzins ganz leicht, zum Beispiel um fünf oder zehn Punkte anzuheben, sodass es zum ersten Mal seit März 2016 wieder einen positiven Leitzins gäbe. Damit könnte die EZB etwas für die amtierende Bundesregierung tun und die nach wie vor besorgte Öffentlichkeit in Deutschland unmittelbar vor dem Urnengang beruhigen. Kritische Stimmen wären danach zunächst unglaubwürdiger. Die EZB hätte erst einmal Ruhe vor der deutschen Öffentlichkeit.

Ob dieses Szenario realistisch ist, wissen wir in drei Monaten. Dass es keine gute Strategie bedeutet, wissen wir jetzt. Allein dass Beobachter der EZB immer wieder politisches Taktieren unterstellen – wie in dieser Kolumne –, ist ein schlechtes Zeichen. Denn es ist eigentlich nicht die Zuständigkeit der EZB, nationale Wahltermine oder politische Stimmungen aufzugreifen. Ihre Aufgabe ist die inflationsfreie Geldversorgung. Darunter muss auch, selbst wenn es nicht im Mandat explizit steht, die Vermögenspreisentwicklung gefasst werden. Denn die aufgeblähte Zentralbankgeldmenge fließt ja nicht hauptsächlich in Neuinvestitionen, sondern in den Vermögensbestand und sorgt so für die sogenannte „Asset-Price-Inflation“ mit vielen negativen Folgen für die längere Frist.

Vor diesem Hintergrund darf auch die Kritik an der laxen Geldpolitik nicht verstummen. Weder droht gegenwärtig Deflation noch leidet die Eurozone unter einer Rezession. Nach wie vor sind die Probleme vieler Mitgliedsländer der Europäischen Währungsunion (EWU) struktureller Natur und nicht mit mehr Geld oder dem Nullzins zu lösen. Was Konjunktur angeht, so droht in einigen EWU-Mitgliedern eher eine Überhitzung als eine Rezession. Es wäre also längst an der Zeit, den Leitzins wieder zu erhöhen und den Einlagenzins aus dem Negativbereich zu holen. Auch wenn die Signale aus Tallinn, ermutigend sind: Anlass zur Zufriedenheit ist nicht gegeben. Es wird höchste Zeit für die Zinswende.

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