Freytags-Frage

Ist ein bedingungsloses Grundeinkommen sinnvoll?

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Mehr als eine historische Randnotiz?

Insgesamt aber scheinen die Initiatoren zu erwarten, dass das bedingungslose Grundeinkommen in beliebiger Höhe eine ungeahnte Dynamik in der schweizerischen Gesellschaft freisetzen und damit die Finanzierung auch entsprechend leicht fallen wird. Dem kann man einiges – zumindest in der Theorie – entgegenhalten.

  • Die Arbeitsanreize sind keineswegs so eindeutig. Möglicherweise sorgt das Grundeinkommen, wenigstens ab einer gewissen Höhe, für eine Demotivation und gerade nicht für Produktivität und Kreativität.

  • Vielleicht setzt es sogar Anreize, auf Bildungsanstrengungen zu verzichten. Derartige Tendenzen sind in rohstoffreichen Ländern zu erkennen, sofern die Einnahmen breit unter der Bevölkerung gestreut werden. Man befindet sich gewissermaßen im Paradies und lebt ohne Anstrengungen gut, zumindest auf individueller Ebene.

  • Sollte dies der Fall sein, so gehen die Mittel zur Finanzierung der Grundsicherung bald aus. Und nicht nur dies: Eventuell fehlt es sogar an Arbeitskräften, d.h. viele Dienste und Produkte würden gar nicht mehr angeboten, wenn zu viele Menschen nicht mehr arbeiten müssten. Dies gilt insbesondere für diejenigen einfachen Arbeiten, deren Entlohnung unter oder nahe bei dem festgelegten Satz liegt.

  • Die Frage, ob man zur Alimentierung eigener Ansprüche durch die Gesellschaft Belege dafür, nicht für sich selber sorgen zu können, bringen muss, wird schon lange diskutiert. Sicher ist es unangenehm, aber Betroffene verlangen anderen sehr viel ab (nämlich die Bereitschaft, für sie selber mitzuarbeiten). Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht zu viel verlangt, eine Bedürftigkeitsprüfung vorzunehmen.

  • Schließlich bleibt das Argument, dass die Jobs wegen der Digitalisierung ausgehen. Diese Sorge wird in jeder Generation und bei jeder Welle technischen Fortschritts geäußert, konnte bisher aber immer widerlegt werden.

Natürlich gibt es abgemilderte Spielarten des bedingungslosen Grundeinkommens, die zumindest einige Probleme der herkömmlichen Sozialpolitik lösen können. Wenn erstens der Steuertarif für jeden Menschen beim Einkommen von Null im Negativen beginnt und erst ab einem bestimmten festgelegten Einkommen Steuern gezahlt werden müssen, entfällt die 100-prozentige Besteuerung von Zusatzeinkommen. Dies lässt auch niedrige Löhne und damit gesellschaftliche Teilhabe zu. Allerdings sollte dieser Tarif bei Nichtarbeit ein wesentlich niedrigeres Grundeinkommen umfassen. Zweitens entfallen einige administrativen Aufwendungen, ohne dass die Sozialbürokratie völlig aufgelöst werden könnte: Denn es gibt viele Fälle, bei denen eine Prüfung, ob überhaupt gearbeitet werden kann, nötig bleibt.

Bürokratieabbau ist nur bei vollständiger Alimentierung nötig. Deren Risiken sind –wie oben angedeutet – aber sehr hoch. Wenn die negativen Leistungsanreize überwiegen, droht ganz schnell der gesellschaftliche Kollaps.

Sollten die Schweizer am 5. Juni der Initiative zustimmen, hätten wir ein interessantes Experiment zu erwarten. Andere Länder werden sich sehr sorgfältig ansehen, was in der Schweiz dann passieren wird. Zwei Dinge sind dann wahrscheinlich:

  • Es steht erstens zu erwarten, dass viele Deutsche vor dem Rentenantritt schon mal vorsorglich die Schweizer Staatsbürgerschaft beantragen (und nach Lörrach und Umgebung ziehen), um als Rentner und Pensionäre an dieser großartigen Umverteilungsmaschine teilhaben zu dürfen.
  • Und zweitens werden viele Schweizer Unternehmen ihre Produktion ins Ausland auslagern. Deutschland bietet sich als Produktionsstandort an.

Von dieser Initiative könnten andere im Zweifel nur profitieren – für die Schweizer selber sähe es eher düster aus, weswegen die Initiative wohl eher eine historische Randnotiz bleiben wird.

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