Freytags-Frage

Was passiert nach dem Brexit?

Seite 2/2

Szenario 2: Die Europäische Währungsunion vermisst sich neu

Im Szenario 1 gibt es nur Verlierer, denn auch für den Rest der Welt ist ein noch weiter geschwächtes Europa nicht von Vorteil. Allerdings muss es ja nicht zu diesem Negativszenario kommen. Man könnte sich auch vorstellen, dass die Europäer aus dem Brexit lernen und gemeinsam das „Europäische Haus renovieren“. Das zweite Szenario könnte wie folgt aussehen.

Was Partnerländer über einen EU-Ausstieg denken
US-Präsident Barack Obama in London Quelle: AP
Die chinesische Flagge vor einem Hochhaus Quelle: dpa
Ein paar Rial-Scheine Quelle: dpa
Der russische Präsident Wladimir Putin Quelle: REUTERS
Das Logo des japanischen Autobauers Nissan Quelle: REUTERS

In der EU sieht man ein, dass es nicht reicht, nur ständig die Wertegemeinschaft zu beschwören, ansonsten aber die Regeln permanent zu missachten. Die EU reorganisiert sich und konzentriert sich auf das Kerngeschäft, den Binnenmarkt. Umverteilungsprogramme und Regulierungen werden eingeschränkt. Die Kommission tritt insgesamt bescheidener auf, nimmt das Prinzip der Subsidiarität ernst und reduziert ihr Budget.

  • Die Agrarpolitik wird reformiert; Außenbarrieren werden abgebaut, und die Subventionierung der Landwirtschaft läuft langsam, aber stetig aus. Die Handelspolitik wird wieder offener, die EU bekennt sich zur WTO und konzentriert sich auf den Abschluss der Doha-Runde. Dann wird der britische Austritt auch nicht so verheerende Wirkungen haben. Widerstand gegen Freihandel in der Öffentlichkeit nimmt langsam ab, weil Anbieter aus Entwicklungsländern in Europa besser als Fuß fassen können.
  • In die Flüchtlingsfrage kommt eine ungewohnte Dynamik. Im Lichte der ökonomischen Erfolge dank der Verschlankung der EU einigen sich die Mitglieder auf eine belastbare Regel (Schengen mit wirksamem Schutz der Außengrenzen und einer nachvollziehbaren Quotenregel). Es wird zudem an einem überzeugenden Einwanderungskonzept auf nationaler Ebene mit internationaler Koordinierung gearbeitet. Großbritannien schaut neidisch auf den Kontinent, wo die Integration der Migranten sich stetig verbessert.
  • Die nationalen Regierungen missbrauchen die Europäische Kommission nicht länger dazu, die Wünsche der Partikularinteressen in den Ländern durchzusetzen und dabei gleichzeitig auf „die da in Brüssel“ zu schimpfen. Jahrzehntelang haben die Mitglieder mit dieser Praxis dazu beigetragen, das öffentliche Image der Kommission zu verschlechtern. Dabei ist die Kommission keineswegs das bürokratische Ungetüm. Als das sie oft verkauft wird.
  • Die Europäische Währungsunion wird neu vermessen; es gibt die Möglichkeit, sie temporär zu verlassen. Von dieser Möglichkeit macht Griechenland Gebrauch und beginnt bereits nach zwei Jahren zu florieren. Der Euro ist keine Religion mehr, sondern wird zu einer von mehreren Währungen in der Eurozone.

Die schwierige Beziehung der Briten zu Europa

Insgesamt kommt die EU leichter und flexibler daher; die Menschen beginnen die europäische Integration wieder wertzuschätzen. Die Nationalisten verschwinden langsam. Großbritannien kann ebenfalls das Schlimmste vermeiden:

  • Das Land verbleibt im Binnenmarkt. Damit bleiben die Briten auch in allen Freihandelsabkommen der EU.
  • Für die in Großbritannien lebenden EU-Ausländer gelten die bisherige Regeln. Für neu Hinzuziehende werden Regeln verhandelt, die die Allokation auf dem Arbeitsmarkt nicht stören und auch keine unzumutbaren Wanderungshemmnisse bilden.
  • Die Verluste auf der britischen Insel sind insgesamt sehr moderat, der Finanzsektor verbleibt in London. In dem neuen Setting kann sich die britische Regierung sogar mit der EU und der Eurozone sogar auf eine gemeinsame Finanzmarktregulierung einigen.
  • Schottland tritt nicht aus.

Die neue Leichtigkeit der EU überzeugt auf dem gesamten Kontinent, und die EU gewinnt an Zustimmung – Großbritannien tritt 2025 wieder ein!

Beide Szenarien sind übertrieben und dienen ausschließlich der Veranschaulichung möglicher Probleme und Lösungsmöglichkeiten. Auf jeden Fall machen sie deutlich, dass ein Konfrontationskurs zwischen den Briten und der EU niemandem hilft.

Ganz im Gegenteil: Die Briten sollten erkennen, dass ihnen die Mitgliedschaft in der EU nicht schadet und den Brexit krachend abschmettern. Und die politischen Entscheidungsträger in der Europäischen Union sollten erkennen, dass die EU stark reformbedürftig ist – dabei könnte durchaus ein „Weniger“ anstelle eines „Mehr“ an Europa herauskommen. Wäre das wirklich so ein Drama?

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%