Freytags-Frage

Was bringen Sanktionen gegen Erdogan und die Türkei?

Die Zollunion soll nicht vertieft, die Beitrittsverhandlungen auf Eis gelegt werden. Deutschland plant Sanktionen gegen die Türkei. Doch wem schaden die eigentlich? Und wie sinnvoll sind sie?

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Insbesondere die Stimmung zwischen Deutschland und der Türkei scheint unten angekommen zu sein. Quelle: dpa

Die andauernden Provokationen aus Ankara zeigen Wirkung. Inzwischen sinkt die Geduld hierzulande. Die Beziehungen zwischen der Europäischen Union, insbesondere Deutschland, und der Türkei scheinen nun auf einem Tiefpunkt angelangt zu sein.

Vom offiziellen Abbruch der Beitrittsgespräche, dem Einfrieren der Übergangszahlungen für einen möglichen Beitritt bis hin zu Wirtschaftssanktionen einschließlich dem Ausbleiben von Touristen werden härtere Maßnahmen gegen die Türkei diskutiert.

Allein die Diskussion solcher Maßnahmen bewirkt eine noch provokantere Reaktion von türkischer Seite. Es wird dabei immer deutlicher, dass der türkische Präsident Erdogan nicht am Wohlergehen seiner Bevölkerung interessiert ist. Es geht ihm – wie allen autokratisch gefärbten Führern – nur um sich selber. Seine Macht zählt, Kritik an ihm scheint als Gotteslästerung oder wenigstens als Majestätsbeleidigung wahrgenommen zu werden.

Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, sich klarzumachen, wen Sanktionen eigentlich treffen. Betrachten wir zunächst die Beitrittsverhandlungen der Türkei zur EU. Ist die oben erwähnte Wahrnehmung von Präsident Erdogan als Autokrat richtig und stimmt es auch, dass die Türkei sich offiziell eher dem Islamismus zuwendet, dann ist es eigentlich klar, dass Präsident Erdogan kein Interesse am Beitritt der Türkei zu einer Gemeinschaft, die sich nicht nur als Zollunion, sondern als politische bzw. Wertegemeinschaft (auf Basis christlicher Werte) versteht, haben kann.

Er weiß aber auch, dass für viele Türken der Beitritt eine große Hoffnung darstellt. Deshalb vermutlich kündigt er die Verhandlungen nicht selber auf. Wenn die EU dies nun macht, reagiert sie einerseits in vermutlich angemessener Schärfe, andererseits übernimmt sie die Rolle des Sündenbocks. Allen Türken, die das Land gerne als EU-Mitglied sähen, kann die Regierung in Ankara dann signalisieren, dass es die EU war, die die Türkei ausschließen will. Politisch ist es deshalb klüger, die Beitrittsgespräche zwar einzufrieren oder auszusetzen, dies aber mit dem expliziten Hinweis, dass die Türkei natürlich willkommen ist, wenn sie die gemeinsamen Werte teilt.

Ähnlich ist es mit Wirtschaftssanktionen. Auch hier leidet in erster Linie die Bevölkerung. Es trifft nicht die Mitglieder der Regierung. Dies ist nur der Fall, wenn persönliche Vermögen der Familie Erdogan oder anderer Regierungsmitglieder in der EU eingefroren werden, das sollte man als erstes tun.

Andere Sanktionen, wenn sie denn die Bevölkerung treffen, geben der Regierung wiederum die Möglichkeit, einen Schuldigen für die wirtschaftlichen Schwierigkeiten und einen Grund für die aggressive Rhetorik zu finden. Regelmäßig sieht man diesen Effekt: Das eigentliche Ziel der Sanktionen – die Regierung – dreht den Spieß um und versammelt die Bevölkerung um ihre Fahne. Dies ist genau das Gegenteil der erwünschten Wirkungen der Sanktionen. Möglicherweise ergibt sich sogar Hilfe von dritter Seite. Regierungen, die dem Sanktionsgeber, also der EU, schaden wollten, könnten der Türkei helfen. Einen Kandidaten dafür kennt die EU. Die Wirkung der Sanktionen wäre weiter geschwächt, die Position der türkischen Führung gestärkt.

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