Der G7-Gipfel hat einmal mehr die Fragilität einer auf Ausgleich basierenden internationalen Ordnung dokumentiert. Der amerikanische Präsident zeigte sich unwillig, die Spielregeln einzuhalten. Vielmehr benahm er sich recht polternd. Darüber hinaus lehnte er es ab, sich zum Freihandel (beziehungsweise zur Interpretation von Freihandel bei der G7) und zum Klimaschutz zu bekennen.
Zuvor beim NATO-Gipfel griff er die anwesenden Partner direkt an und zeigte sich wenig versöhnlich. Das passt sehr genau zum bisherigen Auftreten der neuen US-Regierung. Diese lässt eine klare Agenda und rationale Herangehensweise an Probleme vermissen. Der Präsident zeigt wiederholt seine Verachtung von Fakten bzw. Fachwissen. Er ist konsistent nur mit Blick auf den Klimawandel und seinen Drohungen zu handelspolitischen Konflikten.
Dieses Verhalten stellt die Politik vor neue Herausforderungen, wie man sie nur von politischen Rabauken wir Präsident Erdogan oder Diktator Kim Il Sung kennt. Denn offenbar spielen die Verschlechterung der Beziehungen oder die für die Vereinigten Staaten schädlichen, weil wirtschaftlich teuren Protektionsmaßnahmen im Kalkül des amerikanischen Präsidenten keine Rolle. Er denkt in eigenen Kategorien und macht sich dem Anschein nach wenig Gedanken über die langfristigen Konsequenzen seines Handelns für die USA und die ganze Welt. Konkret gefragt: Wie soll man auf die Drohungen eines Präidenten Trump, Länder mit bilateralen Handelsbilanzüberschüssen gegenüber den USA mit hohen Strafzöllen zu belegen, auf seine Geringschätzung der NATO und auf seinen Wunsch nach bilateralen “Deals“ reagieren?
Sieben Dinge, die man über die G7 wissen muss
Die Weltwirtschaftskrise brachte 1975 Bundeskanzler Helmut Schmidt und den französischen Präsidenten Valéry Giscard d'Estaing auf die Idee eines Gipfeltreffens der größten Industrienationen. Das Ziel: Die Erörterung der weltwirtschaftlichen Lage und die Suche nach Lösungsansätzen für globale Probleme.
Beim ersten Gipfeltreffen auf Schloss Rambouillet bei Paris trafen sich die Staats- und Regierungschefs aus Frankreich, Deutschland, der USA, Großbritannien, Japan und Italien. Ein Jahr später kam Kanada hinzu. Aus der „Gruppe der Sechs“ wurde die G7.
Russland erhielt 2002 die Vollmitgliedschaft, die G8 existierte aber nur bis 2013. Wegen der russischen Annexion der Krim platzte 2014 der Gipfel im russischen Sotschi am Schwarzen Meer. Die G7 tagte stattdessen ohne Russland in Brüssel. Eine Rückkehr zur G8 ist derzeit kein Thema.
Der G7 gehörten in der Anfangszeit die sieben führenden Industrienationen der Welt an. Heute ist das nicht mehr so: Aus den Top 7 fehlen mit China die Nummer 2 und mit Indien die Nummer 7.
In der Anfangszeit ging es bei den jährlichen Gipfeln vor allem um Wirtschaftsthemen. Die Treffen wurden deswegen auch Weltwirtschaftsgipfel genannt. Heute geht es neben den Wirtschaftsfragen um alle internationalen Krisen.
Die G7 trifft keine verbindlichen Beschlüsse. Das Abschlussdokument hat keinen verbindlichen Charakter. Es geht bei den Treffen vor allem um einen Gedankenaustausch über die wichtigsten Themen dieser Welt.
Der Vorsitz der Gruppe rotiert. Jedes Jahr finden die Gipfel in einem anderen Mitgliedsland statt. Dieses Jahr ist Italien an der Reihe. Die Staats- und Regierungschefs treffen sich in Taormina auf Sizilien.
Die erste Reaktion der Bundesregierung und der Europäischen Kommission vor Monaten bestand korrekterweise darin, den Präsidenten darauf hinzuweisen, wer in handelspolitischen Fragen in Europa der Ansprechpartner ist: die EU-Kommission. Bilaterale „Deals“ sind nicht möglich. Dabei sollte man es belassen.
Zweitens ist es richtig, die Nerven zu behalten und nicht mit handelspolitischen Retorsionsmaßnahmen zu drohen. Die Bundeskanzlerin hat ruhig darauf hingewiesen, dass es ein internationales Regelwerk im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) gibt, das auch für die USA gilt. Sollte es also zu Sonderzöllen kommen, wäre eine Gang zum Streitschlichtungsmechanismus der WTO angemessen. Auf dem G7-Gipfel konnte sie überdies dafür sorgen, dass eine bilaterale Arbeitsgruppe die Ursachen des Handelsbilanzungleichgewichts und die Konsequenzen eines Strafzolls bespricht – eine Art Lernhilfe für handelspolitische Neulinge. Ob das hilft, muss sich noch erweisen.
Drittens gilt, dass es alternative Handelspartner gibt. Der australische Premierminister hat auf die Ankündigung des US-Präsidenten, die transpazifische Partnerschaft (TPP) nicht zu ratifizieren, recht trocken damit geantwortet, dass man dann eben China einladen würde. Dabei war es doch ein amerikanisches Ziel der TPP-Verhandlungen, China aus der Partnerschaft herauszuhalten und es zur Übernahme höherer Verantwortung im Rahmen der WTO zu zwingen. Jetzt scheint sie sich aus Asien zurückziehen zu wollen.
Der Merkel-Weg ist richtig
Eine vergleichbare Strategie hat Angela Merkel am Dienstag in der bereits jetzt berühmten Bierzeltansprache auch angewandt, indem sie darauf hinwies, dass man sich wohl nicht mehr auf alle verlassen könne und das Europa stärker als zuvor für sich selber einstehen müsse. Diese Rede hat großen Staub aufgewirbelt und sogar den Adressaten gefreut – sei es ihm gegönnt. Man kann die Rede auch nicht als eine Absage an die transatlantische Partnerschaft begreifen, eher als eine Neuinterpretation und das Angebot an rationale Amerikaner, die in einigen Jahren mit Sicherheit wieder im Weißen Haus den Ton angeben werden, die Freundschaft zu vertiefen, auffassen.
Wichtig ist, den Worten Taten folgen zu lassen und die europäische Integration krisenfest zu machen. Was das genau bedeutet, kann man nur in einem intensiven Diskussionsprozess herausfinden, dessen Ergebnis keineswegs feststeht. Zentral dürfte dennoch sein, weder von der offenen Gesellschaft noch von umweltpolitischen Prinzipien abzuweichen. Präsident Trump hat mit seiner chaotischen Regierungsführung sicherlich die Chancen dafür erhöht und dazu beigetragen, dass es die Populisten in Europa wieder schwerer haben werden. Nicht auszudenken, wenn ein solches Chaos im Kanzleramt oder im Elysee-Palast Einzug hielte. Dann doch lieber eine Große Koalition, werden sich viele denken.
Es muss dem amerikanischen Präsidenten, aber noch mehr den amerikanischen Bürgern und ihren Vertretern klargemacht werden, dass man auch mit Offenheit und umweltpolitischer Verantwortung als Gesellschaft Erfolg haben kann. Wenn dieses gelingt – und dafür spricht viel – wird in den USA schnell deutlich, dass die Strategie, in der globalen Weltordnung die Führung abzugeben und sich klein zu machen, keinen Sinn ergibt. Man kann jetzt schon Wetten annehmen, wie weit sich die USA von Europa in den kommenden Jahren entfernen werden. Mein Tipp: nicht sehr weit.
Insofern ist die Strategie der Bundeskanzlerin nachvollziehbar. Möglicherweise wird sie als eine diplomatische Meisterleistung in die Geschichte eingehen. Es ist genau richtig, freundlich aber bestimmt auf die Provokationen aus Washington zu reagieren, dabei aber die Tür offen zu halten. Das gilt selbst dann, wenn der Wahlkampf bei den Bierzeltauftritten bereits im Hinterkopf der Politiker stecken sollte. Wenn es nützt, die Populisten beiderseits des Atlantiks im Zaume zu halten, ist es umso besser.