Freytags-Frage

Wie unabhängig ist die EZB?

Es kann ausgeschlossen werden, dass es Anrufe aus Paris, Berlin oder Athen gibt, die Zinsen zu senken oder Staatsanleihen zu kaufen. Dennoch gibt es Gründe, an der Unabhängigkeit und Macht der Notenbanker zu zweifeln.

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Mit welchen Maßnahmen Regierungen und Notenbanken Sparer attackieren können
Instrument: NiedrigzinsAusgestaltung: Notenbank kauft (über Banken, die günstig Geld bekommen) Staatsanleihen; Notenbank hält Leitzinsen untennegativ betroffen wären/sind: Konten, Anleihen, Lebensversicherung, Betriebsrenten, VersorgungswerkeEintrittswahrscheinlichkeit: läuft bereits; •••••wie gefährlich für das Vermögen?: Inflation frisst Zinsen; Sparen lohnt sich kaum; ••••∘Vorteil für Staaten: niedrige Zinslast auf eigene Schuldenhistorische Vorbilder: USA• = unwahrscheinlich/ sehr niedrige Einbußen; ••••• = so gut wie sicher/ sehr hohe Einbußen Quelle: dpa
Instrument: Inflation zulassenAusgestaltung: Notenbanken schöpfen weiter Geld; Bürger verlieren Vertrauen; Umlaufgeschwindigkeit des Geldes steigtnegativ betroffen wären/sind: Bargeld, Konten, Anleihen, LebensversicherungEintrittswahrscheinlichkeit: aktuell gering; langfristig wahrscheinlich; •••∘∘wie gefährlich für das Vermögen?: Hohe Inflation kann sämtliche Geldvermögen entwerten; •••••Vorteil für Staaten: Schulden werden nicht auf dem Papier, aber real drastisch verringerthistorische Vorbilder: Deutschland 1923; Frankreich 18. Jahrhundert; Zimbabwe 2009 Quelle: dpa
Instrument: NegativzinsAusgestaltung: Notenbank setzt negativen Leitzins fest; Banken legen negative Zinsen auf die Guthaben von Sparern um oder verteuern Gebühren/Kreditenegativ betroffen wären/sind: KontenEintrittswahrscheinlichkeit: ist bereits in der Diskussion; •••∘∘wie gefährlich für das Vermögen?: Erspartes leidet nominal durch Negativzinsen und real durch Inflation ••••∘Vorteil für Staaten: höheres Wachstum durch ausgeweitete Kreditvergabe erhoffthistorische Vorbilder: Schweiz 1964, 1970er; Schweden; Dänemark Quelle: dpa
Instrument: VermögensabgabeAusgestaltung: Staat schneidet sich von allen Vermögenswerten einmalig ein Stück abnegativ betroffen wären/sind: Konten, Aktien, Anleihen, ImmobilienEintrittswahrscheinlichkeit: wird diskutiert, aber starker Widerstand zu erwarten; ••∘∘∘wie gefährlich für das Vermögen?: je reicher desto härter; ••••∘Vorteil für Staaten: kann Schulden sofort drastisch senkenhistorische Vorbilder: Deutschland 1918/19, 1952 Quelle: dpa
Instrument: ZwangsanleiheAusgestaltung: Staat zwingt Bürger, einen Teil ihres Vermögens in Staatsanleihen zu packen; wird (teilweise) zurückgezahltnegativ betroffen wären/sind: Konten, Aktien, Anleihen, ImmobilienEintrittswahrscheinlichkeit: wird diskutiert, aber starker Widerstand zu erwarten; ••∘∘∘wie gefährlich für das Vermögen?: hängt von Rückzahlungen ab; •••∘∘Vorteil für Staaten: verschafft Spielraum bis zum Rückzahlungsdatumhistorische Vorbilder: Deutschland 1914, 1922/23 Quelle: dpa
Instrument: Neue SteuernAusgestaltung: Vermögensteuer, zum Beispiel ein Prozent auf steuerpflichtiges Vermögen (nach Abzug von Freibeträgen)negativ betroffen wären/sind: Vermögen generellEintrittswahrscheinlichkeit: politische Forderung; ••••∘wie gefährlich für das Vermögen?: für Vermögende; •••∘∘Vorteil für Staaten: weitere Einnahmenhistorische Vorbilder: Deutschland, wurde 1997 abgeschafft Quelle: dpa
Instrument: Neue SteuernAusgestaltung: Transaktionsteuer von 0,1 Prozent auf Aktien und Anleihen und 0,01 Prozent auf Derivate; fällig für jedes Geschäft negativ betroffen wären/sind: Aktien, Anleihen, Derivate; indirekt auch Fonds und LebensversicherungenEintrittswahrscheinlichkeit: politisch herrscht Konsens; •••••wie gefährlich für das Vermögen?: drückt auch Rendite von Fonds und Versicherungen; •••∘∘Vorteil für Staaten: weitere Einnahmenhistorische Vorbilder: Deutschland 1881–1991; Schweden 1985–1992 Quelle: dpa

Immer wieder hört man, dass Mario Draghi der mächtigste Mann Europas sei und die Europäische Zentralbank(EZB) inzwischen die Politik in der Eurozone gestalte. In der Tat kann man den Eindruck bekommen, dass der Einfluss der EZB enorm sei, betrachtet man, wie gebannt die Markteilnehmer, die politischen Akteure und die Beobachter auf die Bank starren. Allein die Ankündigung einer nie dagewesenen Geldschwemme von über 1,1 Billionen Euro in 18 Monaten löst bei den Finanzmarktakteuren Beruhigung, wenn nicht gar Begeisterung aus. Am Montag wurde der Startschuss gegeben: Die Party an den Finanzmärkten geht weiter.

Es ist außerdem richtig, dass die EZB sich über das größte Mitglied im System der Europäischen Zentralbank (ESZB), die Bundesbank regelmäßig hinwegsetzt. Der EZB-Präsident, so scheint es, hat keine wirklichen Widersacher in der Geldpolitik mehr. Hinzu kommt, dass die EZB nun auch in ihrer Rolle als Finanzaufsicht über das Wohl und Wehe der Banken entscheidet.

Der Instrumentenkasten der EZB

Diese Machtfülle wirkt bedrohlich – entscheidet nur noch die EZB über die Wirtschaftspolitik? Welche Rolle haben die gewählten Regierungen? Sind wir in den Händen einer nicht legitimierten Elite? Kann es wirklich gutgehen, wenn Gelddrucken und Bankenaufsicht in einer Hand liegen?

Natürlich spricht viel für die Trennung von Bankenaufsicht und Geldpolitik. Da die EZB für die Banken der Kreditgeber der letzten Hand (“lender of last resort“) ist, unterliegt sie anreizen, die Lage der Banken etwas zu beschönigen. Allerdings hätte sie diese Anreize ohnehin, denn ein schwächelnder Bankensektor ist immer ein Problem für die EZB und ihre Glaubwürdigkeit. Hier liegt wohl wirklich eine Ballung von Macht – aber immerhin im Sinne des Mandats – vor.

Ein Scheinriese

Hinsichtlich aller anderen Fragen täuscht der Eindruck von Machtfülle allerdings vermutlich, zumindest in Teilen. Es kann zwar ein wirkliches Urteil über die Machtverhältnisse in der Eurozone nur derjenige fällen, der bei den Entscheidungen und ihren Vorgesprächen wirklich dabei ist. Insofern muss man spekulieren; nicht nur die Banken werden von der EZB zur Spekulation eingeladen, auch die Betrachter.

Die EZB bewegt aber sich nicht im luftleeren Raum, vielmehr operiert sie im Spannungsfeld von Regierungen, der EU Kommission, dem Europäischen Parlament sowie den Gerichten auf der einen Seite und Banken, Versicherungen, Hedgefonds etc. auf der anderen Seite. Das führt zu Einschränkungen der Handlungsfreiheit der EZB; trotz ihrer hohen formalen Unabhängigkeit von der Tagespolitik. Immerhin hat sie ein vorgegebenes Ziel (Preisniveaustabilität) anzustreben und ist in der Wahl ihrer Mittel frei. Die Finanzierung von Staatsanleihen ist ihr verboten; dennoch ist sie in dieser Hinsicht hyperaktiv. Die These lautet nun: Dies macht sie nicht freiwillig. Wieso also ist die EZB nur ein Scheinriese?

Wie Mario Draghi die Märkte mit Geld fluten kann

Beginnen wir mit der Finanzindustrie: Wie in den letzten acht Jahren wohl sehr deutlich wurde, haben gerade die Finanzmarktakteure einen enormen Einfluss auf die Politik, den mit dem Hinweis auf ihre systemische Bedeutung können sie noch jedes Parlament verschrecken. Das haben sie auch weidlich ausgenutzt. Immer wieder wurden Verluste der Banken sozialisiert, während die Gewinne ausgeschüttet und als – bisweilen obszön wirkende – Boni ausgeschüttet werden. Am Bankenretten ist die EZB beteiligt. Hinzu kommt, dass ein reger personeller Austausch zwischen dem Bankensektor und der Politik einschließlich Zentralbanken stattfindet. Dieser muss nun wirklich nicht bedeuten, dass Politiker und Zentralbanker zu Handlagern der Finanzindustrie werden; trotzdem fänden es viele Menschen besser, es gäbe gerade zwischen diesen Sphären etwas höhere Barrieren.

Der Einflussfaktor Politik

Der zweite relevante Einflussfaktor auf die EZB ist die Politik. Es kann ausgeschlossen werden, dass es direkte Anrufe aus Paris, Berlin, Rom oder Athen gibt, die Zinsen zu senken oder Staatsanleihen zu kaufen. Die EZB ist keine Unterabteilung des Ecofin-Rates.

Ökonomen zu den Staatsanleihenkäufen der EZB

  • Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass es erstens indirekten Druck gibt, Zinsen zu senken bzw. niedrig zu halten. Denn für die Regierungen ist die Nullzinspolitik sehr vorteilhaft. Mit jeder auslaufenden Staatsanleihe, für die eine neue aufgelegt wird, sinken die Kapitalkosten für die Regierungen.
  • Zweitens kann man sich kaum vorstellen, dass die EZB gegen den ausdrücklichen Widerstand der Regierungen, insbesondere der Bundesregierung, die ja auch mit der Bundesbank kommuniziert, am vergangenen Montag das Ankaufprogramm für Staatsanleihen (60 Mrd. Euro pro Monat), das einen zumindest großzügige Auslegung des Monetisierungsverbots voraussetzt, gestartet hätte. Hätte die Bundesregierung auf der strikten Einhaltung des Verbots der Staatshaushaltsfinanzierung bestanden, wäre die Politik wahrscheinlich nicht möglich.

Der Kampf der EZB gegen die Krise

  • Drittens setzt die Reformmüdigkeit (bzw. die Rücknahme erfolgreicher Reformen) der Regierungen die EZB unter Druck. Sie selber argumentiert immer wieder für Reformen und redet sich und anderen das Ankaufsprogramm schön, indem sie von gekaufter Zeit spricht. Es wird aber immer mehr offenbar, dass diese Zeit verschenkt wird. Insofern schützt die EZB die Regierungen vor politisch problematischen, gesellschaftlich aber unumgänglichen Reformen.

Ein Teufelskreis

Damit beginnt aber ein Teufelskreis. Die Vorstellung, dass EZB bei einem Anspringen der Konjunktur und der erfolgreichen Bekämpfung der (eingebildeten Deflation) die Zinsen erhöht und dass die Regierungen eine solche Erhöhung der Kapitalkosten klaglos akzeptieren, ist zumindest naiv. Der Druck dürfte eher immer größer werden, und zwar aus allen Ländern, nicht nur den sog. Problemländern. Auch der Bundesregierung wird ein dramatischer Anstieg der Zinszahlungen nicht passen, auch sie dürfte einer Zinserhöhung widersprechen. Dann wird wieder Zeit gekauft – dieses Mal vermutlich mit dem unangenehmen Nebeneffekt einer Inflationsrate über, möglicherweise sogar weit über der Zielmarke von knapp unter zwei Prozent. Dann kann die EZB nicht einmal mehr im Rahmen ihres Mandates handeln.

Der Schluss liegt also nahe, dass die EZB ihre scheinbare heutige Machtfülle gar nicht besitzt. Selbst wenn die gegenwärtige Politik genau der Wunschvorstellung der Direktoriumsmitglieder entspräche, sorgt sie dafür, die politischen Kosten von Vernunft und Langristdenken immer weiter zu erhöhen und damit die Unabhängigkeit der EZB in der Zukunft immer weiter zu verringern. Am Montag hat die EZB eine Falle betreten – es ist fraglich, ob sie aus dieser jemals wieder herauskommen wird.

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