Herr Trauboth, wie hoch schätzen Sie die Gefahr für einen Terroranschlag während der Europameisterschaft in Frankreich ein?
Jörg Trauboth: Ich gehöre nicht zu denen, die hier eskalieren. Mein Ansatz ist es, Sachlichkeit in die Angstmache zu bringen. Die Gefahr ist meiner Ansicht nach wesentlich kleiner als von den Sicherheitsbehörden derzeit kommuniziert. Tatsächlich gibt es bis heute keine erkannte konkrete terroristische Bedrohung für die EM.
Zur Peron
Jörg H. Trauboth , Oberst a.D., ist Terrorexperte und Buchautor. Neben seinem Sachbuch „Krisenmanagement bei Unternehmensbedrohungen“ erschien von ihm der IS-Thriller „Drei Brüder“. Im September veröffentlicht er als Herausgeber sein zweites Sachbuch „Krisenmanagement in Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen“.
Der französische Geheimdienst sprach im Vorfeld von einer realen Bedrohung. Nach eigenen Erkenntnissen sei demnach mit einer Welle von Bombenanschlägen des „Islamischen Staats“ (IS) zu rechnen.
Wenn Sie lesen, was die Geheimdienste in Amerika, Großbritannien und Russland aber auch in Deutschland an Gräuelnachrichten produzieren, stellt sich durchaus die Frage, wem das nutzt.
Und?
Die Sicherheitsbehörden haben für ihre Mittelforderungen und die Darstellung ihrer Kompetenzen mit der EM ein hervorragendes und einzigartiges Forum. Horcht man genau hin, was die Geheimdienste kommunizieren, stellt man fest, dass das ein weicher Bedrohungsbrei ist. Es gibt von niemandem konkrete Hinweise, dass zu einer bestimmten Zeit etwas Bestimmtes passieren wird. Die Bevölkerung wird mit derartigen Nachrichten lediglich verunsichert. Das tut der Sache nicht gut und hilft auch den Menschen nicht, die zu den Spielen gehen.
Nun haben die ukrainischen Behörden erst in der vergangenen Woche einen 25-jährigen Franzosen mit einer großen Menge TNT verhaftet.
Das dürfte eher unter die Rubrik Waffenschmuggel fallen – weniger unter die Rubrik Terror. Gleichwohl ist es richtig, dass sich die Verantwortlichen auf den schlimmsten Fall vorbereiten.
Frankreich und der Terror
Am französischen Nationalfeiertag am 14. Juli rast in der Hafenstadt Nizza ein Attentäter mit einem Lastwagen in eine Menschenmenge. Mindestens 84 Menschen werden getötet, mehr als 200 verletzt.
Am 26. Juli haben in Saint-Étienne-du-Rouvray in der Normandie zwei Geiselnehmer einen Priester getötet, ein weiteres Opfer schwebt in Lebensgefahr. Die mutmaßlichen Täter wurden getötet. Der IS reklamierte die Tat über sein Sprachrohr Amak für sich.
Ein Mann ersticht in Magnanville westlich von Paris einen Polizisten und dessen Lebensgefährtin. Die Polizei erschießt den Täter, der sich zuvor zum IS bekannt hatte.
Am Jahrestag der Anschläge auf „Charlie Hebdo“ schießen Polizisten vor einem Pariser Kommissariat einen Mann nieder. Er war mit einem Messer bewaffnet und trug die Attrappe einer Sprengstoffweste.
Bei einer koordinierten Anschlagsserie in Paris töten IS-Extremisten 130 Menschen. In der Konzerthalle „Bataclan“ richten sie ein Massaker an, Bars und Restaurants werden beschossen, am Stade de France sprengen sich während des Fußball-Länderspiels Frankreich-Deutschland drei Selbstmordattentäter in die Luft.
Ein 25-jähriger Islamist wird im Thalys-Schnellzug auf dem Weg von Brüssel nach Paris bei einem Anschlagversuch mit einem Schnellfeuergewehr von Fahrgästen überwältigt. Zwei Zuginsassen werden verletzt.
Bei einem Anschlag auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ in Paris werden zwölf Menschen ermordet. Die beiden islamistischen Attentäter Chérif und Said Kouachi kommen zwei Tage später bei einer Polizeiaktion nordöstlich von Paris um. Der Islamist Amedy Coulibaly, der die Brüder Kouachi kannte, erschießt bei Paris eine Polizistin und nimmt mehrere Geiseln in einem jüdischen Supermarkt. Er tötet dort vier Menschen, bevor er von der Polizei erschossen wird.
Die Gruppe Jund al-Khilafa („Soldaten des Kalifats“), ein Ableger der Terrormiliz Islamischer Staat, enthauptet einen in Algerien entführten französischen Touristen.
In Mali werden zwei Mitarbeiter von Radio France Internationale (RFI) entführt und ermordet. Die Terrororganisation Al-Kaida im islamischen Maghreb bekennt sich zur Tat. Zuvor hatte sich die Gruppe dazu bekannt, eine andere französische Geisel getötet zu haben.
Ein Serien-Attentäter erschießt sieben Menschen, darunter drei Kinder und einen Lehrer einer jüdischen Schule. Er wird nach rund 32-stündiger Polizeibelagerung seiner Wohnung erschossen. Zuvor hatte er sich als Al-Kaida-Anhänger bezeichnet.
Vor der Küste Jemens rammt ein mit Sprengstoff beladenes Boot den französischen Tanker „Limburg“. Ein Matrose kommt ums Leben. Al-Kaida bekennt sich zu dem Anschlag.
Bei einem Anschlag mit einer Gasflaschen-Bombe im Pariser S-Bahnhof Port Royal kommen vier Menschen ums Leben. Bereits 1995 waren bei einer Serie von Terroranschlägen, die islamischen Fundamentalisten aus Algerien zugeschrieben werden, in Frankreich insgesamt acht Menschen getötet worden.
Bei einem Absturz eines französischen Flugzeugs in Folge einer Bombenexplosion an Bord über dem afrikanischen Staat Niger sterben 170 Menschen. Ein französisches Gericht verurteilt sechs Libyer in Abwesenheit zu lebenslanger Haft, unter ihnen einen Schwager des damaligen libyschen Staatschefs Muammar el Gaddafi.
Ist die Gefahr eines Anschlags heute größer als etwa noch bei der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland?
Im Vergleich zu 2006 ist die Gefahr in der Tat wesentlich größer, was mit dem Aufstieg des Islamischen Staats einhergeht. Die Zeiten, in denen wir unbeschwert bei Großveranstaltungen sein können, sind vorerst vorbei.
Wurden die Sicherheitsvorkehrungen gegenüber vergleichbaren Großveranstaltungen erhöht?
Die Sicherheitskonzepte wurden in den letzten Monaten deutlich verschärft. Frankreich lebt in diesem Monat einer einzigartigen Ausnahmesituation. Landesweit sind über 90.000 Polizisten, private Sicherheitskräfte und Soldaten im Einsatz. Auch Psychologen sind im Team. Diese EM wird für Großveranstaltungen neue Sicherheitsmaßstäbe setzen.