Die russischen Machthaber waren nicht gänzlich naiv an die Sache herangegangen. Um ihre Macht- und Marktposition zu schützen, kultivierten sie ein ausgefeiltes Beziehungsgeflecht nach dem Prinzip “teile und herrsche”. Bilaterale Beziehungen mit der Politik und Unternehmen in ausgewählten EU-Mitgliedsstaaten wurden intensiviert, Verträge mit nationalen und regionalen Energieversorgern abgeschlossen, Firmen hinzugekauft.
Spitzenpolitiker wie der ehemalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder wurden als Lobbyisten eingekauft, und die Lobbyarbeit über Verbände und gesponsorte NGOs massiv ausgeweitet. Die Strategie basierte auf der Annahme, dass man sich politischen Einfluss auf die Entscheidungen in EU-Mitgliedsstaaten erkaufen kann, um so auch letztlich das Verhalten der europäischen Institutionen in Brüssel zu beeinflussen. Dass nun die Europäische Kommission unabhängig und völlig unbeeindruckt von solchen Maßnahmen in ihrer Funktion als Hüterin der europäischen Verträge ein Kartellverfahren von potentiell enormer Reichweite einleitet, kann in Moskau nur als empfindliche Niederlage wahrgenommen werden. Mit einem funktionierenden rechtsstaatlichen Apparat, der sich tatsächlich für die Einhaltung geltenden Rechts in Europa einsetzt, hatten die russischen Strategen offenbar nicht gerechnet.
Zahlen und Fakten zu Russland
Russland ist mit einer Fläche von 17.075.400 km² das größte Land der Erde.
Mit 141,85 Millionen Einwohnern liegt Russland auf Rang 9. Durch die Größe des Landes ergibt sich allerdings eine sehr dünne Besiedlung. Auf einem Quadratkilometer leben umgerechnet nur 8,3 Menschen.
Die Hauptstadt Russlands ist Moskau (Moskwa). Mit 11.514.300 Einwohnern ist Moskau die mit Abstand bevölkerungsreichste Stadt Russlands.
Das Bruttoinlandsprodukt lag im Jahr 2010 bei 1.480 Milliarden US-$. 59 Prozent der Leistung erwirtschaftet der Dienstleistungs-Sektor, 37 Prozent die Industrie, vier Prozent am BIP steuert die Landwirtschaft bei. Der reale Zuwachs lag im vergangenen Jahr bei 4,0 Prozent.
Russland importierte 2010 Waren im Wert von 229 Milliarden US-Dollar. Den größten Anteil haben die chemische Erzeugnisse (14 Prozent). Der Export lag bei 396 Milliarden US-Dollar. Größter Exportschlager sind Erdöl und -produkte, Erdgas und Kohle.
Russland ist in acht Föderationsgebiete mit insgesamt 83 Territorialeinheiten eingeteilt. Diese gliedern sich auf in 21 Republiken, neun Regionen, 46 Gebieten, einem autonomen Gebiet, vier autonomen Kreisen sowie zwei Städten mit Subjekt-Status (Moskau und St. Petersburg).
Russland ist größtenteils christlich geprägt, über 70 Prozent der Einwohner sind orthodoxe Christen, 14 Prozent Muslime, 1,4 Prozent Protestanten, 0,6 Prozent Katholiken sowie 0,5 Prozent Juden.
In den Denkmustern der Korruption gefangen
Diese Fehlkalkulation wirft ein bezeichnendes Licht auf das Politikverständnis in Russland. Die implizite Annahme, dass die Methoden, die innerhalb Russlands zum Erfolg führen, auch in der EU die gewünschten Ergebnisse bringen, zeigt wie sehr die russischen Entscheider in korrupten Denkmustern gefangen sind. Die Projektion des eigenen Modells auf den Gegenüber ist ein klassischer Fehler von Akteuren in geschlossenen Denksystemen. Europa und seine Entscheider sind sicher empfänglich für Einflussnahme und attraktive Angebote, aber Korruption ist, anders als in Russland, nicht das herrschende Grundprinzip von Governance in den Mitgliedsstaaten und in der EU.
Hinzu kommt, dass die russische Seite offenbar den Brüsseler Apparat noch immer nicht ausreichend versteht. Nicht um das starke unabhängige Mandat zu wissen, dass der Europäischen Kommission aus den europäischen Verträgen zukommt, und das sie zu einem sehr machtvollen Akteur in allen Marktfragen macht, ist ein Anfängerfehler. Spätestens nach dem spektakulären Kartellfall, der den amerikanischen IT-Konzern Microsoft viel Geld gekostet hat, hätte man gewarnt sein müssen. Gut gepflegte private Kontakte zu Spitzenpolitikern in Europa bewahren einen nicht vor dem Zugriff der Kommission, denn diese haben kein Vetorecht über Kommissionsaktivitäten in vergemeinschafteten Politikbereichen. Was europäische Politiker längst wissen, hätten die russischen Entscheider ebenfalls seit langem wissen können.