Geldknappheit Russlands Privatisierung gerät zur Farce

Ein alter Putin-Freund nutzt Russlands Geldknappheit, um seinen Einfluss im Ölsektor auszubauen. Zum Ärger der Regierung, die tatenlos zuschauen muss.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Russland spart in der Provinz: Industriegelände in Volgograd. Quelle: Getty Images

Privatisierung ohne privates Kapital? Das geht nicht, könnte man annehmen. Das sagt nicht nur der gesunde Menschenverstand. Auch Russlands Regierung unter Premier Dimitri Medwedew war noch bis vor Kurzem davon überzeugt. Anfang des Jahres hatte das eher wirtschaftsliberale Kabinett einen großen Privatisierungsplan vorgelegt, darunter auch staatliche Anteile an Rohstoffkonzernen Bashneft und Rosneft, Russlands Tafelsilber. Die erhofften Milliarden sollten den klammen Haushalt stopfen, der das zweite Jahr in folge im Defizitbereich fährt, während in den Reservetöpfen langsam der Boden durchscheint. Privatisierung sei aber nicht nur eine Fiskal-Frage, sondern auch ein Weg zu strukturellen Reformen, hatte noch im Frühjahr Präsident Wladimir Putin in Medwedews Beisein versprochen.

Diese unbekannten Multis überschwemmen die Welt mit Öl
Die staatliche saudische Ölfirma Aramco Quelle: REUTERS
Russland: Rosneft Quelle: REUTERS
Wladimir Putin und Rosneft-Vorstand Setschin Quelle: REUTERS
Sinopec steht für China Petroleum and Chemical Corporation Quelle: dpa
China: Sinopec Quelle: REUTERS
Venezuelas PDVSA ist das größte Erdölunternehmen Lateinamerikas Quelle: Reuters
Venezuela: PDVSA Quelle: REUTERS

Heute, ein Dreivierteljahr später, liegen die hehren Pläne der Regierung in Scherben. Denn die Privatisierung geriet über Monate zu einem Tauziehen zwischen Ministern und Vizepremiers auf der einen Seite und Igor Setschin, einem alten Weggefährten Putins und Chef des größten staatlichen Ölkonzerns Rosneft auf der anderen. Private Konkurrenz war Setschin, der im Rufe steht einen Staatskonzern fast wie seinen Privatbesitz zu verwalten, schon immer ein Dorn im Auge. Stattdessen suchte er ständig Chancen sein Unternehmen und damit auch sich selbst noch mächtiger zu machen. Rosneft, mit derzeit etwa 75 Milliarden Euro Umsatz, entstand auf den Trümmern der verstaatlichten Yukos-Holding von Michail Chodorkowski und schluckte später den größten privaten Konkurrenten TNK-BP für rund 50 Milliarden Euro. Nun erteilte Setschin auch noch eine Lektion in Privatisierung auf russisch: Vor wenigen Tagen kaufte der große Staatskonzern Rosneft den kleinen Staatskonzern Bashneft für etwa 4,5 Milliarden Euro. Ein Deal den die Regierung mit aller Macht verhindern wollte und doch klein beigeben musste.

Es ist eine Episode, die zeigt wie schwierig es für die Liberalen in Putins System ist, die im Wirtschafts- und Finanzministerium, aber auch in der Zentralbank reichlich vertreten sind, Reformen durchzubringen. Dabei sah es Anfang des Sommers noch ganz gut aus. Lukoil, Russlands größter privater Ölförderer galt aus aussichtsreichster Kandidat dafür, die Mehrheit am kleineren Konkurrenten Bashneft zu übernehmen. Gleichzeitig kursierten Gerüchte, der chinesische Energiekonzern CNPC habe Interesse daran, die zum Verkauf stehenden 19,5 von insgesamt 69,5 Prozent der staatlichen Anteile an Rosneft zu erwerben. Doch die Chinesen stellten Bedingungen. Sie wollten an der Unternehmensführung beteiligt werden. Die Verhandlungen verliefen vorerst im Sande. Stattdessen meldete Ende Juni Rosneft überraschend Interesse an einer Bashneft-Übernahme an und bot etwa 4,5 Milliarden Euro, mehr als Lukoil und jeder andere Konkurrent.

Es begann ein spektakulärer Kampf, der für russische Verhältnisse ungewöhnlich laut und sichtbar ausgetragen wurde. Das Argument im Regierungslager: Staatsunternehmen, so steht es auch im russischen Gesetz dürfen sich nicht an Privatisierungen beteiligen. „Rosneft ist kein geeigneter Käufer”, sagte noch Ende Juli Russlands Finanzminister Alexej Uljukaew. Putins Wirtschaftsberater Andrej Belousow nannte einen möglichen Verkauf an Rosneft gar eine Dummheit. Rosneft argumentierte dagegen, dass es formal kein Staatskonzern sei, da es nur indirekt über eine andere Holdinggesellschaft im nationalen Besitz sei. Zumal eine Übernahme von Bashneft den Börsenwert von Rosneft steigern werde. Damit könnte der Staat beim geplanten Verkauf von 19,5 Prozent an Rosneft noch mehr Geld bekommen.

Kritik an der Entscheidung

Am Ende sprach Präsident Putin ein Machtwort und entschied sich für seinen alten Freund und gegen privates Geld. Rosneft habe schlicht und ergreifend mehr geboten als alle anderen. Medewedew blieb am Ende nichts anderes übrig, als eine Entsprechende Genehmigung für Rosneft zu unterschreiben. Dabei kritisieren Branchenkenner und unabhängige Ökonomen fast einstimmig die Entscheidung. „Der Deal hat überhaupt nichts mit Privatisierung zu tun“, meint etwa Michail Krutichin, Partner der Beratungsfirma RusEnergy. Die Behörden würden Geld aus der einen Tasche in die andere legen. Der Staat habe zwar an einer Stelle 4,5 Milliarden eingenommen, von dem Geld gehörten aber wegen der staatlichen Rosneft-Beteiligung ohnehin etwa drei Milliarden ihm selbst, rechnet der Experte vor. Auch der Ex-Finanzminister Alexej Kudrin sagte, der Verkauf sei keine Privatisierung gewesen, sondern lediglich eine Konsolidierung staatlicher Aktiva.

Dabei hätte der Staat, erklärten Branchenkenner, auch ohne den Verkauf von Bashneft an Rosneft eine Möglichkeit gehabt an das Geld von Rosneft zu kommen, etwa in Form von erhöhten Dividenden. Einziger Nachteil: auch andere Aktionäre wie der Energiekonzern BP, der als größter Investor etwa ein Fünftel der Anteile hält, würden daran mitverdienen. Insider, von russischen Medien zitiert, entgegnen dass der Fiskus das Geld allerdings jetzt dringend braucht und nicht warten konnte. Die Insgesamt etwa 15 Milliarden Euro Privatisierungserlös seien schon fest im laufenden Haushalt eingeplant.

Putin selbst lässt sich in seiner Entscheidung jedenfalls nicht beirren. Durch einen Synergieeffekt würden die Aktien steigen, was am Ende mehr Geld für den Staat beim Verkauf von Rosneft-Anteilen bedeutet, erklärte er kürzlich. Die Börsen sehen das offenbar etwas anders, denn die Papiere des Staatskonzerns haben seit einer Woche etwa fünf Prozent eingebüßt. Sein alter Kumpel Setschin plant derweil schon einen weiteren Coup. Weil offenbar noch kein Investor gefunden wurde, der bei Rosneft einsteigen will, könnte die Aktiengesellschaft eine Art Rückkaufprogramm auflegen und die Papiere im Wert von etwa 10 Milliarden Euro selber erwerben.

Die deutsche Abhängigkeit von russischem Gas und Öl

Geld hätte Rosneft jedenfalls genug. Derzeit sollen knapp 20 Milliarden Euro auf den Konten des Konzerns schlummern. Selbst abzüglich der kürzlichen Übernahme einer Raffinerie in Indien für drei Milliarden Euro und der Bashneft-Anteile für 4,5 Milliarden Euro bleibt mehr als genug. Zwar hatte Russlands Staatsoberhaupt bereits angekündigt, dass der Rückkauf nur ein Zwischenschritt zur echten Privatisierung sein könne. Dass sich jedoch später ein geeigneter Käufer finden lässt, der kein Mitspracherecht beansprucht, bleibt zweifelhaft. Bis dahin hätte Setschin allerdings seinen Einfluss bei Rosneft durch einen Rückkauf noch deutlich ausgebaut. Die Privatisierung dagegen wäre dann endgültig zur Farce verkommen.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%