Die Notenbanken der Industrieländer stehen vor dem Scherbenhaufen ihrer Politik. Trotz aller geldpolitischen Tabubrüche und Experimente bleibt die wirtschaftliche Erholung weit hinter den Erwartungen zurück. Besonders enttäuschend fällt die konjunkturelle Entwicklung in den USA aus. Dort schrumpfte die Wirtschaft im ersten Quartal 2014, aufs Jahr hochgerechnet gar um ein Prozent.
Es war der erste Quartalsrückgang seit dem ersten Quartal 2011. Ohne die Gesundheitsreform von US-Präsident Barack Obama (Obamacare) und deren etwa 40 Milliarden Dollar starken Ausgabenschub im Gesundheitswesen wäre das Minus noch größer ausgefallen.
Am Wendepunkt
Noch wird die US-Konjunktur von den in den USA so wichtigen Konsumausgaben gestützt. Doch mit Blick auf den Rückgang der Sparquote im März von 4,2 auf 3,8 Prozent dürfte das nicht mehr allzu lange so bleiben. Zumal die Konsumentenkredite im März mit 3140 Milliarden Dollar ein Rekordvolumen erreichten. Am schneereichen Winter allein kann es also nicht gelegen haben.
Zum Jahresauftaktquartal berichteten die großen Einzelhandelsketten erstmals flächendeckend von rückläufigen Gewinnen. Die zuvor schon heruntergeschraubten Gewinnerwartungen wurden um 3,2 Prozent unterschritten. Es war die größte negative Gewinnüberraschung im US-Einzelhandel seit dem Schlussquartal 2000. Kurze Zeit später schlingerte die US-Wirtschaft in die Rezession. Die jüngsten Gewinnenttäuschungen im US-Einzelhandel könnten somit erneut einen Wendepunkt für die US-Konjunktur bedeuten.
Die Erholung am US-Immobilienmarkt ist schon in einen zyklischen Abschwung übergegangen. Die Baugenehmigungen für Einfamilienhäuser sind auf ein Dreijahrestief gefallen. Die Nachfrage nach neuen Hypothekenverträgen ist gar auf dem Niveau von 1978 angekommen.
Gut die Hälfte der US-Haushalte kann sich Wohnraum nur noch leisten, indem andere Ausgaben gekürzt werden, wie aus einer Umfrage der MacArthur Foundation hervorging. Die Zahlungsrückstände bei der Bedienung von Hypothekenverträgen zogen im März erstmals seit Langem wieder an.
Dieser Trend sollte sich weiter verstärken. Zwei Millionen bereits angepassten Hypothekenverträgen droht eine Zinserhöhung. Etwa 40 Prozent dieser Hypotheken stehen unter Wasser, weil die Kreditsumme den Immobilienwert übersteigt.
Kurz vor der Rezession
Die Zwangsversteigerungen werden wohl bald wieder zunehmen. Noch nie seit ihrer Gründung vor über 100 Jahren blieb die US-Notenbank Fed in einer wirtschaftlichen Erholung so lange expansiv wie in der aktuellen. Trotzdem scheint die US-Volkswirtschaft nach fünf Jahren extremer geldpolitischer Lockerung auch nach offizieller Lesart nur noch ein Quartal entfernt zu sein von einer Rezession.
Auch die japanische Wirtschaft überraschte zuletzt negativ. Nach der Anhebung der Mehrwertsteuer schrumpfte die Industrieproduktion im April im Monatsvergleich um 2,5 Prozent, während die Verbraucherpreise im Jahresvergleich um 3,41 Prozent anzogen und damit das von der Bank of Japan (BoJ) gesetzte Inflationsziel von zwei Prozent deutlich überstiegen.
Die BoJ wird unter diesen Rahmenbedingungen ihr geldpolitisches Extremexperiment nicht fortsetzen können, will sie keine Krise am japanischen Staatsanleihenmarkt riskieren.
Verfahrene Lage
Obwohl die japanische Regierung de facto längst pleite ist, liegen die Renditen zehnjähriger Staatsanleihen noch tief bei aktuell 0,6 Prozent. Jeder zweite Yen, den die japanische Regierung derzeit ausgibt, ist auf Pump und entspringt der Notenpresse.
Die Lage in den großen Industrieländern ist inzwischen so verfahren, dass Jürgen Stark, ehemaliger Vize-Präsident der Deutschen Bundesbank und zwischen 2006 und 2012 Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank (EZB), gar den Kauf von Gold und Silber empfiehlt. Stark kündigte Ende 2011 aus Protest gegen die von der EZB geplanten Ankäufe von Staatsanleihen seinen Rückzug aus der EZB an. Er gilt als Bundesbanker alter Schule und war innerhalb der EZB einer der wenigen Ökonomen mit Durch- und Weitblick.
In den vergangenen Wochen fuhr Stark bei verschiedenen Gelegenheiten schwere Geschütze auf, unter anderem am 10. Mai in einer Rede auf der Konferenz des Ludwig von Mises-Instituts in München. Die Notenbanken, einschließlich der EZB, hätten die Kontrolle über die ökonomische Situation komplett verloren.
Das monetäre System wäre "pure Fiktion". Die monetären Autoritäten versuchten seit 2008, sich tastend vorwärtsbewegend, eine zweite Pleite à la Lehman zu verhindern, denn einen zweiten Fall Lehman würde das monetäre System nicht überleben. 2011 hätten die Notenbanken durch eine konzertierte Aktion das monetäre System 'in extremis' gerettet.
Stark sieht die aktuellen Probleme im monetären Modell selbst begründet – im Gelddrucken durch die Notenbanken und einer unkontrollierten, von der Ersparnisbildung losgelösten Kreditvergabe der Banken.
Stark empfiehlt daher Bürgern, sich gegen einen möglichen Zusammenbruch des globalen monetären Systems zu schützen und einen Teil der „fiktionalen Ersparnisse"“ in Gold und Silber anzulegen. Eine Kaufempfehlung für Edelmetalle aus dem Mund eines ehemals ranghohen Bundesbankers ist ungewöhnlich und lässt aufhorchen.
Deprimierendes Ergebnis
Die Folgen der EZB-Niedrigzinspolitik
Werden die Zinsen künstlich abgesenkt, so verringert sich der Reformdruck auf Regierungen und Banken, ihre Haushalte beziehungsweise Bilanzen zu verbessern.
Ein künstlich tief gehaltener Zins verhindert, dass unprofitable Investitionsprojekte also Fehlinvestitionen aufrecht und befördert werden.
Künstlich tiefe Zinsen lösen (inflationäre) Spekulationswellen aus, führen zu „Boom-and-Bust“-Zyklen: überhitzte Situationen, in denen, wenn niemand mehr bereit ist, Kredite zu finanzieren, alles in sich zusammenbricht.
Künstlich niedrig gehaltene Zinsen befördern die Schuldenwirtschaft, insbesondere die der Staaten und der Bankenindustrie.
Über kurz oder lang aber wird die EZB den gleichen geldpolitischen Weg einschlagen wie die Fed und BoJ - mit dem gleichen deprimierenden Ergebnis. Die Maßnahmen, die EZB-Präsident Mario Draghi am vergangenen Donnerstag angekündigt und vorgestellt hat, waren nur ein Vorgeschmack.
Den Weg geebnet haben ökonomische Scheindebatten - wie sie Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) gerne führt - und die von der EZB selbst geschürten Deflationsängste. Auch in der Eurozone geht es schon lange nicht mehr um die Wirtschaft und ihre Bürger, sondern um eine Politik der Alimentierung strauchelnder Banken und Regierungen.
Die EZB versucht den Eindruck zu erwecken, dass ausgerechnet Inflation wirtschaftliche Prosperität erzeuge. Doch das ist ein Irrglaube. Tatsächlich nutzt Inflation bestenfalls hochverschuldeten Staaten, Banken, Unternehmen und Privathaushalten, weil sie deren Schuldenlast auf Kosten der Gläubiger reduziert.
Vorteilhafte Deflation
Für die Mehrheit der Bevölkerung in der Eurozone aber wäre gar Deflation vorteilhafter. EZB-Präsident Draghi selbst hat unlängst dargelegt, dass 80 Prozent des Rückganges der Konsumentenpreise in der Eurozone seit Ende 2011 auf sinkende Preise für Erdöl und Nahrungsmittel zurückzuführen sei.
Kein Ökonom, zumindest keiner, der ernstgenommen werden möchte, glaubt, dass sich mit den von der EZB beschlossenen Negativzinsen auf die Überschussliquidität der Banken bei der EZB die Kreditvergabe anregen lässt. Im Februar 2012 hatte EZB-Direktor Benoît Cœuré für einen solchen Fall gar vor dem Gegenteil, einer möglichen Kreditkontraktion, gewarnt. Selbst die Fed lehnt negative Zinsen ab, weil ein solcher Schritt „costly disruptions to money markets and to the intermediation of credit“ (“kostspielige Störungen für Geldmärkte und Kreditvermittlung”) bedeuten könnte.
Mit Blick auf den Geldmarkt geht die EZB enorme Risiken ein. Geldmarktfonds sind zusammen mit Rückkaufvereinbarungen (Repos) der Kern des rund 21.000 Milliarden Euro schweren Schattenbankensystems der Eurozone. Negative Zinsen aber höhlen das Geschäftsmodell der Geldmarktfonds aus. Die gesamte Architektur der Finanzmärkte beruht auf positiven Zinsen. Das hat die EZB aus lauter Verzweiflung offenbar vergessen.
Die EZB hat in den vergangenen Jahren nichts unversucht gelassen um die Eurozone vor einer Entwicklung wie in Japan nach 1990 zu bewahren. Aber genutzt hat es nichts, weil nicht das Kreditangebot das Problem ist, sondern die Kreditnachfrage.
Unternehmen und Private sind schlichtweg zu hoch verschuldet. Auch das jüngste Maßnahmenpaket der EZB wird deshalb wieder ins Leere laufen. Massenarbeitslosigkeit und Stagnation der Wirtschaft in der Eurozone sind nicht das Ergebnis zu geringer monetärer und fiskalischer Stimuli, sondern Folge eines Mangels an Strukturreformen - und eines zu langsamen Schuldenabbaus.