Geldpolitik Die EZB riskiert die Monsterinflation

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Indirekter Bail-out für marode Banken

Zwar hat die EZB alle Wertpapiere mit einem offiziellen Rating, die sie als Sicherheiten akzeptiert, in einer öffentlich zugänglichen Liste zusammengestellt. Die Banken können Papiere vorschlagen, die sie zur Beleihung einreichen wollen; die EZB kann sie akzeptieren oder nicht. Die Liste, die 30.000 bis 40.000 Papiere umfasst, wird täglich aktualisiert. Und doch befinden sich derzeit Anleihen der spanischen Bank Banco Popular darauf, die jüngst für einen Euro an den Konkurrenten Santander verscherbelt wurde. Auch Anleihen der notleidenden italienischen Banken Banca Popolare di Vicenza, Veneto Banca und Banca Monte dei Paschi di Siena nimmt die EZB als Sicherheiten entgegen.

Hinzu kommt, dass die Mehrheit der gelisteten Papiere gar nicht gehandelt wird. „Ohne Marktpreise aber gibt es kein objektives Maß für den fairen Wert“, sagt Nyborg. Daher greifen die Notenbanken des Euro-Systems auf eigene Bewertungsmodelle zurück, mit denen sie den Beleihungswert der Papiere abschätzen. Sie orientieren sich dabei an Wertpapieren mit ähnlichen Charakteristika, die am Markt gehandelt werden. Heißt es. Doch wie die Parameter der Modelle spezifiert sind, weiß außerhalb der Notenbank keiner, sagt Nyborg. Es ist ein System, das anfällig ist für politische Einflussnahme.

Das gilt auch für eine zweite Liste von Sicherheiten, die die EZB führt. Diese enthält, nun ja: „Wertpapiere“, die noch nicht einmal das Rating einer Agentur aufweisen. Bonität Nebensache? Jedenfalls verlassen sich die Notenbanken auf hauseigene Einschätzungen, über die die Öffentlichkeit keine Kenntnis hat. Und sie enthält nicht marktfähige Forderungen der Banken, etwa wackelige Konsumentendarlehen. „Mehr als die Hälfte der Papiere, die die Banken als Sicherheiten für Leihgeschäfte bei der EZB einreichen, haben keine Marktpreise“, sagt Nyborg. Und wo der Markt fehlt, blüht der politische Sumpf.

EZB-Kritiker Kjell Nyborg. Quelle: Presse

Ein Beispiel dafür sind die sogenannten Dicke-Bertha-Geschäfte der EZB, mit denen die Währungshüter den Geschäftsbanken auf dem Höhepunkt der Euro-Krise 2011 und 2012 unbegrenzte dreijährige Geldleihgeschäfte anboten. Insgesamt liehen sich die Kreditinstitute damals rund eine Billion Euro von der EZB. Um den eigenen maroden Banken Zugang zu einem möglichst großen Teil der Geldschwemme aus Frankfurt zu verschaffen, stattete die italienische Regierung zahlreiche dubiose Bankanleihen mit staatlichen Garantien aus. Zugleich nahm die EZB mehr als 10.000 unbesicherte und auf unregulierten Märkten gehandelte Bankanleihen in ihre Liste notenbankfähiger Sicherheiten auf. „Das war ein indirekter Bail-out für marode Banken“, urteilt Nyborg.

Eine wichtige Rolle im Besicherungsgeschäft der EZB spielen die Ratingagenturen. Neben den drei großen Agenturen Moody’s, Fitch und Standard and Poor’s kommt der kleineren kanadischen Agentur DBRS eine besondere Rolle zu. Die EZB hatte die Bewertungen der Agentur, die für vergleichsweise großzügige Beurteilungen von Schuldnern bekannt ist, schon vor der Euro-Krise in ihre Politik einbezogen. Da sich die Notenbanker bei der Akzeptanz von Staatsanleihen als Kollaterale nur am jeweils besten Rating orientieren, konnten sie mit Verweis auf die günstigen Urteile von DBRS für Italien, Spanien und Portugal hohe Beleihungswerte für deren Staatsanleihen ansetzen. Auf diese Weise konnten sich die Banken Nyborgs Berechnungen zufolge zusätzlich rund 200 Milliarden Euro mehr Geld bei der EZB borgen.

Ein Berg voller Risiken: Bilanz der EZB. (Zum Vergrößern bitte anklicken)

Fragwürdige Haarschnitte

Ebenso fragwürdig wie die Sicherheiten, gegen die die EZB Geld verleiht, sind die Abschläge (Haircuts), die sie dabei in Rechnung stellt. Die Abschläge sollen die Wertminderungsrisiken widerspiegeln und die EZB vor Verlusten schützen. Dabei berücksichtigen die Euro-Hüter drei Faktoren: die Art des Wertpapiers, die Laufzeit und das Rating. Die Höhe des Abschlags bestimmt die EZB selbst. So setzte sie in der Euro-Krise für italienische und spanische Staatsanleihen die gleichen Bewertungsabschläge an wie für deutsche Staatsanleihen – obwohl das Ausfallrisiko für erstgenannte Anleihen schon damals deutlich höher war als für Bundespapiere. Dazu kommt, dass die Experten der EZB die Haircuts nur alle drei bis vier Jahre aktualisieren. „Die niedrigen Bewertungsabschläge haben eine exzessive Staatsverschuldung zu günstigen Konditionen möglich gemacht“, sagt Nyborg.

Mehr Staatsschulden sind auch die Folge des Anleihekaufprogramms, das die Euro-Hüter im März 2015 gestartet haben. Bisher haben sie dabei Papiere im Wert von mehr als zwei Billionen Euro gekauft, neben Staatsanleihen auch Unternehmensanleihen und Pfandbriefe. Das hat die Bilanzsumme der EZB auf 4,2 Billionen Euro anschwellen lassen (siehe Grafik oben). Die Käufe der Währungshüter haben die Kurse der Anleihen nach oben und die Effektivzinsen nach unten gedrückt. Für die Regierungen entstanden Anreize, noch mehr Schulden zu machen.

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