Giannis Boutaris Der ziemlich andere griechische Politiker

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Bodenständigkeit statt Protz

Während die Griechen allmählich verstehen, dass ihre Schuldenkrise in Wirklichkeit eine Krise der politischen Kultur ist, erkennen sie im Rathaus von Thessaloniki einen neuen Politiker-Typ, der fast alles anders macht. „Boutaris ist ehrlich, bescheiden und integer – bereits das macht ihn zu einer Ausnahmeerscheinung, einer Hoffnung in der Politik“, sagt der Athener Politologe und Historiker Thanos Veremis.

Schon äußerlich ist der schlanke, drahtige Boutaris ganz anders als die selbstzufriedenen Politiker. Ein blaukariertes Hemd, breite Hosenträger, gestreift in den Regenbogenfarben, halten die khakifarbene Sommerhose. Im linken Ohrläppchen trägt Boutaris einen dezenten goldenen Stecker. Er ist bekennender Alkoholiker, war lange schwerer Trinker.

Jetzt feiert Boutaris zwei Geburtstage im Jahr: den, der in seinem Personalausweis steht, und jenes andere Datum, als er vor 21 Jahren dem Alkohol entsagte. Seither ist er „trocken“. Den rechten Handrücken ziert eine Tätowierung: ein Gecko. „Eidechsen häuten sich“, erklärt Boutaris, „das ist das Geheimnis des Lebens: der Wandel“.

Kein Wunder, dass ihm Bischof Anthimos, der Metropolit von Thessaloniki, vor der Wahl den Segen verweigerte. „So lange ich lebe, wirst Du nicht Bürgermeister“, geiferte der erzkonservative Geistliche. Aber der Fluch wirkte nicht. Die Leute wählten Boutaris trotzdem. Weil er einer von ihnen ist.

Andere lassen sich chauffieren, Boutaris schwingt sich aufs Fahrrad. Bei Regen fährt er im Auto, aber es ist ein Kleinwagen. Andere lassen sich Aktentaschen nachtragen, Boutaris schultert einen Rucksack. Er trat an, um das System zu verändern.

„Wenn das System mich verändert, bin ich gescheitert“, sagt er. „Bisher habe ich mich behauptet.“ Eine kreisrunde Goldrandbrille, wache, hellbraune Augen – man glaubt ein amüsiertes Zwinkern wahrzunehmen.

Eine seiner ersten Amtshandlungen als Bürgermeister war, einen Wirtschaftsprüfer zu beauftragen. „Danach wusste ich, wie arm die Stadt ist“, sagt Boutaris. Wenig Geld, viel Personal: 4500 Beschäftigte hat die Stadtverwaltung. „3000 würden reichen“, meint Boutaris. Das hätte man von einem gewöhnlichen Bürgermeister nicht gehört.

Der hätte nach noch mehr Planstellen gerufen, schließlich muss man als Politiker seine Klientel belohnen, zum Beispiel mit Jobs in der Kommunalverwaltung. „Bei mir gibt es das nicht, ich verteile keine Rousfettia“, sagt Boutaris.

So nennt man in Griechenland diese Gefälligkeiten, die Griechenlands politische Kultur vergiften und das Land an den Rand des Ruins gebracht haben. Stellen streichen kann Boutaris allerdings in seiner Stadtverwaltung auch nicht. Darüber entscheidet im zentralistischen Griechenland das Innenministerium.

Hinter Boutaris‘ Schreibtisch hängt ein Foto von ihm. Darauf scheint er sich das kurzgeschorene, wuschelige graue Haar zu raufen. Das musste er schon öfter, seit er Anfang 2011 Bürgermeister der Hafenstadt wurde. Bis dahin war Thessaloniki 24 Jahre lang von den Konservativen und ihren Seilschaften regiert worden.

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