Görlachs Gedanken

Die gefährliche Brexit-Konfrontation

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Es steht viel auf dem Spiel

Das wird an Stellen wie diesen deutlich: Die aus Deutschland stammende Gisela Stuart ist nun die Abgeordnete, die die Brexit-Kampagne orchestrieren soll. Die geborene Bayerin gefällt sich in Aussagen, dass sie nicht verstehen könne, wieso ein Taxifahrer aus Pakistan gegenüber einem Arbeiter aus Bulgarien benachteiligt sein solle, wenn es um Immigration und Arbeitserlaubnis in England ginge. Man fühle sich als Engländer den alten Kolonien unter Umständen näher. Dass es den Engländern frei steht, so viele Immigranten aufzunehmen, wie sie möchten, verschweigt sie.

Die schwierige Beziehung der Briten zu Europa

Stattdessen befeuert eine Deutsche, die selbst als Kontinentaleuropäerin von einem studentischen Programm profitiert und das sie in ihre neue Heimat England geführt hat, den nationalen Diskurs in einer Art, wie er weder in Deutschland noch in England jemals Frieden gestiftet hätte, sondern nur Zwietracht und Uneinigkeit sät. Und sie sagt an die Adresse der kantianisch denkenden Deutschen: Man sei doch kein schlechter Mensch, wenn man für einen Brexit stimmte. Vielleicht kein schlechter, möchte man antworten, aber ein dummer. Zumindest wenn man sich von nationaler Rhetorik einlullen lässt.

Was die Aufnahme von Flüchtlingen betrifft, so hat sich England nicht auffällig in den Vordergrund gespielt. Es geht nicht um Zuwanderer, es geht auch nicht um Moral. Es geht um einen maximalen Nutzen von dem die Rede geht, dass in England alleine und für sich bestimmen könne ohne auf europäische Partner achten zu müssen. 

Was ist die Konsequenz? Wenn England für einen Austritt aus der EU stimmen würde, dann müssten Politiker wie Gisela Stuart die Massenflucht von Industrie und Banken von der Insel in Richtung Kontinent verantworten. Der Wohlstand auf dem Eiland ist ohnehin mürbe, das einstmals stolz produzierende England ist de-industrialisiert und lebt von den offenen Grenzen für Kapital und Güter. 

Es steht aber mehr auf dem Spiel als nur freier Warentransfer: Die große Errungenschaft der europäischen Einigung ist doch in erster Linie, dass verfeindete Nationen wie Deutschland und Frankreich, aber auch Deutschland und England zueinander Vertrauen gefunden und zusammen gearbeitet haben. Niemand kann diesen politischen Erfolg abstreiten, der zu Prosperität geführt hat.

Nun verschärft sich die Tonlage auf beiden Seiten, auch einen Artikel wie diesen schreiben zu müssen, hätte ich mir vor einigen Jahren nicht träumen lassen, und wir verstehen uns so wenig wie schon lange nicht mehr. Egal, ob England in der EU bleibt oder nicht, die Wunden, die durch die Brexit-Debatte geschlagen wurden, werden lange brauchen, bis sie heilen. Diese Verwüstung in den Herzen wiegt weit schlimmer als jede ökonomische Verwerfung. 

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