Was kann die Europäische Union dagegen tun? Sie hat nur eine Wahl: Sie muss mehr zur Union werden. Sie muss die Außengrenzen gemeinsam schützen und eine einheitliche Sicht auf die Immigration entwickeln.
Kurz: Sie muss alles unternehmen, was schon in der Frühzeit der Union von einem seiner hehrsten Mitglieder, Frankreich, verhindert wurde. Es bringt nichts auf die unkultivierten USA herabzuschauen, wenn man selbst nicht bereit ist, das politische Projekt Europa weiter voran zu treiben.
Der neue französische Präsident schritt nach seiner Wahl zu den Klängen der Europäischen Hymne zu seinem ersten Auftritt. Vielleicht hatte er vergessen, dass Frankreich seinerzeit die Idee einer gemeinsamen Verteidigung verworfen hatte. Nun, ein halbes Jahrhundert später, muss es aber weiter gehen.
Krisen, die die EU überlebt hat
Als Großbritannien 1963 der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft der sechs Gründerstaaten beitreten will, legt Frankreichs Präsident Charles de Gaulle sein Veto ein. Großbritannien sei weder politisch noch wirtschaftlich reif, argumentiert er. Erst sein Nachfolger Georges Pompidou bringt die Wende. Der Beitritt der Briten gelingt 1973 - zehn Jahre nach dem ersten Antrag.
Von Mitte der 1970er bis Anfang der 1980er Jahre schwächelt die Gemeinschaft wirtschaftlich und politisch. Von „Eurosklerose“ ist die Rede. Die Konkurrenz aus den USA und Japan macht dem europäischen Markt zu schaffen. Die Mitgliedsländer versuchen, ihre Märkte zu schützen und nationale Interessen durchzusetzen. Die Krise wird überwunden durch neuen Schwung nach den Beitritten von Spanien und Portugal und dem Plan eines gemeinsamen europäischen Binnenmarkts.
Es soll der Startschuss zur europäischen Wirtschafts- und Währungsunion sein. Doch die Dänen sagen in einem Referendum Nein zum Vertrag von Maastricht und setzen das politische Europa 1992 unter Schock. Elf Monate vergehen, bis ein Kompromiss mit Sonderrechten ausgehandelt wird, dem die Dänen zustimmen.
Mehrere Mitglieder der vom Luxemburger Jacques Santer geführten EU-Kommission müssen sich einem Misstrauensvotum im Europäischen Parlament wegen möglicher Betrugsaffären stellen. Ein von „fünf Weisen“ erstellter „Bericht über Betrug, Missmanagement und Vetternwirtschaft“ besiegelt kurz darauf das Schicksal der Santer-Kommission. Das gesamte Kollegium tritt im März 1999 zurück.
Mehr Demokratie und Transparenz - darum geht es 2005 in dem mühsam ausgehandelten „Vertrag über eine Verfassung für Europa“ der damals 25 EU-Staaten. Doch die Franzosen und die Niederländer lehnen die EU-Verfassung bei Volksabstimmungen ab. An ihre Stelle tritt letztlich 2009 der Vertrag von Lissabon, der ähnliche Ziele verfolgt.
Die Osteuropäer, so könnte manch einer von oben herab analysieren, sind nicht etwa nur weniger erfahren in Demokratie oder Liberalität. Diese Mitglieder der Europäischen Union brauchen auch konkrete Zusagen dazu, wie Zuwanderung geplant und humanitäre Hilfe gemanagt werden soll.
Gerade an dieser Stelle hat Deutschland immer geblockt. Genau 16 Jahre nach Beginn der Leitkulturdebatte versagt sich die Christdemokratie immer noch der Tatsache, dass die Bundesrepublik ein Zuwanderungsland ist. Mit einer solchen Lebenslüge im Gepäck kann man die EU in Brüssel in ihren schicksalhaften Zukunftsfragen nicht nach vorne bringen und positiv begleiten.
Die Deutschen und die Armada derer, die Donald Trump zu Recht verabscheuen, hoffen, dass er in vier Jahren wieder aus dem Oval Office verschwunden ist. Doch abgesehen davon, dass diese Messe noch nicht einmal begonnen hat, sollten die Deutschen nicht so sehr auf den "Make America White Again"-Präsidenten schauen, sondern auf ihr eigenes Land.
Denn vor der Republik liegen sehr wahrscheinlich vier weitere bleierne Jahre, in der eine konservative Protestantin mit Aversionen gegen Zuwanderung, Ehe für alle und Kiffer das Land und mit ihm die Europäische Union lähmen wird. Wenn Frankreich nicht in die Gänge kommt, gehen dem freiheitlichen, pluralen Projekt Europa seine östlichen Partner verloren.