Görlachs Gedanken

Wenn der Brexit kommt, muss Europa knallhart sein

Nächste Woche stimmen die Briten darüber ab, ob sie in der EU bleiben oder sie verlassen. Die Amerikaner wollen die Briten im Ernstfall links liegen lassen. So sollten wir Europäer ebenfalls reagieren.

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Was Partnerländer über einen EU-Ausstieg denken
US-Präsident Barack Obama in London Quelle: AP
Die chinesische Flagge vor einem Hochhaus Quelle: dpa
Ein paar Rial-Scheine Quelle: dpa
Der russische Präsident Wladimir Putin Quelle: REUTERS
Das Logo des japanischen Autobauers Nissan Quelle: REUTERS

Die Argumente der EU-Gegner sind falsch. Das britische Statistikamt hat die Gallionsfigur der "Leave-Bewegung", den ehemaligen Londoner Bürgermeister Boris Johnson, und seine Kampagnenmacher dafür gerügt, zu behaupten, die EU koste England 350 Millionen Pfund in der Woche. Aber die "Leave"-Bewegung zeigt sich schon längst nicht mehr beeindruckt von Fakten und mit ihr die Hälfte der Bevölkerung. Die Abstimmung kommende Woche dürfte knapp werden, zumindest legen das die meisten der nun zahlreich kursierenden Umfrageergebnisse nahe.

Die schwierige Beziehung der Briten zu Europa

Gegen Argumente ist man im Moment immun im Königreich, biblisch gesprochen ist man mit einem "verstockten Herzen" unterwegs. Auch der engste Verbündete (aus englischer Sicht) des Landes, die USA, haben schon häufige Male den Engländern versucht klarzumachen, dass sie außerhalb der Europäischen Union für die Vereinigten Staaten nicht mehr von entscheidender Bedeutung sein werden. Am Ende der Schlange werde man sich künftig anstellen müssen, sagte Präsident Obama bei seinem letzten Besuch und verwendete dabei das britisch-englische Wort "queue" und nicht das in den USA gängige "line" - auf dass es wirklich jeder auf der Insel verstehen möge.

Seit das Referendum ausgerufen ist und die Umfragewerte im Vereinigten Königreich sind, wie sie sind, kann man eine Absatzbewegung der USA von England erkennen. Der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger sagte schon vor etlichen Jahren "Wen rufe ich denn an, wenn ich mit Europa sprechen will?". Die heimliche Antwort auf diese Frage war lange: England. Nun heißt sie: Deutschland.

Alexander Görlach ist Affiliate der Harvard University. Quelle: Lars Mensel / The European

Was den US-Amerikanern imponiert ist, dass die deutsche Regierung, ob sie nun selbst will oder nicht, Leadership zeigt – beispielsweise in der Flüchtlingskrise. In den bewegten Monaten im vergangenen Jahr, als tausende Deutsche die Flüchtlinge willkommen hießen und bis auf den heutigen Tag, wo immer noch täglich Abertausende für und mit den Flüchtlingen arbeiten, wird man in den USA als Deutscher angesprochen und für Angela Merkel gelobt. Jenseits der gehässigen Tweets eines Donald Trump erhält Deutschland, erhalten die Deutschen, viel Lob und Anerkennung, vor allem, und darauf bezieht sich diese Äußerung, in politischen und medialen Kreisen.

"Realpolitik" sieht eben anders aus

Es kann in der Welt von heute nicht darum gehen, den Engländern ein "Ätsch" zuzurufen und sich dann an der neuen deutschen Führungsrolle in Europa zu freuen. England ist ein guter Partner, ein Freund und es schmerzt zu sehen, vor welcher Wendung das Land steht. Bewegungen wie "Umarme einen Engländer" rufen dazu auf, die Freundschaft zu dem Land zu betonen und Engländer, wo auch immer man sie trifft, zu umarmen und sie zu bitten, nicht für "Leave" zu stimmen. England gehört zu Europa, will sagen, der Europäischen Union, zu einem gemeinsamen Raum des Rechts und des Wirtschaftens. Auch zu einem Raum gemeinsamer Geschichte und Werte.

Aber die "Realpolitik" sieht eben anders aus: auch schon vor den Flüchtlingen, in der Ukraine-Krise beispielsweise, kam England als Akteur nicht vor. Für die USA ein Signal, dass mit dem Land immer weniger zu rechnen ist. Die Anzahl der Artikel und Analysen hingegen zu Deutschland, den Flüchtlingen, den Deutschen und Angela Merkel ist immens, das Interesse sowohl in der Öffentlichkeit als auch dem politischen Betrieb des Landes gestiegen.

Allein, dass es überhaupt diese Berichterstattung gibt: es ist noch nicht lange her, da bestand keine öffentliche Wahrnehmung anderer, nicht-englischsprachiger Länder in den USA. Angela Merkel hat das geändert, sie fasziniert in den USA schon lange. Die Medal of Honor, die ihr Präsident Obama verliehen hat, sollte ein starker Ausdruck dieser Beachtung und der daraus resultierenden Wertschätzung sein.

Die bekanntesten Brexit-Gegner und -Befürworter
 Christine Lagarde Quelle: dpa
David Cameron Quelle: REUTERS
George Osborne Quelle: REUTERS
 Jean-Claude Juncker Quelle: REUTERS
Michael Gove Quelle: REUTERS
Donald Trump Quelle: AP
Barack Obama Quelle: AP

Ein Brexit wird Europa lähmen. Bestehende Verträge müssen gelöst und neue ausgehandelt werden. Mindestens zwei Jahre wird das dauern, vielleicht auch deutlich länger. In dieser Zeit wird die EU nicht genügend Fokus auf anderen, viel wichtigeren und drängenderen Themen haben können. Engländer wie Boris Johnson glauben im Moment, dass Europa einfach diese Energie und Zeit aufbringen muss – einfach, weil es eben um England geht.

Nichts ist falscher – und es ist traurig mit anzusehen, wie Johnson und andere die eigene Bevölkerung im Glauben an die Größe ihrer Nation in der Unwahrheit um die wirkliche Rolle und Bedeutung des Landes halten. Eine Größe, die das Land als Einzelgänger nicht mehr haben wird. Die Bedeutung, die England in den letzten Jahrzehnten für die USA hatte, hatte das Land im Kontext seiner Einbettung in Europa und dank und vermittels der Sprache waren die US-Amerikaner in der Lage über England eine Brücke in die Alte Welt zu schlagen.

Wer in Brüssel nicht mehr mit am Tisch sitzt, hat nichts mehr zu melden, hat keine Macht und keinen Einfluss mehr. Obama hat es den Briten bei seinem letzten Besuch klar zu machen versucht. England wird von der EU auch keinen Sonderstatus oder besondere Leckereien bei den anstehenden Neu-Verhandlungen bekommen.

Allein schon, um den Appetit auf Sonderdeals einzudämmen, den andere Staaten nach einem Brexit haben mögen, muss Brüssel knallhart sein . Für das deutsche Verständnis war dieses Sonderwurst-England immer schon unhöflich, der Briten-Rabbat unverständlich. All das wissen die Amerikaner und stellen sich darauf ein, künftig mit Berlin zu sprechen und London links liegen zu lassen.

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