Die Argumente der EU-Gegner sind falsch. Das britische Statistikamt hat die Gallionsfigur der "Leave-Bewegung", den ehemaligen Londoner Bürgermeister Boris Johnson, und seine Kampagnenmacher dafür gerügt, zu behaupten, die EU koste England 350 Millionen Pfund in der Woche. Aber die "Leave"-Bewegung zeigt sich schon längst nicht mehr beeindruckt von Fakten und mit ihr die Hälfte der Bevölkerung. Die Abstimmung kommende Woche dürfte knapp werden, zumindest legen das die meisten der nun zahlreich kursierenden Umfrageergebnisse nahe.
Die schwierige Beziehung der Briten zu Europa
Die Beziehungen zwischen Großbritannien und der Europäischen Union waren nie einfach. Der konservative britische Premierminister David Cameron will bei einer Wiederwahl 2017 ein Referendum über den Verbleib in der EU ansetzen - und vorher das Verhältnis des Königreichs zu Brüssel neu verhandeln. Geprägt von tiefem Misstrauen gegenüber Europa setzte Großbritannien in der Vergangenheit wiederholt Sonderregeln durch - und steht traditionell mit einem Fuß außerhalb der EU.
Da Großbritannien zwar viel in den EU-Haushalt einzahlte, aber kaum von den milliardenschweren Agrarhilfen profitierte, forderte die britische Premierministerin Margaret Thatcher 1979: „I want my money back!“ („Ich will mein Geld zurück!“) Die „Eiserne Lady“ setzte dann 1984 eine Rabatt-Regelung für ihr Land durch, nach der Großbritannien 66 Prozent seines Nettobeitrags an die EU zurückerhält. Der Rabatt besteht bis heute, obwohl er immer wieder den Unmut anderer EU-Länder erregt, da sie nun den britischen Anteil mittragen müssen. Doch abgeschafft werden kann die Regel nur, wenn London zustimmt.
Wer von Deutschland nach Frankreich, Österreich oder in die Niederlande reist, muss dafür seinen Pass nicht vorzeigen. Großbritannien-Urlauber sollten den Pass jedoch dabei haben: Die Briten haben sich nicht dem Schengen-Abkommen angeschlossen, das den EU-Bürgern Reisefreiheit von Italien bis Norwegen und von Portugal bis Polen garantiert.
Seit der EU-Vertrag von Lissabon im Jahr 2009 in Kraft getreten ist, kann Großbritannien wählen, an welchen Gesetzen im Bereich Inneres und Justiz es sich beteiligt. Zudem erwirkte die britische Regierung den Ausstieg aus 130 Gesetzen aus der Zeit vor dem Lissabon-Vertrag. Im Dezember 2014 stieg London dann bei rund 30 Regelungen wieder ein, darunter beim Europäischen Haftbefehl. Diese „Rosinenpickerei“ nervt im Rest der EU viele.
In der Verteidigungspolitik setzt Großbritannien auf die Nato. Als EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker im März für den Aufbau einer europäischen Armee warb, kam das „No“ aus London postwendend. „Verteidigung ist eine nationale, keine EU-Angelegenheit“, sagte ein Regierungssprecher. Obgleich Großbritannien Ende der 1990er Jahre den Widerstand gegen die Gründung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) aufgab, wacht es darüber, dass die Europäer hier nicht zu weit gehen. So hat London verhindert, dass es ein Militärhauptquartier in Brüssel gibt. EU-Einsätze wie etwa in Mali werden deshalb dezentral aus den Mitgliedstaaten geleitet.
Auch in der Euro-Krise ist die an ihrer Pfund-Währung festhaltende britische Insel ein gutes Stück weiter von der Kern-EU weggedriftet. Mit Sorge wurden in London die mühseligen Arbeiten zur Euro-Rettung beobachtet, zudem fürchtete die britische Regierung Folgen für den Finanzstandort London durch strengere Banken-Regulierung oder eine Finanztransaktionssteuer. Für Empörung in der EU sorgte, dass sich Großbritannien dem Fiskalpakt für mehr Haushaltsdisziplin nicht anschloss.
Gegen Argumente ist man im Moment immun im Königreich, biblisch gesprochen ist man mit einem "verstockten Herzen" unterwegs. Auch der engste Verbündete (aus englischer Sicht) des Landes, die USA, haben schon häufige Male den Engländern versucht klarzumachen, dass sie außerhalb der Europäischen Union für die Vereinigten Staaten nicht mehr von entscheidender Bedeutung sein werden. Am Ende der Schlange werde man sich künftig anstellen müssen, sagte Präsident Obama bei seinem letzten Besuch und verwendete dabei das britisch-englische Wort "queue" und nicht das in den USA gängige "line" - auf dass es wirklich jeder auf der Insel verstehen möge.
Seit das Referendum ausgerufen ist und die Umfragewerte im Vereinigten Königreich sind, wie sie sind, kann man eine Absatzbewegung der USA von England erkennen. Der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger sagte schon vor etlichen Jahren "Wen rufe ich denn an, wenn ich mit Europa sprechen will?". Die heimliche Antwort auf diese Frage war lange: England. Nun heißt sie: Deutschland.
Was den US-Amerikanern imponiert ist, dass die deutsche Regierung, ob sie nun selbst will oder nicht, Leadership zeigt – beispielsweise in der Flüchtlingskrise. In den bewegten Monaten im vergangenen Jahr, als tausende Deutsche die Flüchtlinge willkommen hießen und bis auf den heutigen Tag, wo immer noch täglich Abertausende für und mit den Flüchtlingen arbeiten, wird man in den USA als Deutscher angesprochen und für Angela Merkel gelobt. Jenseits der gehässigen Tweets eines Donald Trump erhält Deutschland, erhalten die Deutschen, viel Lob und Anerkennung, vor allem, und darauf bezieht sich diese Äußerung, in politischen und medialen Kreisen.