Aus Protest gegen neue Rentenkürzungen und eine Erhöhung der Einkommenssteuer haben in Athen tausende Griechen vor dem Parlament demonstriert. „Nieder mit den Sparmaßnahmen-Fallbeil für unsere Renten“, hieß es auf Transparenten, wie das griechische Fernsehen zeigte. Zu der Demonstration hatte die kommunistische Gewerkschaft PAME aufgerufen. Die Polizei schätzte, die Zahl der Demonstranten auf etwa 5000 Menschen, berichtete das Staatsradio. Die Sparmaßnahmen sind Voraussetzung für weitere Hilfen seitens der Gläubiger für das von der Pleite bedrohte Griechenland. Die Finanzminister der Eurogruppe wollen am Montag in Brüssel darüber beraten.
Im Parlament sollte am späten Sonntagabend nach einer zweitägigen zum Teil stürmisch verlaufenen Debatte ein neues hartes Sparprogramm mit Rentenkürzungen und Erhöhungen der Einkommenssteuer gebilligt werden. Das Paket hat ein Volumen von insgesamt 5,4 Milliarden Euro.
Das Parlament sollte im einzelnen über Rentenkürzungen entscheiden, mit denen 1,8 Milliarden Euro gespart werden sollen. Zudem sollen weitere 1,8 Milliarden Euro durch Steuererhöhungen in die Staatskassen fließen. In den kommenden Wochen soll das Parlament auch über Erhöhungen der indirekten Steuern in Höhe von 1,8 Milliarden Euro entscheiden.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sieht das Krisenland auf einem guten Weg. „Wir sind gerade bei der ersten Überprüfung des Programmes, und die Ziele sind so gut wie erreicht“, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Sonntag). Die europäischen Finanzminister würden am Montag „erste Diskussionen darüber führen, wie man die Schulden für Griechenland langfristig tragfähig machen kann“. Vor allem der Internationale Währungsfonds (IWF) macht sich dafür stark, schnell über Schuldenerleichterungen zu verhandeln. Das Thema müsse „sofort auf den Tisch“, schrieb IWF-Chefin Christine Lagarde an die 19 Eurozonen-Länder.
Am frühen Nachmittag gingen weitere 3000 Menschen, in ihrer Mehrheit Mitglieder linker Organisationen sowie Journalisten auf den Platz vor dem Parlament und forderten die Rücknahme des Gesetzes. „Für uns ist das (Gesetz) der Grabstein des Rentensystems, so wie wir es bislang kannten“, sagte ein Demonstrant im griechischen Fernsehen. „Wir werden nur noch etwas Taschengeld statt unsere Rente bekommen“, sagte eine Frau.
Am Abend wollten auch die Gewerkschaft der Staatsbediensteten (ADEDY) sowie der Dachverband des privaten Bereichs (GSEE) vor dem Parlament gegen das Sparpaket demonstrieren.
Regierungsabgeordnete warben für das Reformprogramm. Bereits am Vortag hatte Regierungschef Alexis Tsipras gewarnt, ohne Reformen werde Athen man bald gar keine Renten zahlen können. Die Sprecher der stärksten Oppositionspartei Nea Dimokratia (ND) warfen der Regierung vor, sie habe nicht den Mut statt die Renten zu kürzen, den staatlichen Bereich zu verkleinern.
Die von Athen vorgeschlagenen Sparmaßnahmen
Die griechische Regierung will bei den Verhandlungen mit den Geldgebern Athens durch Einsparungen und zusätzliche Einnahmen um Kürzungen bei Renten und Löhnen herumkommen. Zudem hofft Athen auf eine Umstrukturierung der Schulden und ein Investitionsprogramm. Dies verlautete aus Kreisen der Regierung in Athen. Die griechische Presse listete Maßnahmen zur Haushaltssanierung auf. Danach müssten die Griechen knapp acht Milliarden Euro sparen oder zusätzlich einnehmen.
Athen soll 2015 einen Primärüberschuss im Haushalt (Zinszahlungen und Tilgungen von Schulden werden dabei ausgeblendet) von einem Prozent und 2016 von zwei Prozent erzielen. Darauf haben sich die Staats- und Regierungschefs der Eurozone mit Athen laut Diplomatenkreisen bereits beim Sondergipfel geeinigt.
Künftig soll es drei Mehrwertsteuersätze geben: 6, 13 und 23 Prozent. Auf Energie, Wasser, Gastronomie entfällt weiterhin der mittlere Satz, während die Usamtzsteuer auf Medikamente und Bücher um 0,5 Prozent verringert wird. Die Institutionen forderten zwei Sätze (11 Prozent und 23 Prozent), wobei Medizin bei 11 und Energie, Wasser und Gastronomie bei 23 Prozent eingeordnet worden wäre.
Athen will die Einkommen von 12.000 bis 20.000 Euro mit 0,7 Prozent Sonder-Solidaritätssteuer belasten. Wer 20.001 bis 30.000 Euro (brutto) jährlich bezieht, soll 1,4 Prozent „Soli“ zahlen. Das geht stufenweise weiter bis zu acht Prozent für Einkommen über 500.000 Euro im Jahr.
Die Besitzer von Immobilien sollen weiter eine Sondersteuer zahlen, die dem Staat bis zu 2,7 Milliarden Euro bringen soll. Ursprünglich wollte die Regierung sie abschaffen.
Besitzer von Luxusautos, Privatflugzeugen und Jachten müssen mehr an den Fiskus zahlen.
2016 sollen Unternehmen mehr Steuern zahlen. Statt bisher 26 Prozent sollen 29 Prozent Unternehmensbesteuerung fällig werden. Zwölf Prozent Sondersteuer müssen alle Betriebe zahlen, die mehr als 500.000 Euro Gewinn machen.
Für Fernsehwerbung soll eine Sondersteuer erhoben werden. Private TV- und Radiosender sollen eine neue Lizenzsteuer zahlen. Zudem sollen elektronische Wetten besteuert werden.
Rüstungsausgaben sollen um 200 Millionen Euro gekürzt werden.
Die meisten Frührenten sollen stufenweise abgeschafft werden. Rentenkürzungen soll es nicht geben. Offen blieb, ob und wann die Regierung das Rentenalter auf 67 Jahre anheben wird.
Die Sozialbeiträge der Arbeitnehmer und Arbeitgeber sollen erhöht werden. Das soll in den kommenden 18 Monaten knapp 1,2 Milliarden Euro in die Rentenkassen spülen. Versicherte sollen beim Kauf von Medikamenten stärker zur Kasse gebeten werden.
Die Regierung stimme begrenzten Privatisierungen zu, hieß es.
Athen schlägt den Angaben zufolge eine Umschichtung der Schulden im Volumen von 27 Milliarden Euro von der Europäischen Zentralbank (EZB) auf den Euro-Rettungsfonds ESM vor.
Athen hofft auf ein Investitionsprogramm der EU-Kommission und der Europäischen Investitionsbank.
Regierungsvertreter zeigten sich zuversichtlich: „Das Parlament wird das Gesetz billigen. Es wird keine Abweichler geben“, sagte ein Regierungssprecher im Fernsehen. Dies bekräftigen auch mehrere Minister im Parlament. Die Regierung unter dem linken Premier Alexis Tsipras verfügt über eine knappe Mehrheit von 153 Abgeordneten im Parlament mit 300 Sitzen.
Vor allem der IWF fordert weitere Sparanstrengungen in einem Umfang von 3,6 Milliarden Euro. Die Schritte sollen aber nur in die Tat umgesetzt werden, falls das Krisenland Budgetziele nicht erreicht. Das „Sparpaket auf Vorrat“ ist umstritten: Der IWF ordnet den griechischen Staat in einer weitaus prekäreren finanziellen Lage als die Europäer ein. Die Europäer unterstützten die IWF-Forderung, denn sie wollen den Weltwährungsfonds beim dritten Hilfspaket in Höhe von von bis zu 86 Milliarden Euro mit an Bord haben. Die Regierung in Athen sieht indes keine Chance, einen solchen Vorratsbeschluss durchs Parlament zu bekommen.
Der IWF verlangt zudem von der Eurozone unverzügliche Verhandlungen über Schuldenerleichterungen für Griechenland. Einen entsprechenden Brief von IWF-Chefin Christine Lagarde hatte am Freitag ein IWF-Sprecher in Washington bestätigt. „Ich kann bestätigen, dass es den Brief gibt“, sagt er der Deutschen Presse-Agentur. Die Gespräche über weitere Haushaltseinsparungen in Griechenland in Höhe von drei Milliarden Euro seien fruchtlos. Die Vereinbarung mit der EU, mittel- und langfristig einen Haushaltsüberschuss (ohne Schuldendienst) von 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erwirtschaften, sei unrealistisch. Dieses Ziel müsse auf 1,5 Prozent nach unten korrigiert werden. „Machen wir uns nichts vor - dieses höhere Ziel wäre nicht nur sehr schwer zu erreichen, es wäre möglicherweise auch kontraproduktiv“, schrieb Lagarde. Um 3,5 Prozent zu erreichen, müsste Griechenland noch heftiger sparen.