Griechenland Unternehmer stellen sich der Krise

In Athen jammern sie noch, aber anderswo im Land entstehen Geschäftsideen – und neue Hoffnung keimt.

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Das produzieren die Griechen
Sinkendes BIP, steigende ExporteDas griechische Bruttoinlandprodukt sank 2011 laut Internationalem Währungsfonds zum dritten Jahr in Folge – und jedes Mal wird der Rückgang größer. 2009 sank die Wirtschaftsleistung erstmals um 2,34 Prozent, vergangenes Jahr waren es schon fünf Prozent. Insgesamt trägt die Industrie nur ein Zehntel zur Wirtschaftsleistung bei. Immerhin steigen die Exporte. Lag das Saldo der griechischen Handelsbilanz laut der Welthandelsorganisation vor vier Jahren noch bei -66,2 Milliarden US-Dollar, waren es 2010 nur noch -41,76 Milliarden. Nun veröffentlichte das griechische Statistikamt, das vergangenes Jahr die Exporte um 9,4 Prozent gestiegen seien – ausgelassen haben die Statistiker dabei Mineralölprodukte und Schiffe. Doch was macht die griechische Industrie eigentlich aus? WirtschaftsWoche Online wirft anhand von kürzlich veröffentlichten Zahlen des Deutschen Instituts für Weltwirtschaft (DIW) einen Blick auf die zehn größten verarbeitenden Gewerbe Griechenlands. Quelle: dpa
10. MaschinenMaschinen haben für die griechische Produktion nicht die gleiche Bedeutung, wie in Deutschland. Sie liegen laut DIW lediglich an zehnter Stelle der griechischen Industrien. Ihr Anteil macht gerade mal zwei Prozent an der Bruttowertschöpfung im verarbeitenden Gewerbe aus. In der gesamten Europäischen Union beträgt der Anteil 10,9 Prozent. 2010 betrugen die Exporte griechischer Maschinen 1,9 Millionen Euro, gleichzeitig wurden Maschinen im Wert von 11,5 Millionen Euro importiert. Das macht ein Saldo von -9,6 Millionen Euro. Das Bild zeigt einen BMW auf der Automesse in Athen. Quelle: AP
9. Elektrische AusrüstungenElektrische Ausrüstungen liegen für die griechische Industrie an neunter Stelle. Ihr Anteil an der Bruttowertschöpfung des verarbeitenden Gewerbes in Griechenland macht 2,5 Prozent aus – in der EU sind es insgesamt 5,4 Prozent. Quelle: dpa
8. Chemie4,3 Prozent der griechischen Produktion sind chemische Erzeugnisse – ausgenommen ist dabei Mineralöl. In der EU beträgt der Produktionsanteil chemischer Waren generell 6,9 Prozent. Die griechischen Chemie-Ausfuhren sind 2010 laut DIW auf 2,4 Milliarden Euro gestiegen. 2009 waren es noch 2,1 Milliarden Euro. Das Handelsbilanzsaldo chemischer Erzeugnisse aus Griechenland sank somit auf -4,9 Milliarden. Quelle: dapd
7. Textilien und LederwarenBei Stoffen, Leder und Bekleidung ist der Anteil an der griechischen Produktion größer als in der Gesamt-EU. Sie stellen 4,7 Prozent der Bruttowertschöpfung des verarbeitenden Gewerbes, der Anteil ist generell in der EU nur 4,1 Prozent. Quelle: dpa
6. Medizin Der einzige griechische High-Tech-Zweig, der international mithalten kann, ist die griechische Pharmaindustrie, die sich hauptsächlich rund um Athen befindet und auf Generika spezialisiert ist. Pharmazeutika stellen 5,6 Prozent an der griechischen Produktion, in der EU sind es insgesamt nur 4,6 Prozent. Quelle: dpa
5. Gummi- und Kunststoffwaren, Glas, Keramik, Steine und ErdenAcht Prozent am verarbeitenden Gewerbe in Griechenland macht die Produktgruppe rund um Gummi-, Glas- und Steinprodukte aus. In der EU sind es allgemein neun Prozent. Quelle: dpa/dpaweb

Die hellrote Flüssigkeit schwappt zum Glasrand hoch. Schwenken, riechen, schmecken, spülen – und wieder ausspucken. Stellios Boutaris probiert den neuesten Cuvée der Kellerei Kir-Yanni. »Der wird was!«, freut er sich über den entstehenden Rosé-Sekt, mit dem er Nordeuropa erobern will. »Deutschland ist ein Sektland, da werden sich Käufer finden.«

In dem Örtchen Yannakohori, eine Stunde westlich von Thessaloniki, kann man den Optimismus verstehen. Über dem Weingut Kir-Yanni liegt eine sanfte Wintersonne. Wellenförmig steigen die Weinberge zum Vermio-Gebirge hoch. Über dem schwachen Grün und Grau der Hänge liegt Schnee auf den Höhen, irgendwo da oben der Skiort Seli.

Hier entsteht das, was Stellios Boutaris für das Geschäftsmodell Griechenlands hält: »Das, was wir können, richtig gut machen.« Einen guten Wein zum Beispiel. Retsina, der berüchtigte Kehlenkratzer vom Griechen um die Ecke – das war gestern. Kir-Yanni beliefert Spitzenrestaurants in Athen, Thessaloniki – und zunehmend auch Kunden im Ausland. »Wir produzieren in Griechenland weniger Billigfusel als früher, sondern guten Wein, für den immer mehr Leute einen guten Preis zahlen«, sagt der 47-jährige Boutaris. Kir-Yanni wird zur Marke.

Neue Initiativen fernab der Hauptstadt

Das neue Griechenland entsteht in diesem mazedonischen Dorf und in den Straßen der Bezirkshauptstadt Thessaloniki – getragen von jenen Griechen, die nicht mehr auf den Staat hoffen. Vielleicht ist es deshalb in Athen so schwer zu finden. Zwischen den Gewerkschaftsbossen von gestern. Den korrupten Politikern, die Reformen aus Klientelinteresse hintertreiben.

Das neue Rettungspaket für Griechenland

Den Abgeordneten, die Millionen Euro im Ausland bunkern. Den Staatsangestellten, die sich ein Leben jenseits des geheizten Büros nicht vorstellen können. Besuchen wir jene Griechen, die auf eigene Rechnung leben wollen.

Dieser Mann hat erst im Rentenalter in das warme Büro der Stadtverwaltung von Thessaloniki gefunden. Yannis Boutaris ist der Vater von Stellios. Bis vor wenigen Jahren hatte er das von ihm 1996 begründete Weingut selbst geleitet. Dann ging der heute 69-Jährige in die Politik, stellte sich zur Wahl und wurde vor gut einem Jahr zum Bürgermeister der zweitgrößten griechischen Stadt gewählt.

Als erfolgreicher Geschäftsmann, als einer, der aus eigener Kraft lebt, als Antipolitiker. Das sieht man. Der Bürgermeister trägt in seinem geräumigen Büro mit Ägäisblick als einziger Mann keine Krawatte. Er hat einen schwarzen Designeranzug angelegt, dazu einen kleinen Ohrknopf zur runden Brille, ultrakurze Haare, knallrote Socken, einen tätowierten Salamander auf der Hand.

Auf die kleinen Dinge konzentrieren

Yannis Boutaris ist bei den Bürgern und EU-Besuchern beliebt. Das hat mit seinen Reformen zu tun. In der Stadtverwaltung fegt Boutaris aus, lässt die Zahl der Direktorate verringern, lässt erstmals eine Arbeitsplatzbeschreibung für jeden Stadtangestellten anfertigen. Damit man weiß, wer wofür gebraucht wird. »Das ist meine größte Herausforderung!«, sagt er. Doch man erwartet auch recht viel von ihm. Man erwartet, dass er den frustrierten Thessalonikern neue Horizonte öffnet.

Diese Stadt am Mittelmeer war einmal das Manchester Mazedoniens. Aber die Textilfabriken, Ledermanufakturen, Strickereien, Wollfärbereien wanderten nach dem Fall des Eisernen Vorhangs in den neunziger Jahren nach Norden ab, nach Exjugoslawien und Bulgarien. Der von deutschen Ministern öffentlich angeregte Euro-Austritt Griechenlands hilft da wenig. Denn die billigen Massenprodukte zum Export hätte Thessaloniki gar nicht zu bieten.

Wovon also soll die zweitgrößte Stadt Griechenlands künftig leben? Die Billigproduktionsidee hält Boutaris für ebenso untauglich wie das bisher viel zu lang gepflegte griechische Entwicklungsmodell des fremdgesponserten Konsums. »Small is beautiful!«, ruft er. Die Griechen sollten sich auf die kleinen Dinge konzentrieren, die sie gut beherrschen, und diese dann wirklich auch exzellent herstellen.

"Wir verkaufen unsere Produkte nicht gut genug"

Gleich, ob sie in den Weinbergen, in der Obstwirtschaft, in den Olivenhainen, in Solarfarmen oder hinter der Hotelrezeption stehen. »Wir verkaufen uns und unsere Produkte nicht gut genug.« Boutaris regt an, von den Italienern zu lernen, die Qualität und Marken pflegen würden. Ein Großteil des besten griechischen Olivenöls geht nach Italien und wird dem »reinen italienischen« Öl beigemischt. »Das müssen wir selbst machen«, sagt Boutaris.

Da stimmen viele zu. Auf einem Wirtschaftskongress nicht weit vom Bürgermeisteramt versammeln sich Unternehmer aus Nordgriechenland. Hier ist wenig zu hören von dem Athener Gejammer über die Programme der EU und des Internationalen Währungsfonds. Es ist ein Kongress gegen die erstarrte Hauptstadt Athen, gegen den handlungsunfähigen Zentralstaat, eine liberale Kritik an verfetteter Administration. Die Redner holen aus gegen die Politiker der großen Parteien, die seit Jahren Reformen sabotieren, gegen die Klientelwirtschaft, gegen die sinnlose Verschwendung von EU-Ressourcen.

»Der Staat ist unsere Krise«, sagt der Wirtschaftsprofessor Moise Sidoropoulos. Auf der Bühne fordern Redner, die Griechen sollten aufhören, »von einem warmen Staatsjob zu träumen«. Manche schlagen vor, die EU solle Beamte in die griechischen Ministerien entsenden, andere empfehlen ihrem Land als Unterstützung Berater aus Amerika. Die Art des Wirtschaftens solle sich ändern.

»Wir wollen keine Geschäftsleute, die staatlichen Schutz suchen, wir wollen Unternehmer, die auf den Markt gehen und kämpfen«, ruft einer. Das klingt richtig mutig. Was wäre denn der Markt der Griechen?

Bild im Ausland auffrischen

Moise Sidoropoulos präsentiert eine respektable Liste. Die großen Flotten griechischer Reeder müssten durch Senkung von Steuern und Abgaben nach Griechenland zurückgeholt werden – Schifffahrt als Wachstumsfaktor. Die Erzeugung alternativer Energie solle ins Land: Wind und Sonne habe Griechenland im Überfluss. Griechenland verfüge über eine kleine, aber schlagkräftige Pharmaindustrie, die sich auf Generika spezialisiert habe.

Die Landwirtschaft müsse mehr Qualitätsprodukte exportieren, Fischfarmen müssten die überfischten Meere entlasten. Der wichtigste Wirtschaftszweig aber sei der Tourismus. Die Ressource ist die Schönheit des Landes.

Das sieht Yannis Boutaris ganz genauso. Als Bürgermeister versucht er, das etwas unscharfe Bild von Thessaloniki im Ausland aufzufrischen. Festivals, Kulturereignisse und gezielte Tourismuswerbung sollen mehr zahlungskräftige Ausländer in die Stadt bringen. »Die billigste Investition in die Wirtschaft Griechenlands ist der Tourismus, weil wir die wichtigsten Dinge schon haben.«

Anschauungsunterricht in Deutschland

Boutaris wuchert mit der reichen Vergangenheit, auch mit den Hinterlassenschaften der Römer und Byzantiner: antiken Kirchen, Triumphbögen, Amphitheatern, Stadtmauern. Bis 1913 gehörte Thessaloniki zum Osmanischen Reich. Bis zur Ermordung durch die Deutschen lebten viele Juden in Thessaloniki. Also wirbt Boutaris speziell um Türken und Israelis.

Er überzeugte Fluggesellschaften, direkte Verbindungen aus Istanbul und Tel Aviv einzurichten. Die Besucherzahlen steigen rapide. Er versucht, Kreuzfahrtschiffe anzulocken. Neulich besuchte Boutaris Hamburg, um von dessen Erfolgen mit großen Pötten zu lernen.

Doch in Deutschland fand er noch mehr Nachahmenswertes. Während viele Athener Politiker guten Rat aus der EU irgendwie als lästig empfinden, schaute sich Boutaris die Müllwirtschaft deutscher Städte an. Für die Lösung des Müllproblems in Thessaloniki hat er wenig vorzuweisen. Die Müllfrage dürfte für seine Wiederwahl jedoch genauso entscheidend werden wie die wirtschaftliche Wiederbelebung der Stadt.

Boutaris, der Selfmademan, hält nicht zuletzt eine bessere Ausbildung für überlebenswichtig. Die Herstellung von landwirtschaftlichen Spitzenprodukten etwa erfordere entsprechendes Know-how. Dazu müsse man nicht an der Universität promovieren. Aber: »Wir brauchen Fachhochschulen und Berufsschulen – wie in Deutschland«, sagt Boutaris.

Vorbild USA? Das war einmal

Griechischer Wein soll bald auch zunehmend in China getrunken werden. Quelle: dpa/dpaweb

Früher, lange Zeit vor Boutaris, waren einmal die USA das Vorbild. So ist denn auch die einzige landwirtschaftliche Berufsschule in der Großstadt die American Farm School. Gegründet wurde sie 1904 von einem US-Missionar aus Pennsylvania, heute ist sie so etwas wie das Agrikultur-Harvard Griechenlands. Die Absolventen dieser Schule finden alle einen Job, viele haben erfolgreiche Unternehmen gegründet.

Deshalb ist die Farm School hoch gefragt, die Auswahl streng. Zu lernen sind Fächer wie Käserei, Biolandwirtschaft, Gartendesign, Pilzkultivierung, Winzerei, Schneckenzucht und vieles mehr.

Griechischen Wein in China verkaufen

Also: zurück aufs Land? Der Ausbildungsdirektor der Farm School, Vangelis Vergos, wehrt ab. »Landleben ist harte Arbeit, das Dorfleben setzt enge Grenzen, die für Menschen aus der Stadt schwer erträglich sind.« Eine Mischung hat vielleicht mehr Zukunft: arbeiten auf dem Land, leben in der Stadt. Yannis Boutaris steht dafür. Der langjährige Winzer ist ein Stadtmensch.

»Ich liebe Abgase«, witzelt er. Für die Mischung aus Idylle und Moderne steht auch das Weingut Kir-Yanni. Sein Sohn hat mit einem knorrigen griechischen Landwirt nichts mehr zu tun. Natürlich muss der Wein angebaut, gepflegt, geerntet, gekeltert, kultiviert werden. Aber daneben jagt Stellios Boutaris über Weinmessen in Europa und Amerika.

Zukunftsszenarien für Griechenland

Seinen Wein will er nun auch nach China verkaufen. Längst hat er das E-Shopping über das Internet eingeführt. Der Kir-Yanni-Tropfen kommt künftig per Mausklick ins Haus.

So könnte das neue Griechenland aussehen. Wenn die Rechnung aufgeht.

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