Die Weste spannt. Als Griechenlands Premier Alexis Tsipras gerade den frisch gewählten Oppositionsführer Kyriakos Mitsotakis empfing, hatte er, ganz staatstragend, einen grauen Dreiteiler gewählt. Doch nicht die förmliche Kleidung des einstigen Rebellen Tsipras erregte Aufmerksamkeit, sondern die Pfunde, die er in den vergangenen Monaten zugenommen hat. Neben dem alerten neuen Chef der konservativen Nea Demokratia wirkte der sechs Jahre jüngere Syriza-Chef stämmig und vorzeitig gealtert.
Alexis Tsipras und die Schuldenkrise
Das Syriza-Linksbündnis unter Tsipras gewinnt die vorgezogenen Neuwahlen mit gut 36 Prozent. Seine Popularität verdankt er der Ablehnung des mit den internationalen Geldgebern vereinbarten Sparkurses. Tsipras schmiedet ein umstrittenes Regierungsbündnis mit den rechtspopulistischen Unabhängigen Griechen.
Die Euro-Finanzminister verlängern das Hilfsprogramm von Ende Februar bis Ende Juni 2015.
Tsipras trifft zu seinem ersten offiziellen Besuch in Berlin ein. Mit einer Reformliste will er bei Kanzlerin Angela Merkel für sich werben.
Die Krise im pleitebedrohten Griechenland verschärft sich. Das Tauziehen um Reformen geht weiter. Tsipras gerät in der eigenen Partei unter Druck, weil der linke Flügel gegen weitere Zugeständnisse an die Geldgeber ist.
Tsipras kündigt vor dem entscheidenden Treffen der Eurogruppe ein Referendum über die Sparvorschläge der Geldgeber an und zieht damit deren Ärger auf sich. Kurz vor dem Auslaufen des zweiten Hilfspakets bittet er um ein drittes Hilfsprogramm unter dem Euro-Rettungsschirm ESM.
Tsipras will nach dem Nein der Griechen zu den Sparvorgaben der Gläubiger neue Verhandlungen. Bei einer Abstimmung im Parlament über das Spar- und Reformprogramm verfehlt er deutlich eine eigene Mehrheit, doch die Opposition stimmt überwiegend mit Ja. Sein Finanzminister Gianis Varoufakis tritt zurück. Kurz darauf entlässt Tsipras zahlreiche Regierungsvertreter seines linken Partei-Flügels. Beim Ja des Parlaments zu einem zweiten Reformpaket verfehlt er aber wiederum die eigene Mehrheit.
Tsipras kann die Experten der Gläubiger überzeugen: In den Verhandlungen über weitere Finanzhilfen bis zu 86 Milliarden wird eine Grundsatzeinigung erzielt. Aber der linke Syriza-Flügel läuft Sturm gegen die Sparmaßnahmen.
Bei der Abstimmung über das neue Hilfsprogramm verfehlt Tsipras erneut eine eigene Mehrheit seiner Koalition. Aus Regierungskreisen heißt es, er wolle nach Zahlung der ersten Tranche der Finanzhilfe die Vertrauensfrage stellen.
Der Bundestag stimmt weiteren Krediten zu. Die Euro-Finanzminister bewilligen die erste Kredittranche von 26 Milliarden Euro.
Tsipras will nach Angaben aus Regierungskreisen zurücktreten, um den Weg für vorgezogene Parlamentswahlen am 20. September zu ebnen. Er erhofft sich dadurch ein frisches Mandat, ehe die harten Sparmaßnahmen des neuen Sparprogramms greifen.
Sein erstes Jahr im Amt hat sichtlich Spuren hinterlassen. Hat Tsipras aber auch Spuren im Land hinterlassen? Die Griechen wählten den Außenseiter im Januar 2015, weil sie sich von ihm nicht bloß ein Ende der Krise erhofften, sondern eine Art Revolution, einen kompletten Neuanfang. Tsipras gelobte, die verhasste Troika der ausländischen Geldgeber aus dem Land zu werfen, die Armut zu bekämpfen und die Macht der reichen Oligarchen zu brechen. Dass er dies erreicht, glauben ihm offenbar nicht länger viele Griechen. Es sind nicht nur die Bauern, die sich bei Demonstrationen gegen neue Steuern in der Landwirtschaft mit der Staatsmacht anlegen. Mehr als die Hälfte seiner Wähler ist laut Meinungsumfragen unzufrieden mit dem Kurs des Regierungschefs. Und doch sieht es so aus, als werde der 41-jährige Linke mit seiner jungen Truppe das Sagen in der griechischen Politik behalten.
Diese Reformvorschläge bietet Griechenland an
Die griechische Regierung verspricht, sich an Ziele für den Primärüberschuss zu halten: ein Prozent in diesem Jahr, zwei Prozent im Jahr 2016, drei und 3,5 Prozent für 2017 beziehungsweise 2018.
Die Vorschläge aus Athen beinhalten eine Reihe von Steuererhöhungen, darunter eine Mehrwertsteuer für Restaurant und weitere Gastronomiebetriebe von 23 Prozent, ermäßigte 13 Prozent für Grundnahrungsmittel, Energie, Hotels, Wasser und eine sogenannte superermäßigte Rate von sechs Prozent auf Dinge wie Arzneimittel, Bücher und Theatervorführungen - vielleicht ist das angemessen für ein Land, das in Sachen Drama Pionierarbeit geleistet hat. Die neuen Steuerstufen sind ab diesem Oktober gültig.
Darüber hinaus wird den Steuervergünstigungen für die bei Touristen beliebten Inseln des Landes weitgehend ein Ende bereitet: Nur die entferntesten Inseln sollen die begehrten finanziellen Erleichterungen behalten.
Für das Militär will Griechenland in diesem Jahr 100 Millionen Euro weniger ausgeben, diese Kürzung soll 2016 verdoppelt werden. Die Körperschaftssteuer wird von 26 auf 28 Prozent erhöht. Bauern werden ihre Steuervorzüge und Benzinsubventionen verlieren.
Die Regierung will deutlich härter gegen Steuerhinterzieher durchgreifen. Die wichtige Schiffsindustrie des Landes muss sich auf Steuererhöhungen für ihre Tonnage einstellen, die Steuervorteile für die Industrie an sich werden phasenweise zurückgefahren. Eine Luxussteuer wird auf Freizeitfahrzeuge mit einer Länge von mehr als fünf Metern ausgeweitet, die Rate steigt von zehn auf 13 Prozent.
Die Regierung erwägt Reformen, die dauerhafte Einsparungen von 0,25 bis 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in diesem Jahr und ein Prozent ab 2016 bringen würden. Um dies zu erreichen, soll die Zahl der Frührentner sinken und das Renteneintrittsalter im Jahr 2022 auf 67 vereinheitlicht werden. Eine Ausnahme stellen besonders harte körperliche Arbeiten dar sowie Mütter, die Kinder mit Behinderungen großziehen.
Gesetzliche Renten werden zielgerichteter, während Zusatzversorgungskassen durch Arbeitnehmeranteile finanziert werden sollen. Sozialleistungen wie ein Solidaritätszuschlag laufen phasenweise aus. Krankenbeiträge für Rentner steigen im Durchschnitt von vier auf sechs Prozent. Weitere Reformen sollen anlaufen, um das Rentensystem nachhaltiger zu machen. Dazu soll eine Überholung der Rentenbeiträge für Selbstständige sein.
Die Behörden werden die Löhne von Staatsbediensteten umformen, um sicherzustellen, dass sie 2019 rückläufig sind und „den Fähigkeiten, Leistungen und Verantwortlichkeiten“ des Personals entsprechen. Leistungen wie bezahlten Urlaub und Reiseerlaubnisse werden an die EU-Normen angepasst.
Ein Plan ist auf dem Weg, demzufolge Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes leichter auf Posten eingesetzt werden können, auf denen sie gebraucht werden. Ende Juli soll zudem ein Strategiepapier zum Kampf gegen Korruption fertig sein. Gleichzeitig sollen neue Gesetze für mehr Transparenz bei der Finanzierung politischer Parteien sorgen. Ermittlungen wegen finanzieller Vergehen sollen vor politischer Einflussnahme geschützt werden.
Die Regierung will eine unabhängige Steueraufsicht einsetzen. Reformen zur Modernisierung der Steuererhebung, zur Verfolgung von Steuerbetrug sowie zum Kampf gegen Kraftstoffschmuggel sollen ebenfalls auf den Weg gebracht werden.
Korrekturen der Insolvenzgesetze sollen dafür sorgen, dass Schuldner ihre Verbindlichkeiten bezahlen. Berater werden in der Frage helfen, wie mit faulen Krediten umgegangen wird. Es werden außerdem Schritte ergriffen, um Investoren aus dem Ausland dazu zu bewegen, ihr Geld in griechische Banken fließen zu lassen.
Die Regierung will Beschränkungen für Berufsgruppen wie diejenigen von Ingenieuren, Notaren und Gerichtsvollziehern öffnen. Unnötige Bürokratie soll abgeschafft werden. Durch Gesetze soll es einfacher werden, Geschäftslizenzen zu bekommen. Auch der Gasmarkt soll reformiert werden.
Die linke Regierung will Staatseigentum verkaufen und eine Privatisierung des Stromversorgungskonzerns auf den Weg bringen. Auch regionale Flughäfen und Häfen wie jene in Piräus und Thessaloniki sollen möglicherweise privatisiert werden.
Das Spiel mit der Macht hat Tsipras im Amt perfekt erlernt – nur was er mit der Macht anfängt, bleibt die große Frage. Gut sind seine Leute, ganz ähnlich wie ihre Vorgänger, bislang vor allem in Sachen Ankündigungen. „Diese Regierung ist entschlossen, alles wie vereinbart pünktlich umzusetzen“, sagt Wirtschaftsminister Giorgos Stathakis in seinem Büro nahe des Parlaments. Im Regal steht eine kleine Büste von Karl Marx, das Geschenk einer deutschen Gewerkschaftsdelegation. Stathakis sieht gar schon ein Ende der Rezession heraufziehen (WirtschaftsWoche 3/2016). Auch kann er auf Verhandlungen zur Privatisierung verweisen, gegen die sich die neue Regierung lange gesträubt hatte. Gespräche zum Verkauf des Hafens von Piräus an die chinesische Cosco Pacific stehen vor dem Abschluss, bald soll das Frachtgeschäft der Bahn an private Betreiber gehen. Zudem zieht sich der Staat aus großen Banken zurück.
Bei der Piräus Bank sank die Staatsbeteiligung von 67 Prozent auf 26 Prozent, bei der Alpha Bank von 64 auf 11 Prozent. Die griechischen Hoffnungen auf ein Wachstum von bis zu 1,5 Prozent in diesem Jahr aber gelten in der Euro-Gruppe und beim Internationalen Währungsfonds (IWF) als reines Wunschdenken. Die Geldgeber befürchten zudem, dass die Steuereinnahmen deutlich niedriger ausfallen werden als von Athen geplant. Zudem fallen die neuen Mächtigen mit vertrauter Zahlentrickserei auf.
An Griechenland hängt mehr als nur der Euro
Seit Wochen betonen die Euro-Partner, dass die Ansteckungsgefahr nach einem Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone eher gering wäre. Zum einen wird darauf verwiesen, dass sich heute fast alle griechischen Schulden bis auf 40 bis 50 Milliarden Euro in der öffentlichen Hand befinden - eine Kettenreaktion kollabierender Banken also nicht zu befürchten sei. Zum anderen hätten sich Gläubiger seit langem auf mögliche Probleme eingestellt und ihre griechischen Geschäfte reduziert.
Alles falsch, meint Schulz und verweist darauf, dass die Risikoaufschläge etwa für spanische Staatsanleihen in den vergangenen Wochen erheblich gestiegen seien. Kommt ein Staatsbankrott, würde der möglicherweise einen Schuldenschnitt nach sich ziehen - mit erheblichen Belastungen für die klammen Haushalte etwa der südlichen EU-Staaten, aber auch Frankreichs.
Außerdem könnte das Vertrauen in den Euro als Währung weltweit Schaden nehmen, wenn eines der 19 Mitglieder ausbreche, heißt es in der Bundesregierung. Dabei spiele keine große Rolle, dass Griechenland weniger als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Währungszone beisteuere. Denn die angebliche Unumkehrbarkeit der Euro-Einführung wäre widerlegt.
In Berlin fürchtet man aber auch, dass ein Kollaps Griechenlands den Befürwortern eines britischen Austritts aus der EU Auftrieb geben könnte. Europa droht also an seinen Rändern zu zerfasern. Der Grund ist einfach: Die EU wäre nach einem Ausstieg Athens wahrscheinlich in einem so desolaten Zustand und müsste so viel kurzatmige Rettungsaktionen für Griechenland starten, dass die Gemeinschaft auf britische Wähler kaum noch attraktiv wirken dürfte. Möglicherweise würden zudem mehr Griechen das eigene Land auch Richtung Großbritannien verlassen wollen. Die Briten schimpfen aber bereits jetzt über zu viele Migranten aus anderen EU-Ländern - dies ist einer der Kritikpunkte der EU-Gegner auf der Insel.
Griechenland ist nicht nur ein angeschlagener Euro-Staat, sondern auch ein schwieriger EU-Partner. Mit seiner Linksaußen- Rechtsaußen-Regierung betonte Ministerpräsident Alexis Tsipras politische Nähe zum Kreml und hat sich mehrfach mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin getroffen. In der EU gibt man sich zwar gelassen, dass Russland nicht als alternativer Geldgeber gegen die EU ausgespielt werden kann - dafür sind die nötigen Hilfssummen viel zu groß. Auch die Träume des Links-Politikers, dass Griechenland Verteilland für russisches Gas in der EU werden könnte, dürften sich angesichts des Vorgehens der EU-Kommission gegen den russischen Gasriesen Gazprom zerschlagen. Aber Putin hat nach Ansicht von EU-Diplomaten durchaus schon bewiesen, dass er Differenzen zwischen EU-Staaten ausnutzen kann. Bei der Verlängerung von EU-Sanktionen gegen Russland braucht es etwa auch die Zustimmung Griechenlands.
In Berlin sorgt man sich zunehmend, dass die gesamte Balkan-Region ohnehin sehr instabil werden kann. Immer noch gärt der Namensstreit zwischen Griechenland mit dem EU-Beitrittsaspiranten Mazedonien - in dem ein heftiger innenpolitischer Machtkampf tobt. Und Geheimdienste warnen, dass die radikalislamische Miliz Islamischer Staat (IS) in den vergangenen Monaten massiv versucht hat, in den moslemischen Bevölkerungen Bosnien-Herzegowinas, Albaniens oder Mazedoniens Fuß zu fassen. Ein zusammenbrechender Nachbarstaat Griechenland würde die Unruhe in der Region noch verstärken.
Kaum diskutiert worden ist die Rolle Griechenlands bei der Abwehr eines unkontrollierten Zuzugs von Flüchtlingen in die EU. In den vergangenen Jahren hat der bessere Schutz der griechisch-türkischen Grenze Flüchtlingen aus dem Nahen Osten die Einwanderung in die EU zumindest zum Teil erschwert. Die linke Syriza-Partei könnte im Falle eines Staatsbankrotts die Schleusen für afrikanische oder syrische Flüchtlinge aufmachen. Entsprechende Drohungen waren aus Athen bereits zu hören. Denn seit Jahresbeginn seien bereits 46.000 Flüchtlinge nach Griechenland gekommen, teilte die Internationale Organisation für Migration (IOM) mit. 2014 waren es im selben Zeitraum nur 34.000 Personen. Die Vereinten Nationen warnen bereits vor einer Flüchtlingskatastrophe in Griechenland.
EU-Kommissar Günther Oettinger forderte die Brüsseler Behörde auch deshalb auf, einen "Plan B" zu erarbeiten. Dabei soll Hilfe für das Land für den Fall eines Bankrotts vorbereitet werden. Neben humanitärer Hilfe gehe es um die Frage, wie man eigentlich die Sicherheit in dem EU-Land noch gewährleisten will, wenn die Regierung den Polizisten keine Löhne mehr zahlen kann.
So hat der Staat seit dem Amtsantritt von Tsipras Gehälter und Renten bezahlt, nicht aber offene Rechnungen – etwa von Handwerkern oder Dienstleistern. Auf die Weise wurden nach Angaben der Troika rund sechs Milliarden Euro neue Schulden angehäuft. „Der Staat sollte die offenen Rechnungen endlich begleichen, schließlich fehlt das Geld der griechischen Wirtschaft“, sagt ein Vertreter der Geberinstitutionen. Auch von dem von Tsipras angekündigten Kampf gegen Vetternwirtschaft und die Übermacht der Oligarchen ist bislang nichts zu sehen. „Er hat dazu kein einziges Gesetz verabschiedet“, sagt der Politologe Stathis Kalyvas von der US-Universität Yale. „Ich hätte erwartet, dass Oligarchen mehr Schwierigkeiten bekommen, aber davon ist nichts zu spüren“, sekundiert ein griechischer Topbanker.
Ähnlich unverändert wirkt die Lage der Medien
In Athen tuschelt man gerade über den Fernsehsender Alpha, der auffällig wohlwollend über die Syriza-Regierung berichtet, seit die beim Besitzer des Senders Steuerschulden ausfindig gemacht hat. So will er offenbar eine Zahlung verhindern. Deals zwischen den Besitzern privater Sendeanstalten und der Regierung haben in Griechenland Tradition. Genau wie jene Parteien, die jahrzehntelang die griechische Politik dominiert haben, hievt nun auch Syriza Gefolgsleute in hohe Positionen.
Was droht Griechenland und seinen Banken?
Die EZB verleiht Geld nur an Geschäftsbanken, die als Sicherheiten Wertpapiere hinterlegen, denen Ratingagenturen gute Noten geben. Das ist bei Griechenland-Anleihen nicht der Fall. Bislang machten die Währungshüter eine Ausnahme, weil Athen ein EU-Sanierungsprogramm mit harten Reformauflagen durchlief. Diese Grundlage ist nun weggefallen: Die Regierung des linksgerichteten Ministerpräsidenten Alexis Tsipras lehnt das EU-Rettungsprogramm ab. Die EZB begründete ihre Entscheidung damit, dass man im Moment nicht davon ausgehen könne, dass Hellas sein Reformprogramm erfolgreich abschließen wird.
Ende Dezember 2014 hatten sich die griechischen Banken rund 56 Milliarden Euro bei der EZB beschafft. Davon entfielen nach Angaben der Commerzbank 47 Milliarden Euro auf kurzfristige Geschäfte, die inzwischen ausgelaufen sein dürften - und die nur wiederholt werden können, wenn die Institute andere Sicherheiten haben als griechische Staatsanleihen. Die übrigen neun Milliarden Euro steckten in Langfristgeschäften. „Das Geld muss zurückbezahlt werden, wenn es in diesem Umfang keine anderen Sicherheiten gibt“, sagt Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer.
Nein. Die Institute können vorerst bei der griechischen Zentralbank ELA-Notkredite nachfragen. Der EZB-Rat hat dafür ein Volumen von bis zu rund 60 Milliarden Euro bewilligt. Damit könnte das Refinanzierungsvolumen griechischer Banken bei der EZB vollständig in eine ELA-Finanzierung überführt werden, schreiben Ökonomen der BayernLB: „Es wäre aber nur wenig Raum vorhanden, um einen weiteren Abfluss von Einlagen zu kompensieren.“ Ein weiterer Haken für die Banken: EZB-Kredite kosten aktuell 0,05 Prozent, ELA-Notkredite 1,55 Prozent. Der Vorteil für die EZB und Europas Steuerzahler: Sie müssen nicht geradestehen, wenn die Kredite ausfallen. Das Risiko liegt bei der Zentralbank in Athen und damit beim Steuerzahler Griechenlands.
Nein. Der EZB-Rat kann diesen Geldhahn mit Zwei-Drittel-Mehrheit zudrehen. ELA darf nur an Institute vergeben werden, die zwar vorübergehende Liquiditätsengpässe haben, aber solvent sind. Das wird ohne ein Hilfsprogramm oder zumindest die begründete Erwartung, dass ein neues Programm schnell in Kraft tritt, unwahrscheinlicher. Die Experten der BayernLB sind daher überzeugt: „Sollte sich Griechenland mit seinen Gläubigern bis Ende Februar nicht zumindest auf eine Brückenfinanzierung einigen, ist damit zu rechnen, dass die EZB griechische Banken von der ELA-Finanzierung ausschließt.“
Dann dürfte den Banken sehr schnell das Geld ausgehen. „Wenn die EZB ELA abklemmt, haben die Institute keinen Zugriff mehr aus EZB-Liquidität. Das wäre der Rausschmiss, Griechenland würde die Währungsunion faktisch verlassen“, sagt Commerzbank-Experte Krämer. Daher sei die Entscheidung auch eine politische. Experten der UBS sehen das ähnlich: „In dem Moment, in dem die EZB das ELA-Fenster schließt, müssen die Verhandlungspartner entweder sofort Kompromisse finden, oder Griechenlands Banken kommen nicht mehr an Geld.“ Um einen Bankenkollaps zu verhindern, müsse Athen dann umgehend eine eigene Währung einführen: „Das wäre das Ende Griechenlands im Euroraum und könnte eine gefährliche Kettenreaktion in Gang setzen.“
Denkbar wäre, die Laufzeit der Hilfskredite zu verlängern oder den Schuldendienst vorrübergehend auszusetzen. Krämer erwartet, dass am Ende auch die Bundesregierung einem „faulen Kompromiss“ zustimmen würde: „Denn bei einem Austritt Griechenlands schlitterte das Land ins Chaos und die Bundesregierung müsste ihren Wählern erklären, dass die direkt und indirekt auf Deutschland entfallenen Hilfskredite an Griechenland in Höhe von 61 Milliarden Euro verloren wären.“
Das renommierte Athener Kunstfestival hat ebenso einen neuen Chef bekommen wie die Cinemathek. Auch der Direktor des auf Krebserkrankungen spezialisierten Athener Krankenhauses Elpis wurde geschasst, weil ihm das richtige Parteibuch fehlte. Verkehrsminister Christos Spirtzis sorgte dafür, dass Verkehrsbetriebe künftig von zwei Chefs geführt werden – damit mehr Posten zu vergeben sind. Akuter Mangel herrscht dagegen nach wie vor an frischen Ideen, wie sich die Wirtschaft ankurbeln lässt oder Kapital ins Land gelockt werden kann. Investitionen, die vor der Krise 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachten, sind auf unter zwölf Prozent eingebrochen. Griechische Geschäftsleute beobachten zwar, dass das Interesse an ihrem Land als Standort wieder wächst. Doch schreckt die politische Lage weiter Interessenten ab. Das kanadische Minenunternehmen Eldorado etwa verkündete Mitte Januar entnervt, den Ausbau einer Goldmine in Nordgriechenland auszusetzen. Die Regierung hatte Genehmigungen immer wieder verzögert und zurückgezogen. Dieser Reformstillstand enttäuscht viele Griechen.
Demoskop Dimitris Mavros vom einflussreichen Meinungsforschungsinstitut MRB sieht einen neuen Trend in der Bevölkerung: Alle sehen sich als Opfer. „Die Wohlhabenden, weil ihre Steuerlast steigt, und die Armen, weil sich ihre Situation nicht verbessert.“ Nach der Wahl des ehemaligen McKinsey-Beraters Mitsotakis an die Spitze der größten Oppositionspartei ist die Tsipras-Partei Syriza in den Meinungsumfragen auf den zweiten Platz gerutscht. Doch der junge Premier, der immerhin schon zwei Wahlen und ein Referendum gewonnen hat, weiß: Meinungsumfragen sind für ihn nicht entscheidend. Viel wichtiger für sein politisches Überleben ist es, die schwierige Balance zu halten zwischen seiner Partei, die im Parlament den Reformkurs mittragen muss – und den Geldgebern in Brüssel und Washington, die dringend notwendige Kredite bewilligen müssen.
Zumindest auf die Europäer kann Tsipras bislang setzen
Sie haben sich an den einstigen Bürgerschreck, der sein Land im vergangenen Jahr gefährlich nah an einen Austritt aus der Euro-Zone getrieben hatte, gewöhnt. Selbst der stets betont korrekt auftretende Hanseat Klaus Regling, Chef des europäischen Rettungsschirms ESM, bezeichnet Tsipras und seine Kabinettskollegen mittlerweile als „reformfähig“. Die sanfteren Töne überdecken, dass die Zusammenarbeit mit den Geldgebern noch immer nicht klappt. Der Vorschlag zur Rentenreform trudelte ohne Zahlentableau in Brüssel ein, wo bislang auch Angaben zum Haushalt 2016 fehlen. Weil die Daten unvollständig waren, verschoben die Chefunterhändler der Institutionen ihre jüngste Reise nach Athen. Am Montag hätten sie dort eintreffen sollen, um Reformfortschritte zu prüfen. In Brüssel ärgert sich ein hoher EU-Beamter, dass bei der Rentenreform wieder einmal nicht alle Vorgaben eingehalten werden.
Die Regierung möchte nur künftigen Rentnern Einschnitte zumuten. Für schädlich halten die Geldgeber zudem die geplante Erhöhung der Beiträge in die Rentenkasse um einen Prozentpunkt, die Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleich treffen würde. Neue Jobs dürften so kaum entstehen, dabei liegt die Arbeitslosenquote bei 24,5 Prozent. Wirtschaftsminister Stathakis wischt den Einwand weg, schließlich seien die Lohnnebenkosten doch zuvor gesenkt worden. Ganz beiseitewischen kann Athen die Brüsseler Bedenken aber nicht. Denn das Land braucht dringend Geld aus dem im August 2015 vereinbarten dritten Hilfsprogramm – und das wird erst fließen, wenn die Rentenreform steht und Athen die bisherigen Auflagen erfüllt hat. „Sollte die Konjunktur schlecht laufen, könnte die griechische Regierung schon zur Jahresmitte wieder ein Zahlungsproblem bekommen“, heißt es in der Euro-Gruppe.
Das sagen Analysten zur Lage Griechenlands
"Letztendlich entscheidet das Referendum am Sonntag darüber, ob Griechenland in der Währungsunion bleibt. Wenn sich die Griechen dafür aussprechen, kann die Staatengemeinschaft ein solch demokratisches Votum nicht übergehen. Dann werden die Verhandlungen wieder aufgenommen. Bei einem negativen Votum kommt es dagegen zum Grexit. (...) Bis dahin tobt ein Nervenkrieg. Die Kapitalverkehrskontrollen reichen zunächst erst einmal aus, um das Schlimmste zu verhindern. Aber die Kontrollen behindern die Wirtschaft, ebenso wie die von der Syriza geschaffene Unsicherheit. Das ist wirtschaftlich ein verlorenes Jahr für Griechenland. Für Deutschland spielt das keine Rolle. Nicht einmal ein Prozent der deutschen Exporte gehen dorthin."
„Natürlich wird der Dax zunächst leiden, aber fundamental ist die Wirtschaft in Takt (...) Der Rückschlag wird nicht von Dauer sein."
"Für Griechenland wird es jetzt ganz schwierig. Europa versucht, den Schaden für andere Euro-Länder zu begrenzen. Das wird mit großer Wahrscheinlichkeit gelingen. Die EZB hat bereits erklärt, dass sie die Lage an den Finanzmärkten genau verfolgt und notfalls eingreifen wird. Bei größeren Turbulenzen, die der Konjunktur gefährlich werden könnten, könnte die EZB ihre Anleihekäufe zeitlich nach vorne ziehen oder aufstocken. Sie könnte auch Anleihen bestimmter Länder wie Spanien und Italien früher kaufen. Sie könnte noch deutlicher darauf verweisen, dass es das ultimative Sicherheitsprogramm - das sogenannte OMT-Programm - auch noch gibt."
"Mit einer solchen Wendung haben nur wenige gerechnet. Kapitalverkehrskontrollen, vor allem aber die hohe Unsicherheit der kommenden Wochen und Monate dürften die letzte Hoffnung auf eine wirtschaftliche Erholung in Griechenland zunichte machen. Ein Staatsbankrott Griechenlands bedeutet nicht automatisch Grexit. Im besten Fall könnten die Entwicklungen dieser Tage nun dazu führen, dass Europa einen Insolvenzmechanismus für Staaten entwickelt - ganz so, wie die erste Griechenlandkrise vor fünf Jahren zu einem Rettungsmechanismus für Staaten führte. Spannend bleibt, ob und wie andere populistische Kräfte in Europa von den Entwicklungen profitieren. Die Polarisierung zwischen etabliertem Lager und Populisten dürfte in den kommenden Monaten weiter steigen."
"Weder der Grexit noch die Staatspleite sind zwingend. Es hängt sehr davon ab, wie das Referendum ausgeht. Wenn es zu einer Ablehnung kommt, wäre Griechenland auf schiefer Ebene unterwegs in Richtung Euro-Abschied. Die EZB hat die Kapitalverkehrskontrollen praktisch erzwungen, indem sie die Notfallkredite an griechische Banken nicht weiter erhöht hat. Wenn die EZB sie wieder aufstockt nach einem positiven Votum der Griechen, dann wären sie in diesem Umfang nicht mehr notwendig. Die Folgen für die Wirtschaft sind sehr negativ. Durch die Kapitalverkehrskontrollen werden die Geschäfte von Unternehmen und deren Abwicklung über die Banken behindert. Das dürfte die Konjunktur weiter beschädigen.
Die direkten Folgen für die Wirtschaft in der Euro-Zone und Deutschland dürften begrenzt sein - Griechenland ist zu klein, die Handelsverflechtungen zu gering. Man muss aber abwarten, wie stark die Marktturbulenzen sein werden. Denn die könnten auf die Realwirtschaft durchschlagen."
Im Juli muss das Land schließlich mehr als drei Milliarden Euro Schulden zurückzahlen. Auch deswegen hat Tsipras gerade eine weitere Kehrtwende hingelegt. Der Premier akzeptierte, dass sich der Internationale Währungsfonds (IWF) an einem dritten Rettungspaket für Griechenland beteiligen kann. In Washington hält sich die Begeisterung für weitere Kredite an Griechenland zwar in Grenzen. Aber in der Euro-Gruppe heißt es: „Im Zweifel wird die US-Regierung dafür sorgen, dass der IWF nicht abspringt.“ Die Amerikaner wollen schließlich keinen failed state an Europas Außengrenze. Der stärkste Trumpf von Tsipras ist aber die chaotische politische Lage in Europa. Die Flüchtlingskrise hat die Mächtigen auf dem Kontinent so im Griff, dass Griechenlands Probleme von der Tagesordnung gerutscht sind – zumal vor allem Deutschland auf Kooperation mit Athen angewiesen ist, wo viele Flüchtlinge ankommen. Deshalb will niemand in Berlin neuen Streit mit den Griechen, nicht einmal Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), der voriges Jahr noch für einen Austritt des Landes aus dem Euro eintrat. Nun aber hält man zusammen. Als Schäuble gerade einen Vorstoß zu einer EU-weiten Benzinsteuer für die Flüchtlingsfinanzierung wagte, erntete er viel Kritik und nur wenig Lob: eins kam aus Athen.