Griechenland Wie Alexis Tsipras planlos durch die Krise regiert

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Zumindest auf die Europäer kann Tsipras bislang setzen

Sie haben sich an den einstigen Bürgerschreck, der sein Land im vergangenen Jahr gefährlich nah an einen Austritt aus der Euro-Zone getrieben hatte, gewöhnt. Selbst der stets betont korrekt auftretende Hanseat Klaus Regling, Chef des europäischen Rettungsschirms ESM, bezeichnet Tsipras und seine Kabinettskollegen mittlerweile als „reformfähig“. Die sanfteren Töne überdecken, dass die Zusammenarbeit mit den Geldgebern noch immer nicht klappt. Der Vorschlag zur Rentenreform trudelte ohne Zahlentableau in Brüssel ein, wo bislang auch Angaben zum Haushalt 2016 fehlen. Weil die Daten unvollständig waren, verschoben die Chefunterhändler der Institutionen ihre jüngste Reise nach Athen. Am Montag hätten sie dort eintreffen sollen, um Reformfortschritte zu prüfen. In Brüssel ärgert sich ein hoher EU-Beamter, dass bei der Rentenreform wieder einmal nicht alle Vorgaben eingehalten werden.

Pressestimmen zu Griechenland
„La Stampa“ (Italien)„Die deutsche Kanzlerin ist die Vorsicht in Person. Oder die Unentschlossenheit in Person? Tatsächlich hat sie in der jüngsten Vergangenheit stets an einem gewissen Punkt, oft völlig überraschend, wichtige Entscheidungen getroffen. Als ob sie die Situation immer bis zum Maximum eskalieren lassen würde, bevor sie eingreift. Bislang ist das gut gegangen. Aber es könnte ein gefährliches Spiel sein.“ Quelle: dpa
„Le Figaro“ (Frankreich)„In Wahrheit ist Tsipras' Aufruf ans Volk nichts anderes als ein politischer „Coup“, der unter der Maske der direkten Demokratie versteckt ist. Unfähig, seine Versprechen zu halten und das Land mit seiner radikalen Mehrheit unter den Bedingungen der katastrophalen Lage der Wirtschaft zu führen, ruft er die Bürger auf, zwischen ihm und Europa zu wählen.“ Quelle: dpa
„De Standaard“ (Belgien)„Die Griechen wissen, dass sie außerhalb des Euro kein Heil zu erwarten haben. Aber wenn sie mit Ja stimmen, wäre das keine Legitimierung der Fortsetzung der gescheiterten Schuldenpolitik. (...) In jedem Fall läuft es auf eine Erniedrigung eines besiegten Volkes hinaus.“ Quelle: AP
„Sme“ (Slowakei)„Wenn in Spanien im Herbst Podemos gewinnt und dem Fiskalpakt den Gehorsam verweigert wie jetzt Syriza der ehemaligen Troika, steht Madrid in ein paar Monaten ebenso am Abgrund wie jetzt Griechenland.“ Quelle: dpa
„Times“ (Großbritannien)„So verführerisch es auch ist, dies als Zerfall des europäischen Traums zu sehen, ist es wahrscheinlich doch eher nur ein Beweis für ein anderes Phänomen, das wir überall auf der Welt beobachten - einen Rückzug vom Internationalismus.“ Quelle: AP
„Irish Times“ (Irland)„Als Nato-Mitglied ist Griechenland ein wichtiger strategischer Verbündeter für die USA, und jede Hinwendung der Syriza-geführten Regierung zu Russland stieße in Washington auf erheblichen Widerstand. Syrizas Versöhnungsgesten in Richtung Wladimir Putin haben vor allem auch osteuropäische Mitgliedsstaaten geärgert. In den kommenden Tagen dürften eher Politik als wirtschaftliche Bedenken entscheiden, ob Deal in letzter Minute vereinbart werden kann, um Griechenland im Euro zu halten.“ Quelle: dpa
„Lidove noviny“ (Tschechien)„Wenn Griechenland das einzige verschuldete Euroland wäre, würde es vielleicht bekommen, was es will. Doch im Herbst werden in Spanien Wahlen erwartet, der viertgrößten Wirtschaft der Eurozone. Die dortige Podemos-Bewegung würde gerne wie Syriza in Griechenland die Regierung übernehmen und die Bedienung der Staatsschulden einschränken. Das ist eine vergleichbare Gefahr für ganz Europa wie ein „Grexit“.“ Quelle: dpa

Die Regierung möchte nur künftigen Rentnern Einschnitte zumuten. Für schädlich halten die Geldgeber zudem die geplante Erhöhung der Beiträge in die Rentenkasse um einen Prozentpunkt, die Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleich treffen würde. Neue Jobs dürften so kaum entstehen, dabei liegt die Arbeitslosenquote bei 24,5 Prozent. Wirtschaftsminister Stathakis wischt den Einwand weg, schließlich seien die Lohnnebenkosten doch zuvor gesenkt worden. Ganz beiseitewischen kann Athen die Brüsseler Bedenken aber nicht. Denn das Land braucht dringend Geld aus dem im August 2015 vereinbarten dritten Hilfsprogramm – und das wird erst fließen, wenn die Rentenreform steht und Athen die bisherigen Auflagen erfüllt hat. „Sollte die Konjunktur schlecht laufen, könnte die griechische Regierung schon zur Jahresmitte wieder ein Zahlungsproblem bekommen“, heißt es in der Euro-Gruppe.

Das sagen Analysten zur Lage Griechenlands

Im Juli muss das Land schließlich mehr als drei Milliarden Euro Schulden zurückzahlen. Auch deswegen hat Tsipras gerade eine weitere Kehrtwende hingelegt. Der Premier akzeptierte, dass sich der Internationale Währungsfonds (IWF) an einem dritten Rettungspaket für Griechenland beteiligen kann. In Washington hält sich die Begeisterung für weitere Kredite an Griechenland zwar in Grenzen. Aber in der Euro-Gruppe heißt es: „Im Zweifel wird die US-Regierung dafür sorgen, dass der IWF nicht abspringt.“ Die Amerikaner wollen schließlich keinen failed state an Europas Außengrenze. Der stärkste Trumpf von Tsipras ist aber die chaotische politische Lage in Europa. Die Flüchtlingskrise hat die Mächtigen auf dem Kontinent so im Griff, dass Griechenlands Probleme von der Tagesordnung gerutscht sind – zumal vor allem Deutschland auf Kooperation mit Athen angewiesen ist, wo viele Flüchtlinge ankommen. Deshalb will niemand in Berlin neuen Streit mit den Griechen, nicht einmal Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), der voriges Jahr noch für einen Austritt des Landes aus dem Euro eintrat. Nun aber hält man zusammen. Als Schäuble gerade einen Vorstoß zu einer EU-weiten Benzinsteuer für die Flüchtlingsfinanzierung wagte, erntete er viel Kritik und nur wenig Lob: eins kam aus Athen.

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