Alexis Tsipras muss sich vor allem für die Belange seiner Bevölkerung interessieren. Als griechischer Premierminister ist das das seine wichtigste Aufgabe. Deswegen ist es nachvollziehbar, dass er auf Schuldenerleichterungen drängt, auch ein Schuldenerlass ergäbe aus griechischer Perspektive Sinn. Genauso legitim ist es aus deutscher und europäischer Sicht, diese Forderungen aus Athen abzulehnen.
Doch wie sich Alexis Tsipras derzeit verhält, schadet allen – den Griechen, den Geldgebern, allen. Der griechische Premierminister hat zwei schwere politische Fehler gemacht. Erstens: Er ließ den griechischen Rentnern Weihnachtsgeld in Höhe von 617 Millionen Euro auszahlen. Wollte er nun den Rentnern, die in den letzten Jahren tatsächlich viele Einbußen hinnehmen mussten, etwas Gutes tun? Oder ging es ihm darum, seine schlechten Umfrageergebnisse zu verbessern und sich in der Wählergunst nach oben zu arbeiten? Es dürfte eine Mischung aus beidem sein. Natürlich kann man argumentieren, Griechenland sei ein souveräner Staat, der selbst entscheide, wann er für was welches Geld ausgibt. Demokratietheoretisch mag das weiterhin so sein, de facto wurde das griechische Finanzwesen aber europäisiert – und zwar mit Zustimmung der griechischen Regierung.
Alexis Tsipras und die Schuldenkrise
Das Syriza-Linksbündnis unter Tsipras gewinnt die vorgezogenen Neuwahlen mit gut 36 Prozent. Seine Popularität verdankt er der Ablehnung des mit den internationalen Geldgebern vereinbarten Sparkurses. Tsipras schmiedet ein umstrittenes Regierungsbündnis mit den rechtspopulistischen Unabhängigen Griechen.
Die Euro-Finanzminister verlängern das Hilfsprogramm von Ende Februar bis Ende Juni 2015.
Tsipras trifft zu seinem ersten offiziellen Besuch in Berlin ein. Mit einer Reformliste will er bei Kanzlerin Angela Merkel für sich werben.
Die Krise im pleitebedrohten Griechenland verschärft sich. Das Tauziehen um Reformen geht weiter. Tsipras gerät in der eigenen Partei unter Druck, weil der linke Flügel gegen weitere Zugeständnisse an die Geldgeber ist.
Tsipras kündigt vor dem entscheidenden Treffen der Eurogruppe ein Referendum über die Sparvorschläge der Geldgeber an und zieht damit deren Ärger auf sich. Kurz vor dem Auslaufen des zweiten Hilfspakets bittet er um ein drittes Hilfsprogramm unter dem Euro-Rettungsschirm ESM.
Tsipras will nach dem Nein der Griechen zu den Sparvorgaben der Gläubiger neue Verhandlungen. Bei einer Abstimmung im Parlament über das Spar- und Reformprogramm verfehlt er deutlich eine eigene Mehrheit, doch die Opposition stimmt überwiegend mit Ja. Sein Finanzminister Gianis Varoufakis tritt zurück. Kurz darauf entlässt Tsipras zahlreiche Regierungsvertreter seines linken Partei-Flügels. Beim Ja des Parlaments zu einem zweiten Reformpaket verfehlt er aber wiederum die eigene Mehrheit.
Tsipras kann die Experten der Gläubiger überzeugen: In den Verhandlungen über weitere Finanzhilfen bis zu 86 Milliarden wird eine Grundsatzeinigung erzielt. Aber der linke Syriza-Flügel läuft Sturm gegen die Sparmaßnahmen.
Bei der Abstimmung über das neue Hilfsprogramm verfehlt Tsipras erneut eine eigene Mehrheit seiner Koalition. Aus Regierungskreisen heißt es, er wolle nach Zahlung der ersten Tranche der Finanzhilfe die Vertrauensfrage stellen.
Der Bundestag stimmt weiteren Krediten zu. Die Euro-Finanzminister bewilligen die erste Kredittranche von 26 Milliarden Euro.
Tsipras will nach Angaben aus Regierungskreisen zurücktreten, um den Weg für vorgezogene Parlamentswahlen am 20. September zu ebnen. Er erhofft sich dadurch ein frisches Mandat, ehe die harten Sparmaßnahmen des neuen Sparprogramms greifen.
Und viel entscheidender: Seinem eigentlichen Ziel, Schuldenerleichterungen durchzusetzen, kommt Tsipras mit dieser Art Politik zu machen keinen Millimeter näher. Im Gegenteil: Die Geldgeber sind schwer verstimmt. Die Bereitschaft, den Griechen in Sachen Schuldenerleichterungen entgegen zu kommen, dürfte nicht weiter gewachsen sein.
Das führt direkt zu Tsipras‘ zweiten Fehler. Er will den Internationalen Währungsfonds aus dem Kreis der Geldgeber drängen und hofft, dass die Europäer diesen rauskaufen. Auf den ersten Blick erscheint das verständlich, schließlich fordert der IWF unentwegt harte Reformen von der Tsipras-Regierung. Reformen, die den linken Premier in der Gunst der Bevölkerung noch weiter absacken lassen dürften und die die Europäer womöglich weniger vehement fordern würden.
Doch ist der Internationale Währungsfonds zu einem der wichtigsten Fürsprecher für einen Schuldenerlass geworden. Der IWF argumentiert zudem, dass der Primärüberschuss, den Griechenland pro Jahr erwirtschaften muss von 3,5 aus 2,5 Prozent sinken soll. Ein wie auch immer gestalteter Schuldenschnitt und ein geringerer Primärüberschuss würden der griechischen Regierung, Wirtschaft und Bevölkerung enorm helfen.
Stattdessen aber beschenkt Tsipras die griechischen Rentner mit einer Einmalzahlung zu Weihnachten und versucht den IWF zu demontieren. Beides schadet ihm langfristig – und noch viel schlimmer. Es schadet den Griechen selbst. Vor knapp zwei Jahren ist Alexis Tsipras ins Amt gekommen. Trotz aller Probleme, allen voran der Beinahe-Bankrott und der Beinahe-Grexit im vergangen Jahr, haben sich Geldgeber und Griechen einigen können. Vertrauen ist aber nicht entstanden. Im Dezember 2016 beweist Tsipras nun: Er pfeift auf die Interessen der Geldgeber. Leider pfeift er auch auf die Interessen seiner Landsleute.