Großbritannien Bei Rolls-Royce fürchtet man den Brexit

Der EU-Austritt Großbritanniens habe kaum Konsequenzen, finden einige britische Geschäftsleute. Torsten Müller-Ötvös, der deutsche Chef der britischen Edel-Auto-Marke Rolls-Royce, widerspricht.

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Unten, in der Auslieferungshalle, stehen die glänzenden Cabrios der neuen Modellreihe Dawn, zu Deutsch: „Morgendämmerung“, innen ausgeschlagen mit feinstem Leder in ausgefallenen Farbtönen wie Mandarin-Orange.
Oben sitzt Torsten Müller-Ötvös in seinem verglasten Büro; Fotos zeigen den Rolls-Royce-Chef mit Prominenten, die ihn hier im britischen Goodwood in der Manufaktur für eine der edelsten Automarken der Welt besucht haben.

Über allem aber schwebt eine Frage, die so gar nicht zu Leder in Mandarin-Orange und Chef-Fotos mit Jetset-Prominenz zu passen scheint: Wie soll es hier, mit einer der Perlen der englischen Industriegeschichte, weitergehen?

Als wenn die Eintrübung der Weltkonjunktur und insbesondere das Straucheln Chinas nicht schon genug an Luxusmarken wie Rolls-Royce kratzten. Nun muss Müller-Ötvös sich auch noch mit einem Risiko herumplagen, dem Manager generell gerne aus dem Weg gehen: Politik. Über seinem Heimatmarkt ballt sich Ungemach zusammen: Am 23. Juni stimmen die Briten über ihr Verbleiben in der EU ab. Und ein Austritt, der Brexit, wäre für die Tochter des Münchner BMW-Konzerns ein schwerer Rückschlag.

„Dass wir hier dann Wolken haben und nicht mehr eitel Sonnenschein, liegt auf der Hand“, sagt Müller-Ötvös. Umfragen sagen zwar einen knappen Vorsprung der EU-Anhänger voraus, aber in der Vergangenheit lagen die oft daneben. Immerhin kristallisiert sich unter Bankern und Industrielenkern mittlerweile eine klare Mehrheit für den EU-Verbleib heraus, was zu Beginn der Kampagne nicht immer sicher war. Müller-Ötvos befindet sich also in guter Gesellschaft.

Auch Luxuskunden zahlen nicht jeden Preis

Bei Rolls-Royce ballen sich die möglichen Negativfolgen eines Brexits wie nur bei wenigen Unternehmen auf der Insel. Ein Austritt würde für das Geschäftsmodell eine Menge Probleme aufwerfen. „Rolls-Royce ist zu 90 Prozent exportorientiert hier“, erläutert der Deutsche, und „gleichzeitig importieren wir einen hohen Anteil an Komponenten“. Sollten nach einem Brexit Zölle den Handel zwischen Großbritannien und der EU bremsen, käme das die Autoschmiede teuer. Und das in einer Zeit, in der die Kundschaft nicht mehr bereit ist, jeden Preissprung mitzugehen. Die Produktion des britischsten aller Autos aber ins Ausland zu verlagern und so Zölle zu umgehen? Nicht im Geringsten eine Option. Die Tradition der Marke ist untrennbar mit England verbunden und das gewisse britische Etwas entscheidend für den Erfolg.

Schmerzhafte Importzölle

Schon 2015 hatte Rolls-Royce nicht mehr ganz so viele Fahrzeuge ausgeliefert wie im Rekordjahr 2014. Damals wurden 4.063 Limousinen verkauft, 2015 waren es 3.785.
Vor allem vielen Chinesen fehlt nach zahlreichen Antikorruptions- und Bescheidenheitskampagnen der vergangenen Monate die nötige Kauflust. Und in den ersten drei Monaten dieses Jahres lieferte Rolls-Royce 551 Fahrzeuge aus, gegenüber dem Vorjahresquartal ein Rückgang von 29,4 Prozent.

Zur Begründung heißt es, die hohe Nachfrage nach Dawns habe eine Umstrukturierung der Produktionsmittel im Werk Goodwood erfordert. Wie viele Dawns – die in der Minimalausstattung 330 000 Euro kosten – bisher bestellt wurden, will der Chef nicht verraten. „Wir sind aber nicht absatzgetrieben, wir sind im Luxusgütergeschäft, und da geht es in erster Linie um Profitabilität“, beschwichtigt der Deutsche. Wie hoch die war, will er allerdings nicht verraten.

Die schwierige Beziehung der Briten zu Europa

Beim Rundgang durch das rund 13 Kilometer von Goodwood entfernte neue Technology and Logistics Centre (TLC) wird deutlich, wie schmerzhaft Importzölle für die Rolls-Royce-Fertigung wären: „92 Prozent der Teile werden importiert, nur acht Prozent stammen von Lieferanten aus dem Vereinigten Königreich“, sagt der für Logistik zuständige Abteilungsleiter, Nils Bremer, der von Dingolfing nach Großbritannien zog. Rohkarossen und Motoren stammen aus Deutschland, sogar das Leder für die Sitze kommt meist aus Bayern: Von Stieren, die in den bayrischen Alpen weideten. Die haben weniger Mückenstiche und keine Schwangerschaftsstreifen.

Klare Ansage für Bremain

„Wir haben Wachstumspläne, wenn sie auch nicht gigantisch sind“, sagt Müller-Ötvös. Präziser will er nicht werden, aber schon jetzt steht fest, dass Rolls-Royce 2018 eine Neuauflage des Modells Phantom lancieren will, im zweiten Halbjahr 2018 soll dann der erste SUV Cullinan auf den Markt kommen. Mit den vier Baureihen Dawn, Ghost, Phantom und Wraith ist die Palette überschaubar. Die Manufaktur in West Sussex ist eben nicht mit anderen Autofirmen vergleichbar: Denn die Handwerker bei Rolls-Royce, darunter Schreiner, Sattler und Näher, fertigen nur rund 18 Limousinen am Tag.

Rund ein Fünftel der Mitarbeiter stammen aus dem Ausland. Immer wieder, sagt Müller-Ötvös, hätten ihn seine Mitarbeiter auf die möglichen Folgen eines Brexits angesprochen. Vor ein paar Wochen verfasste er dann eine E-Mail: „Es ist wichtig, dass alle Mitarbeiter die Haltung von Rolls-Royce Motor Cars und der Muttergesellschaft verstehen.“ Die BMW Gruppe sei der Ansicht, dass es für Großbritannien besser sei, Mitglied der EU zu bleiben. Die Belegschaft habe die Klarheit der Stellungnahme geschätzt. Der 55-Jährige steht nun schon seit über sechs Jahren an der Spitze von Rolls-Royce – länger als alle seine Vorgänger. „Ich liebe diesen Job hier und will noch lange bleiben“, sagt er. Das aber hängt nicht mehr nur von ihm und seinen Vorgesetzten in München ab.

Sondern auch von der Laune der britischen Wähler am 23. Juni. Ein EU-Austritt, neue Zölle und ein Ende der Freizügigkeit für Arbeitskräfte könnten dem Deutschen den Spaß verderben. Vielleicht bräuchte er künftig sogar eine Arbeitsgenehmigung in seiner Wahlheimat.

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