Großbritannien Wie der Brexit plötzlich mehrheitsfähig wird

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Termin für Gipfel verschoben

Und Europa? Noch am Abend des Referendums in den Niederlanden begann EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mit Telefondiplomatie. Er beriet sich mit dem niederländischen Premierminister Mark Rutte und dem italienischen Ministerpräsidenten Matteo Renzi. Am Morgen danach erörterte Juncker das niederländische „Nee“ mit Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Nach außen hin will der Kommissionspräsident das Votum der Niederländer als Einzelfall darstellen, ohne Auswirkungen auf das britische Referendum. Aber in Brüssel wissen alle, dass der nächste reguläre EU-Gipfel im Juni zum Krisengipfel werden kann. Gerade erst wurde der Termin um fünf Tage nach hinten geschoben. Damit Cameron am Tag des Referendums in Großbritannien sein kann – und die Staats- und Regierungschefs reagieren könnten, falls die Briten für einen Austritt stimmen.

Juncker weiß, wie wenig er dagegen ausrichten kann. „Die Entscheidung liegt nicht in unserer Hand“, sagt ein hoher EU-Beamter. Die Kommission ist von ihrem Plan abgerückt, hochrangige Mitglieder nach Großbritannien zu schicken, um für einen Verbleib zu werben. Solche öffentlichen Belehrungen würden eher schaden, so offenbar der Eindruck.

Jo Leinen, SPD-Mitglied des Europaparlaments, sagt: „Referenden über europäische Themen sind russisches Roulette.“ Es gebe keine Garantie, dass Debatten ernsthaft geführt würden, stattdessen dienten die Abstimmungen als Ventile für die unterschiedlichsten Arten von Frustrationen.

Lange schloss Leinen ein Nein der Briten aus, doch seine Einschätzung änderte sich, als Londons Bürgermeister Johnson aus parteitaktischen Gründen auf die Seite der Gegner wechselte. „Das war für mich ein Déjà-vu-Erlebnis“, sagt der Sozialdemokrat und verweist auf Frankreich, wo 2005 beim Referendum über eine EU-Verfassung Expremier Laurent Fabius für ein Nein kämpfte, um sich in der sozialistischen Partei zu profilieren.

„Solche innerparteilichen Spiele auf dem Rücken Europas sind brandgefährlich“, kritisiert Leinen. Doch der Politveteran, seit 17 Jahren im europäischen Parlament, weiß auch, dass der Rest Europas in eine Zuschauerrolle gedrängt ist. „Wir haben wenig Möglichkeiten, in die Debatte einzugreifen“, sagt Leinen. „Wir sind Geiseln.“

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