Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat Großbritannien gewarnt, mit der massiven Absenkung bei Unternehmenssteuersätzen einen ungesunden Wettlauf auszulösen. "Noch ist Großbritannien Mitglied der Europäischen Union", sagte Schäuble am Montag bei einer Buchvorstellung in Berlin. "Also sind sie an europäisches Recht gebunden", ergänzte er auf die Frage, ob dadurch ein Dumping-Wettbewerb ausgelöst werden könnte.
Sollte Großbritannien nicht mehr Mitglied der EU sei, so sei das Land an Versprechungen beim G20-Gipfel von Antalya vor einem Jahr gebunden. "Sie sind an das gebunden, was sie beim G20-Gipfel von Antalya versprochen haben." Das sei gewesen, "genau dieses dann nicht zu machen" - einen Steuerwettbewerb mit immer niedrigen Sätzen.
Die britische Premierministerin Theresa May will einem Zeitungsbericht zufolge die Unternehmenssteuern auf den niedrigsten Satz der 20 größten Industrienationen senken. Möglicherweise wolle May die Körperschaftssteuer auf unter 15 Prozent drücken, berichtete die Zeitung "Daily Telegraph" am Montag. Damit sollten Unternehmen aus anderen Ländern nach Großbritannien gelockt werden. In Europa hat vor allem Irland mit niedrigen Steuersätzen internationale Konzerne angezogen. Viele Unternehmen in Großbritannien befürchten durch dem geplanten Austritt aus der Europäischen Union Nachteile. Auch der künftige US-Präsident Donald Trump hatte im Wahlkampf Firmen eine Absenkung des Steuersatzes auf 15 Prozent zugesagt.
Die wichtigsten Infos zum Brexit-Referendum
Brexit ist ein Kunstwort aus Britain und Exit (Austritt). Im Juni 2012 schrieb das britische Magazin "Economist" erstmals von der Möglichkeit eines "Brixit". Danach etablierte sich in der Presse die Version "Brexit". Vorbild dieser Wortschöpfung war der Begriff "Grexit", der sich auf dem Höhepunkt der Griechenland-Krise etablierte. Gemeint war damit aber nur das - mögliche - Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone.
Die Abstimmung wurde den Wählern von Premier David Cameron versprochen - seine Tory-Partei war damit in den Wahlkampf zur Unterhauswahl 2015 gezogen. Cameron, der selbst für die EU-Mitgliedschaft eintritt, wollte parteiinternen EU-Skeptikern damit den Wind aus den Segeln nehmen. Schon seit Jahren gab es parteiintern die Forderung nach einer Befragung des Volkes zum Verbleib in der EU. Die Unzufriedenheit mit der Zuwanderungspolitik der europäischen Partner bestärkte viele Briten in ihrer Ablehnung gegenüber der EU. Der Kampagne war ein Machtkampf mit der Europäischen Union voraus gegangen. Bereits 2011 hatte Cameron seine Zustimmung zum EU-Fiskalpakt verweigert und kurz darauf mit einem Veto zur mittelfristigen Finanzplanung der EU gedroht. In harten Verhandlungen rang Cameron den europäischen Partnern Zugeständnisse ab, etwa beim für den Finanzplatz London so wichtigen Thema der Bankenregulierung.
Befürworter eines Brexit wie der ehemalige Bürgermeister Londons, Boris Johnson, argumentieren, dass die EU für Großbritannien als drittgrößter Nettozahler ein Verlustgeschäft sei. Ein weiteres Argument ist die Kontrolle über die Grenzen. Unionsbürger haben das Recht, sich im Königreich niederzulassen. Derzeit leben und arbeiten dort mehr als zwei Millionen Menschen aus anderen EU-Ländern. Sie belasten angeblich die sozialen Sicherungssysteme - Studien widerlegen dies jedoch. Die in den Augen vieler Briten ausufernde Regulierung durch Brüssel sorgt zudem für Unmut. Brexit-Befürworter halten die EU außerdem für nicht ausreichend demokratisch legitimiert und fordern die Rückbesinnung auf nationale Souveränität.
Die Anhänger des EU-Verbleibs warnen in erster Linie vor wirtschaftlichen Konsequenzen. Einem Gutachten des britischen Finanzministeriums zufolge würde der Brexit jeden Haushalt in Großbritannien 4300 Pfund pro Jahr kosten. Der Grund: Das Land müsste neue Freihandelsabkommen abschließen, Investitionen aus Drittstaaten könnten zurückgehen und Banken könnten nach Kontinentaleuropa abwandern. Die Folge wäre eine Rezession.
Die Wahllokale sind am Donnerstag von 07.00 Uhr morgens bis 22.00 Uhr britischer Zeit geöffnet - also von 08.00 bis 23.00 Uhr deutscher Zeit. Nur in Gibraltar schließen die Wahllokale wegen der Zeitverschiebung eine Stunde früher. Danach beginnt die Auszählung. Nach bisherigem Stand wird es nach Schließung der Wahllokale weder Prognosen noch Hochrechnungen geben. Im Laufe der Nacht werden aber die Ergebnisse aus den einzelnen Wahlbezirken nach und nach bekannt werden. Die meisten Resultate dürften zwischen 03.00 und 05.00 Uhr deutscher Zeit vorliegen. Ein Endergebnis wird am Freitag um die Frühstückszeit erwartet - wenn es nicht wegen Pannen zu Verzögerungen kommt.
Deshalb muss May muss ihr Land sorgfältig auf den EU-Ausstieg vorbereiten. Erst vergangene Woche hatte sie einen geordneten Austritt ihres Landes aus der EU angekündigt. Der Prozess werde „reibungslos“ verlaufen, sagte sie am Freitag in Berlin. Ihr Land werde sich auch weiterhin gemeinsam mit den Europäern engagieren.
„Das haben wir immer getan mit Deutschland und das werden wir auch weiterhin tun, wenn wir die EU verlassen, darunter auch in Gruppen wie diesen“, sagte May nach einem Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, US-Präsident Barack Obama sowie den Staats- oder Regierungschefs aus Frankreich, Italien und Spanien.
Der Brexit-Prozess sei im Zeitplan, sagte May. „Unsere Arbeit ist in der Spur“, betonte sie. Großbritannien werde den Austritt nach Artikel 50 wie angekündigt bis Ende März beantragen. Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte, die Partner akzeptierten dies. Vertiefte Gespräche über den Brexit seien aber vorher nicht möglich.
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hatte zuvor schon klar gemacht, dass die Briten keine Sonderbehandlung zu erwarten haben. In einem Interview der „Financial Times“ sagte der CDU-Politiker: „Wir können nicht großzügige Rabatte gewähren.“ Großbritannien müsse seinen Verpflichtungen nachkommen, möglicherweise noch bis ins Jahr 2030 hinein.
Die Londoner City werde größere Finanzfirmen an andere EU-Standorte wie Frankfurt verlieren, darunter auch die lukrative Euro-Clearingstelle. Bei Anreizen für die Ansiedlung von Betrieben müsse Großbritannien die EU-Regeln beachten. Zuletzt hatten angebliche Vergünstigungen der britischen Regierung zum Erhalt der Arbeitsplätze beim Autobauer Nissan Schlagzeilen gemacht.