Großbritannien und die EU Der sanfte Brexit wird unwahrscheinlicher

Die Chancen für den Verbleib Großbritanniens im gemeinsamen Markt schwinden. Die Gründe liegen vor allem bei den Briten. Dennoch sollten die Rest-Europäer sich für einen sanften Ausstieg einsetzen - erst recht angesichts eines US-Präsidenten Trump.

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Theresa May und Boris Johnson. Quelle: imago images

Gibt es noch Hoffnung auf einen sanften Brexit? Die kurze Antwort lautet: Ja, aber immer weniger.

Ein sanfter Brexit würde bedeuten: weitgehender Zugang der Briten zum Binnenmarkt bei grundsätzlicher Akzeptanz der Freizügigkeit für EU-Bürger. Ein harter Brexit heißt dagegen: Abstieg auf den Status eines Drittstaats. Das muss nicht unbedingt, so mag man einwenden, eine Katastrophe sein. Schließlich haben einige sehr wohlhabende Länder diesen Status, zum Beispiel Kanada. Aber: Deren wirtschaftliche Struktur ist nicht durch eine fast fünfzigjährige Mitgliedschaft im Binnenmarkt geprägt. Und das macht nicht zuletzt für ausländische Investoren einen Unterschied.

Folgende Gründe sprechen für die ernüchternde Prognose abnehmender Hoffnung auf einen Brexit light:

1. Für das Brexit-Referendum entscheidend waren Probleme, die der Brexit nicht lösen wird: Da ist vor allem die Migration, die nur zu einem geringeren Anteil aus EU-Staaten kommt – wobei ausgerechnet diese erheblich zum britischen Wirtschaftswachstum beigetragen hat. Der größere und problematischere Teil kommt von außerhalb Europas. Die Deindustrialisierung der Midlands nördlich von London ist ebenfalls eine Konsequenz der Globalisierung, nicht der EU-Mitgliedschaft. Und sie wird sich eher verschlimmern, wenn bei mangelndem Zugang zum Binnenmarkt Investoren abziehen.

Auch der Widerstand gegen die Eliten wird durch den Brexit nicht aufhören. Im Gegenteil dürfte er in der sich abzeichnenden Wirtschaftskrise noch zunehmen. Es ist eher unwahrscheinlich, dass die daraus folgende Frustration sich dann gegen die Austrittsbefürworter wendet. Sie wird eher auf die globalisierten Wirtschaftseliten im eigenen Land und natürlich auf “Brüssel” und andere finstere Mächte zielen – was ja in der Referendumskampagne schon eingeübt wurde.

2. Der Brexit wurde und wird von seinen Befürwortern zu einem Akt der nationalen Befreiung stilisiert: In ihren Augen wird der 23. Juni 2016 noch für lange Zeit den Stellenwert einer Unabhängigkeitserklärung (natürlich vom “Brüsseler Joch”) haben. Dem entsprechend immun sind diese Briten auch gegen kurzfristige wirtschaftliche Verschlechterungen: Wenn es ihnen letzten Endes um das Überleben der Nation geht, also um die Freiheit in ihrem weitesten Sinne, dann sind Opfer zu verschmerzen. Das ist vielleicht gerade für Deutsche nicht sofort einsichtig. Man sollte aber in diesem Fall nicht allzu sehr auf den britischen Pragmatismus setzen, sondern eher mit der sprichwörtlichen “steifen Oberlippe” rechnen, dem Durchaltewillen auch bei widrigen Umständen. Deswegen werden auch handfeste Krisenzeichen kaum zu einem Umsteuern der Regierung führen: Es wird keinen “Exit aus dem Brexit” geben, und die Freizügigkeit, deren Ablehnung Kern der Austrittskampagne war, ist für jede britische Regierung der nahen Zukunft inakzeptabel – was einen sanften Brexit unwahrscheinlich macht.

Zur Person

3. Das Referendum hat eine parteipolitische Dynamik entfaltet, die ein Umsteuern zusätzlich erschwert. Die United Kingdom Independence Party (UKIP) von Nigel Farage hat vorläufig ihren Daseinszweck erfüllt: Der Kernpunkt ihrer Agenda ist von der konservativen Regierung übernommen worden, und die einzige Möglichkeit für ein Comeback bestünde darin, den Tories glaubhaft Verrat am Austritt vorzuwerfen. Das ist allein schon ein starkes Motiv für die Regierung Theresa May, es nicht soweit kommen zu lassen. Die Labour Party ist ohnehin in einem beklagenswerten Zustand, weil sie unter Jeremy Corbyn in den Linksradikalismus abdriftet. Die Querelen der letzten Monate haben die Partei zusätzlich geschwächt, und die unklare Haltung zum Brexit tut das Übrige.

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