Großbritannien vor dem EU-Referendum Fragen und Antworten zum Brexit

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So ginge es weiter

Wie geht es weiter, wenn die Briten für den Austritt stimmen?

Zumindest in groben Zügen ist im EU-Vertrag seit 2009 festgelegt, wie ein Staat aus der Union austreten kann. Der entscheidende Artikel 50 sieht folgende Schritte vor, sollten die Briten für einen Austritt aus der Europäischen Union votieren:
1. Großbritannien informiert den Europäischen Rat über seine Absicht, aus der Union auszutreten.
2. Die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten legen unter Ausschluss Großbritanniens Leitlinien für die Austrittsverhandlungen fest.
3. Die EU-Kommission oder ein anderes von den Staaten ernanntes Gremium handelt mit Großbritannien ein Abkommen über die Einzelheiten des Austritts aus. Dabei wird auch der Rahmen für die künftigen Beziehungen Großbritanniens zur Union festgelegt.
4. Die EU-Staaten beschließen das Abkommen mit qualifizierter Mehrheit nach Zustimmung des Europäischen Parlaments.
5. Wenn kein Abkommen zustande kommt und keine Fristverlängerung gewährt wird, scheidet Großbritannien zwei Jahre nach dem Einreichen des Austrittsgesuchs ungeregelt aus der EU aus.

 

Könnte die Abstimmung Schule machen?

Das ist die große Befürchtung in Brüssel. Tatsache ist: In vielen Ländern haben antieuropäische Strömungen zuletzt viel Zulauf bekommen. Der Front National von Marie Le Pen etwa in Frankreich, Gert Wilders in den Niederlanden, die AfD in Deutschland. In der europäischen Bevölkerung ist die Skepsis gegenüber Brüssel nach Umfragen groß. Auch wenn es nicht gleich zu Austritten kommt: Die Forderungen vieler Länder an Brüssel könnten mit der Androhung von Austritten viel mehr Nachdruck erhalten. Eine Umfrage des Instituts Ipsos in neun großen EU-Ländern hat ergeben, dass die Ansteckungsgefahr eines Brexit allgemein als hoch angesehen wird. 

Braucht die deutsche Wirtschaft die Briten in der EU?

Großbritannien ist Deutschlands drittgrößter Exportmarkt. Im vergangenen Jahr verkauften deutsche Unternehmen Waren im Wert von 90 Milliarden Euro in das Königreich. Trotzdem hält der Geschäftsführer der deutsch-britischen Außenhandelskammer, Ulrich Hoppe, die Gefahr für überschaubar. Dass es bei einem Brexit zu Zöllen oder Einfuhrbeschränkungen kommt, glaubt er nicht. Mehr Auswirkungen könnten langfristig andere Handelshemmnisse haben, beispielsweise unterschiedliche Standards in der Produktsicherheit. Doch auch hier habe Großbritannien mehr Schaden zu befürchten als Deutschland. 

Was Partnerländer über einen EU-Ausstieg denken
US-Präsident Barack Obama in London Quelle: AP
Die chinesische Flagge vor einem Hochhaus Quelle: dpa
Ein paar Rial-Scheine Quelle: dpa
Der russische Präsident Wladimir Putin Quelle: REUTERS
Das Logo des japanischen Autobauers Nissan Quelle: REUTERS

Bleibt die Visumfreiheit bestehen?

Das ist für die meisten EU-Länder anzunehmen. Dennoch: Es müssten Einzelfallregelungen mit jedem Land zur Visumfreiheit geschlossen werden. Betroffen könnten auch Regelungen sein, die die EU mit Drittländern, aktuell gerade mit der Türkei, schließt. Sie würden dann möglicherweise nicht mehr für Großbritannien gelten. Allerdings ist davon auszugehen, dass die Briten Übergangsfristen gelten lassen würden. Großbritannien hatte 2004 bewusst mehr Osteuropäer ins Land gelassen als viele andere EU-Länder, weil Arbeiter benötigt wurden. Harte Regelungen nach einem Brexit könnten für einige Branchen, etwa Hotellerie oder Bau, die Arbeitskräfte knapp werden lassen. Daran hat Großbritannien, das einen riesigen Investitionsstau im Hoch- und Tiefbau hat, kein Interesse. Allerdings warnt Dominic Raab, eine der führenden Pro-Brexit-Figuren: „Briten könnten künftig für Reisen nach Europa ein Visum benötigen.“

Gibt es Vorbilder für den Austritt?

Zum Austritt eines Mitgliedsstaates kam es bislang noch nicht. Aber einige Nicht-EU-Länder pflegen Beziehungen mit der Union, die als Modell dienen könnten – für den Fall, dass die Briten sich für den Brexit entscheiden. 

  • Das Modell „Norwegen“: Das skandinavische Land ist durch das sogenannte EWR-Abkommen eng an die EU angebunden. Vorteil für Norwegen ist der freie Zugang zum Binnenmarkt der EU. Um von diesem Privileg profitieren zu können, muss das Land allerdings auch die EU-Regeln zur Bewegungsfreiheit für Arbeitnehmer und Dienstleistungen respektieren. Zudem muss Norwegen derzeit die 15 am wenigsten wohlhabenden Länder der EU mit EWR-Fördergeldern in Höhe von jährlich 388 Millionen Euro unterstützen. Weiterer Minuspunkt des Modells: Trotz des EWR-Abkommens besitzt Norwegen innerhalb der EU in den entscheidenden Organen kein Stimmrecht. Das Land muss also EU-Recht akzeptieren, hat darauf aber kaum Einfluss.

  • Das Modell „Schweiz“: Die engen Beziehungen zwischen der EU und der Schweiz werden durch ein dichtes Netz von rund 120 Abkommen geregelt. Das Alpenland hat zum Beispiel einen direkten Zugang zu etlichen wichtigen Sektoren des EU-Binnenmarktes. Wie Norwegen muss sich allerdings auch die Schweiz dafür an zahlreiche EU-Regeln halten und auch finanzielle Beiträge leisten. Zum Beispiel zahlt sie für ihre Einbindung in den Europäischen Forschungsraum und für Projekte zur „Verringerung der wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheiten in der erweiterten EU“. Das Modell „Schweiz“ könnte für Großbritannien interessant sein, vor allem wenn es zusätzlich den Zugang zum Sektor Finanzdienstleistungen ermöglichen würde. In EU-Kreisen gilt es allerdings als äußert unwahrscheinlich, dass die EU noch einmal einem Land ein ähnliches Modell zugesteht. Es gilt als zu komplex.

  • Das Modell „Kanada“: Das Freihandelsabkommen, das die EU mit Kanada ausgehandelt hat, ist umfassender als alle vorher geschlossen Verträge dieser Art. Es umfasst allerdings nicht den für Großbritannien so wichtigen Bereich der Dienstleistungen.

  • Das „WTO“-Modell: Wenn sich die beiden Parteien auf kein anderes Modell einigen können, würde der Handel künftig nach den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) ablaufen. Der Zugang Großbritanniens zum EU-Binnenmarkt wäre so beschränkt wie zum Beispiel der eines Landes wie Neuseeland. Vor allem für die britische Finanzbranche wäre dieses Modell vermutlich katastrophal. 

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