"In der Ökonomie hat das Subsidiaritätsprinzip einen hohen Stellenwert. Demnach sollte eher auf nationaler und regionaler Ebene Politik gemacht werden. Die Europäische Union sollte nur dann handeln, wenn es einen europäischen Mehrwert gibt", sagt Busch. "Ich finde etwa, dass die EU Autobahnen und andere Infrastrukturnetze, die grenzüberschreitend sind, fördern sollte. In der Agrarpolitik oder der Kohäsionspolitik könnte hingegen meiner Meinung nach manches auch national erledigt werden."
Brüssel sieht das offenbar anders. Gut 380 Milliarden Euro will die Europäische Union zwischen 2014 und 2020 für die "Gemeinsame Agrarpolitik" ausgeben. Mit dem Geld soll die Landwirtschaft produktiver und grüner werden. Bauern werden dazu angehalten, "Flächennutzung im Umweltinteresse" zu betreiben, Pufferstreifen und Aufforstungsflächen anzulegen. Zweite Säule der Agrarpolitik ist es, die Lebensqualität in ländlichen Gebieten zu fördern und wirtschaftliche Unterschiede im Vergleich mit Städten und Metropolen auszugleichen.
Wettbewerbs- und Preisverzerrungen
Diese Maßnahmen verschärfen allerdings auch direkt die bereits bestehenden Wettbewerbs- und Preisverzerrungen auf den internationalen Agrarmärkten. Leidtragende sind vor allem die Bauern in den Ländern, die nicht auf staatliche Hilfe hoffen können.
Wer von der EU-Agrarpolitik profitiert – und wer nicht
Die Bundesrepublik gehört zu den neun EU-Mitgliedsstaaten, die einen größeren finanziellen Beitrag zur Agrarpolitik leistet, als sie an Rückflüsse für diese Politik erhalten. Für jeden Euro an Brüssel erhielt Berlin 2010 für die Agrarpolitik 0,62 Euro zurück.
Das Euro-Land ist der größte Leidtragende der EU-Agrarpolitik. Für jeden Euro, den die Nationalregierung in Brüssel an die Staatengemeinschaft zahlt, erhält sie nur 0,39 Euro zurück.
Das flächenmäßig größte Land Europas wies im Jahr 2010 einen ausgeglichenen Saldo aus. Für jeden Euro, der von Paris nach Brüssel floss, ging genau 1,00 Euro zurück. 2004 noch erhielt Frankreich 1,20 Euro zurück. Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass es durch die Osterweiterung zu einer Umverteilung der Agrarausgaben hin zu den neuen Mitgliedsstaaten gekommen ist. „Dies sollte nicht ohne Einfluss auf die französischen Verhandlungsposition in Bezug auf die Agrarausgaben bleiben“, schreibt Berthold Busch vom IW Köln.
Die „grüne Insel“ profitiert kräftig von der Agrarpolitik der Europäischen Union. Für jeden Euro an Brüssel erhielt Irland 2010 für die Förderung der heimischen Landwirte 2,62 Euro zurück. Nur fünf osteuropäische Länder profitierten noch mehr von den Agrartöpfen.
Das baltische Land ist der größte Profiteur der Brüsseler Agrarpolitik. Für jeden Euro, den das Land für die Agrarpolitik der Europäischen Union zusteuert, fließen 4,38 Euro zurück.
"Die Argumentation ist nicht falsch. Eine Verzerrung entsteht vor allem, wenn die subventionierten Landwirtschafts-Produkte aus Europa exportiert werden und die nationalen Märkte in Afrika kaputt machen", unterstreicht Busch. "Das ist natürlich hoch problematisch."
Wie die "Gemeinsame Agrarpolitik" ist auch die "Kohäsionspolitik" im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEU-Vertrag) verankert. Sie hat zum Ziel, den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt zu stärken. Kurz: Die Wohlstands-Unterschiede in Europa sollen verringert werden. Dazu werden Gebiete zusammengefasst, in denen das Pro-Kopf-Einkommen unterdurchschnittlich ist. Sieben Regionen in Deutschland – vor allem in Ostdeutschland – kommen bisher in den Genuss von Förderzahlungen.
Die deutschen Fördergebiete
Die Europäische Union fördert mit dem Ziel der Konvergenz im Zeitraum 2007 bis 2013 genau 271 Regionen in den 27 Mitgliedstaaten. Es werden alle Regionen unterstützt, deren Pro-Kopf-BIP in Kaufkraftdisparitäten weniger als 75 Prozent des Gemeinschaftsdurchschnitts beträgt. Deutschland erhält für die laufende Förderperiode insgesamt 26,3 Milliarden Euro an EU-Strukturfondsmitteln, davon 25,5 Milliarden Euro für das Konvergenzziel und das Ziel "Regionale Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung" sowie 0,8 Milliarden Euro für das Ziel "Europäische Territoriale Zusammenarbeit".
Das Land bekommt bis Ende 2013 genau 2,118 Milliarden Euro an Hilfsgeldern aus den EU-Töpfen. Brandenburg-Nordost liegt ab 2014 nach aktuellen Berechnungen denkbar knapp über der Bemessungsgrenze für weitere Hilfszahlungen. Das Pro-Kopf-BIP beträgt demnach 75,3 Prozent des Gemeinschaftsdurchschnitts. Dadurch könnte diese Region in den Jahren 2014 bis 2020 in den Genuss des Sicherheitsnetzes kommen. Das heißt, sie hätten Anspruch auf zwei Drittel der Zuweisungen der aktuellen Förderperiode.
Die Landesregierung in Schwerin erhält bis Ende 2013 rund 1,669 Milliarden Euro an Förderung. Das ist der geringste Beitrag der ostdeutschen Länder.
Für die Förderung des Oberzentrums Chemnitz und des Ballungsraums Dresden stehen der Landesregierung in Sachsen knapp vier Milliarden Euro zur Verfügung. Bis Ende 2013 fließen 3,962 Milliarden Euro aus Brüssel nach Dresden.
Die Bezirke Dessau und Magdeburg zählen zu den Konvergenzregionen, auch Halle bekommt als Übergangsphase („Phasing-Out“) noch Geld aus den EU-Töpfen. Insgesamt fließen 2,575 Milliarden Euro zwischen 2007 und 2013 nach Sachsen-Anhalt.
Die Landesregierung in Erfurt erhält mit dem Ziel der „Konvergenz“ 2,106 Milliarden Euro.
Als einzige westdeutsche Region erhält Lüneburg Zuschüsse aus EU-Mittel. Als Übergangsphase („Phasing-Out“) bekommt Niedersachsen zur Unterstützung der Region 799 Millionen Euro.
Insgesamt aber zählt die Bundesrepublik verständlicher Weise nicht zu den zentralen Empfängern von Mitteln aus dem Kohäsionsfonds. Förderfähige Länder sind vor allem Bulgarien, Rumänien, Lettland und Polen. Hier liegt das Pro-Kopf-BIP bis zu 60 Prozent unter dem EU-Durchschnitt.