Haushaltsstreit Erbittertes Geschacher um die EU-Milliarden

Brüssel will mehr Geld von den Mitgliedsstaaten. Die Subventionsempfänger in Süd- und Osteuropa sind dafür. Sie hoffen auf einen Geldregen. Deutschland droht ausgespielt zu werden, will aber nicht klein beigeben.

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Die größten Netto-Zahler der EU
Touristen in Helsinki Quelle: dapd
Eine Windkraftanlage nahe Dänemark Quelle: dapd
Der Wiener Opernball Quelle: dpa
Da Atomium in Belgien Quelle: REUTERS
Eine Mitarbeiterin in der Schwedischen Botschaft in Minsk Quelle: REUTERS
Frau Antje Quelle: AP
Das Colosseum Quelle: REUTERS

Europa streitet ums Geld. In dieser Woche aber geht es nicht um Finanzierungslücken des griechischen Haushalts oder um Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank. Vielmehr diskutieren die 27 Mitgliedsländer der Europäischen Union seit Montag, wie viel Geld die Organe der Staatengemeinschaft in Zukunft ausgeben sollen und wer wie viel in die Brüsseler Töpfe einzahlt.

Die Fronten sind klar. Auf der einen Seite stehen die "Nettozahler", also jene Staaten, die mehr nach Brüssel überweisen als sie in Form von Subventionen und Unterstützung zurückbekommen. Das sind die finanzstarken EU-Länder wie Großbritannien, die Niederlande und Deutschland. Sie fordern: Brüssel müsse – wie alle Nationalstaaten auch – den Gürtel enger schnallen. Die EU-Kommission aber schlägt vor, das EU-Budget zu erhöhen und zwischen 2014 und 2020 Ausgaben von insgesamt rund eine Billion Euro zu genehmigen. Jedes Mitgliedsland müsste dann 1,08 Prozent seines Bruttonationaleinkommens nach Brüssel überweisen.

"Inakzeptabel", nennt der britische Europaminister David Lidington die Brüsseler Budgetpläne. Der deutsche Außen-Staatsminister Michael Link ergänzt: "Wir sind der Meinung, dass der Kommissionsvorschlag um mindestens 100 Milliarden sinken muss."

Die größten Nettoempfänger der EU
Ein bulgarischer Landwirt hält eine Nationalflagge während Protesten in Sofia Quelle: dpa
Eine Frau mit einer Rumänischen Flagge Quelle: dapd
Blitze über Bratislava Quelle: dpa
Die Altstadt von Vilnius Quelle: AP
Blick aus dem Rathausturm in Prag Quelle: dpa
Die Projektion der portugiesischen auf einem historischen Gebäude Quelle: REUTERS
Das ungarische Parlament Quelle: dpa

Wird Deutschland ausgespielt?

Doch mit der Ablehnung der Budgetpläne nimmt Deutschland – wie in vielen Euro-Fragen auch – eine Position ein, die nur eine Minderheit vertritt. Zu groß ist die Zahl der Nationalstaaten, die von einem finanzkräftigen System in Brüssel profitieren. Auf elf "Nettozahler" kommen 16 "Nettoempfänger". Staaten wie Griechenland, Spanien, Polen oder die Slowakei haben kein Interesse an eine Reduzierung der EU-Töpfe. "Es gibt keinerlei Raum für Kürzungen", heißt es wenig überraschend vom slowakischen Außen-Staatssekretär Peter Javorcik.

Deutschland droht erneut ausgespielt zu werden. Der größte Nettozahler finanzierte 2010 knapp 30 Prozent des gesamten Umverteilungsvolumens im EU-Haushalt, das 31,1 Milliarden Euro betrug, hat Berthold Busch, Senior Economist im Arbeitsbereich "Europäische Integration" beim Institut der deutschen Wirtschaft Köln zusammengetragen. Dennoch bescheinigt Busch der EU-Kommission eine "Ausgabenentwicklung mit Augenmaß". Er erklärt: "Beim Finanzrahmen 2006 bis 2013 wollte die Kommission richtig in die Vollen greifen. Das ging daneben. Demgegenüber sind die aktuellen Forderungen relativ moderat."

Doch braucht Brüssel wirklich eine Billion Euro für die kommenden Jahre? Muss die EU seine Landwirte subventionieren, Autobahn-Erneuerungen fördern und in Forschung zu investieren? Was sind Aufgaben des Nationalstaats, was sind sinnvolle Ergänzungen durch Brüssel?

Bauern sollen produktiver und grüner werden

Quelle: dpa

"In der Ökonomie hat das Subsidiaritätsprinzip einen hohen Stellenwert. Demnach sollte eher auf nationaler und regionaler Ebene Politik gemacht werden. Die Europäische Union sollte nur dann handeln, wenn es einen europäischen Mehrwert gibt", sagt Busch. "Ich finde etwa, dass die EU Autobahnen und andere Infrastrukturnetze, die grenzüberschreitend sind, fördern sollte. In der Agrarpolitik oder der Kohäsionspolitik könnte hingegen meiner Meinung nach manches auch national erledigt werden."

Brüssel sieht das offenbar anders. Gut 380 Milliarden Euro will die Europäische Union zwischen 2014 und 2020 für die "Gemeinsame Agrarpolitik" ausgeben. Mit dem Geld soll die Landwirtschaft produktiver und grüner werden. Bauern werden dazu angehalten, "Flächennutzung im Umweltinteresse" zu betreiben, Pufferstreifen und Aufforstungsflächen anzulegen. Zweite Säule der Agrarpolitik ist es, die Lebensqualität in ländlichen Gebieten zu fördern und wirtschaftliche Unterschiede im Vergleich mit Städten und Metropolen auszugleichen.

Wettbewerbs- und Preisverzerrungen

Diese Maßnahmen verschärfen allerdings auch direkt die bereits bestehenden Wettbewerbs- und Preisverzerrungen auf den internationalen Agrarmärkten. Leidtragende sind vor allem die Bauern in den Ländern, die nicht auf staatliche Hilfe hoffen können.

Wer von der EU-Agrarpolitik profitiert – und wer nicht

"Die Argumentation ist nicht falsch. Eine Verzerrung entsteht vor allem, wenn die subventionierten Landwirtschafts-Produkte aus Europa exportiert werden und die nationalen Märkte in Afrika kaputt machen", unterstreicht Busch. "Das ist natürlich hoch problematisch."

Wie die "Gemeinsame Agrarpolitik" ist auch die "Kohäsionspolitik" im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEU-Vertrag) verankert. Sie hat zum Ziel, den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt zu stärken. Kurz: Die Wohlstands-Unterschiede in Europa sollen verringert werden. Dazu werden Gebiete zusammengefasst, in denen das Pro-Kopf-Einkommen unterdurchschnittlich ist. Sieben Regionen in Deutschland – vor allem in Ostdeutschland – kommen bisher in den Genuss von Förderzahlungen.

Die deutschen Fördergebiete

Insgesamt aber zählt die Bundesrepublik verständlicher Weise nicht zu den zentralen Empfängern von Mitteln aus dem Kohäsionsfonds. Förderfähige Länder sind vor allem Bulgarien, Rumänien, Lettland und Polen. Hier liegt das Pro-Kopf-BIP bis zu 60 Prozent unter dem EU-Durchschnitt.

Woher kommt das Geld?

Mit 80 Milliarden Euro will die Europäische Union bis 2020 die Forschung fördern. Kritiker halten das für zu wenig. Quelle: dpa

Verhältnismäßig wenig Geld, nämlich 80 Milliarden Euro, will die EU-Kommission von 2014 bis 2020 für Forschung und Innovation locker machen. Dabei wäre es gerade hier wichtig, Europa fit für die Globalisierung zu machen. Schließlich sind insbesondere Länder in Südeuropa weit davon entfernt, eine zukunftsorientierte Wissensgesellschaft zu sein.

"Wir plädieren dafür, eher in den traditionellen Bereichen – also der Agrarpolitik und Regionalpolitik – zu sparen, aber nicht im Bereich der Forschung, Technologie und Infrastruktur", sagt auch Busch.

Widerstand gegen die Finanztransaktionssteuer

Genug Möglichkeiten, das Geld unter die Mitgliedsstaaten zu bringen, gibt es. Die Frage ist nur: Wie viel muss sein – und: Woher kommt das Geld? Die Europäische Union finanziert bislang ihren jährlichen Gesamthaushalt aus verschiedenen Quellen. Dazu gehören die Einnahmen aus Zöllen, Einkommensteuer der EU-Beamte und Bußgelder, vor allem aber Zahlungen der Mitgliedsstaaten auf Grundlage der Mehrwertsteuer-Einnahmen und des Bruttonationaleinkommens.

Wie sich die EU finanziert

Aufgrund der Komplexität – selbst der Europäische Rechnungshof nennt die Bemessungsrechnungen "schlicht nicht völlig nachprüfbar" – schlägt die EU-Kommission nun zwei Änderungen vor. In Zukunft soll ein Aufschlag auf die nationale Mehrwertsteuer der Mitgliedsstaaten erhoben werden und direkt an Brüssel gehen. Zudem soll die Finanztransaktionssteuer jährlich 57 Milliarden Euro in die Kasse spülen.

Kritiker halten das für unrealistisch. Der Oxforder Steuerprofessor Clemens Fuest etwa bezeichnete im Interview mit der WirtschaftsWoche die Zielsumme jenseits der 50-Milliarden-Marke als "politisches Wunschdenken". Fuest: "Das Aufkommen in der EU wäre deutlich geringer – zumal Großbritannien mit Sicherheit nicht mitmachen wird."

Wofür die EU Geld ausgeben will

Das bestätigt auch der britische Europaminister Lidington. "Diese Vorschläge sind Zeitverschwendung. Es gibt in dieser Frage keinen Deal." Ohne neue Einkommensquelle aber bleibt der Großteil der Verantwortung bei den Mitgliedsstaaten hängen.

Apropos Großbritannien: Deren Sonderregelung bei der EU-Finanzierung soll zur Diskussion gestellt werden.

Ärger um den Briten-Rabatt

Der Inselstaat bekommt seit 1984 einen Rabatt auf seinen Beitrag, im Prinzip erhält das Land jedes Jahr 66 Prozent der Differenz zwischen seinen Zahlungen an den EU-Haushalt und seinen Rückflüssen daraus erstattet. Im vergangenen Jahr betrug die Summe 3,6 Milliarden Euro. Die ehemalige Regierungschefin Margaret Thatcher – die den Deal Anfang der 1980er Jahre aushandelte – wird noch heute auf der Insel für ihr Verhandlungsgeschick gefeiert. Ihr Spruch "I want my money back" (auf deutsch: Ich will mein Geld zurück) hat Kultstatus.

Inzwischen hat der Briten-Rabatt längst Nachahmer gefunden. Denn Deutschland, Niederlande, Österreich und Schweden zahlen nur 25 Prozent ihres eigentlichen Anteils an der Finanzierung des Britenrabatts. Eine Verhandlung ihres Rabatts infolge des Briten-Rabatts kommt für sie nicht in Frage.

Geschichte des Europaparlaments

"Der Briten-Rabatt ist überholt. Er ist unter anderen Bedingungen geschlossen worden. Es gibt heute keine Grundlage mehr dafür", sagt Busch. Das Problem: Der Briten-Rabatt ist unbegrenzt gültig. Erst wenn London eine Reduzierung oder ein Ende des Sonderstatus akzeptiert, könnte neu verhandelt werden. Doch warum sollten die euro-kritischen Briten das tun?

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Berthold Busch hofft dennoch, dass sich die 27 EU-Staaten relativ zeitnah auf einen verlässlichen Haushaltsplan für die Jahre 2014 bis 2020 einigen. Größte Chance ist ein EU-Sondergipfel über die Finanzplanung am 22. und 23. November. "Wie die Gespräche ausgehen, ist hoch spekulativ. Ich hoffe, dass sich die Staats- und Regierungschef beim Gipfel einigen", so Busch. "Gelingt das nicht, geht das Geschacher erst richtig los und jeder ringt um Ausnahmen und Rabatte."

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