Hyun Song Shin "Die treibenden Effekte der niedrigen Zinsen sind sehr gering"

Der Brexit hat die Märkte in Aufruhr versetzt. Doch das ist nicht das einzige Problem derzeit, glaubt Hyan Song Shin, Chefökonom der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ): Er sieht weit mehr Risiken.

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Aus dem Jahresbericht der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) geht hervor, dass das globale Schuldenniveau nach wie vor sehr hoch ist. Quelle: dpa

WirtschaftsWoche online: Im Jahresbericht der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) schreiben Sie, die globalen Wachstumsraten lägen nahe am historischen Durchschnitt. Das klingt, als seien Sie zufrieden damit?

Hyun Song Shin: Zufrieden wäre das falsche Wort. Aber wir wollen die Konjunktur auch nicht klein reden, das würde die Erwartungen drücken und wäre falsch. Die wirtschaftliche Lage ist nicht so düster wie es scheint. Eine treffende Einordnung des Wachstums ist wichtig, um die richtigen Maßnahmen zur Belebung der Wirtschaft zu ergreifen. Oft werden die Dinge mit Absicht negativ gesehen, um Argumente für noch expansivere Maßnahmen zu sammeln, und das wäre gerade nicht angebracht.

Trotzdem wären Ihnen höhere Wachstumsraten vermutlich lieber, oder?

Natürlich würden wir die Weltwirtschaft gerne auf einem höheren, nachhaltigen Wachstumspfad sehen.

Geldpolitik der EZB: Belastungen durch Niedrigzinsen

Das Problem ist vor allem die gefährliche Mischung von Risiken, welche wir aktuell sehen. Auch wenn Wachstumsraten und andere Indikatoren wie Arbeitslosigkeit ein gutes Bild liefern, hat die Weltwirtschaft wenig Spielraum.

Weil die Zinsen ohnehin schon auf einem historisch niedrigen Niveau sind?

Genau.

Wo sehen Sie die größten Risiken?

Das global hohe Schuldenniveau gehört definitiv dazu.

Geldpolitik der EZB: Entlastungen durch Niedrigzinsen

Wir sehen gerade, wie sich viele Volkswirtschaften neu ausrichten, vor allem in den Schwellenländern. Dort sehen wir gerade eine Wende im Kredit-Zyklus. Der große Überschuss an Dollar-Schulden beginnt sich langsam aufzulösen, und das hat gewaltige Konsequenzen für die Weltwirtschaft.

Welche?

Zum Beispiel das langsamere Wachstum in den Schwellenländern, Wechselkursschwankungen und die Anpassungen, welche wir gerade auf den Rohstoffmärkten sehen.   

Wie kommen wir aus diesem Risiko-Zyklus wieder heraus?

Diese einzelnen Schocks hängen ja zusammen.

Wir können das Wachstum nicht kurzfristig mit noch mehr Schulden ankurbeln, damit würden wir das Problem nur größer machen. Wir müssen also vor allem daran arbeiten, die globalen Schulden, seien es Staats-, Privat oder Unternehmensschulden, abzubauen.

Welche Schulden bergen die größten Gefahren?

Das ist regional und branchenspezifisch sehr unterschiedlich. Den einen Risikoherd gibt es wohl nicht. In China zum Beispiel sind die privaten und die Unternehmensschulden gefährlich hoch. In den USA und Großbritannien sind die privaten Schulden dagegen bereits deutlich gesunken, in einigen Ländern Europas ist die hohe Staatsverschuldung weiterhin problematisch.

Wie kommen wir aus dem Kreis an Risiken wieder raus?

In dem wir die Produktivkräfte der Wirtschaft steigern. Neben den hohen Schulden ist das niedrige Produktivitätswachstum ein großes Risiko, ein Überbleibsel aus der weltweiten Finanzkrise. Investments müssen stärker gefördert werden.

"Zinsen sind komplex, wir verstehen nicht alles"

Auch in Deutschland werden oft mangelnde Investitionen kritisiert, Brücken fallen auseinander und Schulen werden nicht modernisiert. Brauchen wir ein Investitionsprogramm?

Wir sehen schon, dass nicht ausreichend investiert wird, obwohl die notwendigen Mittel aufgrund der niedrigen Zinsen ja vorhanden sind. Wir brauchen vor allem Investitionen, die die Produktivität steigern, wie beispielsweise ein Personalaufbau oder der Zukauf von Maschinen. Das können auch gemeinsame Investitionen von Staat und Privatwirtschaft sein.  

Die Geldpolitik der meisten Zentralbanken versucht doch gerade, Investitionen mit historisch niedrigen Zinsen anzutreiben. Warum kommt das billige Geld der Zentralbanker in der wirtschaftlichen Realität nicht an?

Der Einfluss von niedrigen Zinsen ist sehr komplex, wir verstehen einiges davon, aber sicher nicht alles.

Notenbanken rund um den Globus lockern ihre Geldpolitik

Laut Lehrbuch macht es für Unternehmen Sinn, Ausgaben der Zukunft in die Gegenwart zu verschieben, um in der Zukunft höhere Umsätze zu erwirtschaften. Schuldenfinanzierte Investitionen erwirtschaften die Gewinne von morgen. Dieser Mechanismus funktioniert aber nicht immer, das sehen wir gerade.

Woran machen Sie das fest?

Normalerweise waren niedrige Zinsen und hohe Assetpreise immer ein Zeichen von Überfluss und ausgelassener Stimmung bei Investoren und Anlegern. Das gilt so nicht mehr.

Nehmen sie beispielsweise die Lebensversicherer, in deren Depots der Kurs ihrer langfristigen Anleihen zwar auch steigt, deren Geschäftsmodell aber massiv unter den niedrigen Zinsen leidet. Auch bei den Sparern lösen die niedrigen Zinsen Stress aus, die Leute fühlen sich miserabel.

Sie beschreiben in ihrem Jahresbericht die wachsende Bedeutung von Wechselkursen. Haben Sie Angst vor einem Währungskrieg?

Nein, wir meinten damit einen anderen Zusammenhang. Wir denken dabei an Wechselkurse im Zusammenhang mit Handelsbilanzen, also handelsgewichtete Kurse. Aufgrund des hohen Bestands an Dollar-Schulden haben Wechselkurse aber auch eine wachsende Bedeutung als Schnittstelle zwischen Finanzmärkten und Realwirtschaft. Wir denken dass dieser Kanal sehr wichtig ist, gegenüer dem Handelskanal aber oft unterschätzt wird.

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