Italien Kein Interesse an Reformen

Italien schlittert in die Rezession und hat kein Rezept gegen die Überschuldung. Für die überfälligen Reformen fehlt es dem Regierungschef an Macht, Energie und Interesse.

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Silvio Berlusconi Quelle: Laif/Contrasto

Fast allen italienischen Unternehmern ist klar, vor welcher Alternative ihr Land steht: „Entweder verabschiedet die Regierung schleunigst ein Reform- und Wachstumsprogramm, oder Italien kommt unter Kuratel der Europäischen Union“, warnte Emma Marcegaglia, die Präsidentin des großen Industriellenverbandes Confindustria. Das war kurz vor dem EU-Krisengipfel in Brüssel. Der Adressat ihrer Mahnung, Regierungschef Silvio Berlusconi, antwortete erst einmal mit altbekannter Sturheit: „Wir haben kein Geld für ein Wachstumsprogramm!“

So war es seit jeher: An einer handlungsunfähigen Regierung in Rom prallten alle Appelle ab – egal, ob sie von respektierten heimischen Kritikern wie der erfolgreichen Stahlindustriellen Marcegaglia kamen oder von ausländischen Politikern, die Angst vor den absehbaren Folgen der italienischen Misere für alle Euro-Staaten haben.

Wird das jetzt ganz anders? Immerhin könnten die scharfen Worte, die Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy in Brüssel für die römische Misswirtschaft gefunden haben, das Ende der Ära Berlusconi beschleunigen. Die italienische Öffentlichkeit interpretiert die Kritik der Deutschen und des Franzosen als „Merkozy-Ultimatum“ an den Potentaten persönlich: Tu endlich was oder trete zurück! Das hat dramatische Folgen: Der 75-jährige Regierungschef will auf einmal echte Reformen auf den Weg bringen. Koste es, was es kosten soll – ihn selber vielleicht sogar das Amt.

Wie aber soll Berlusconi in kürzester Zeit nachholen, was er jahrelang versäumt hat? Vor der Wahl 2008 hatte er viele Reformen versprochen: im Rentensystem, auf dem Arbeitsmarkt, bei der Infrastruktur und in der öffentlichen Verwaltung. Passiert ist sehr wenig. Das liegt auch an Berlusconis Bündnispartner Umberto Bossi, dem Minister für „institutionelle Reformen“: Der hat jetzt die von Berlusconi vorgeschlagene Erhöhung des Rentenalters auf 67 Jahre und andere Vorschläge brüsk abgelehnt. Zumindest öffentlich.

Im Geheimen aber, so hieß es vergangenen Mittwoch in Rom, hatten sich beide bereits auf die Rente mit 67 geeinigt, und Berlusconi hat dafür angeblich einen hohen Preis bezahlt: Er werde diesen Berichten zufolge in wenigen Monaten zurücktreten, um sich die „Blamage“ zu ersparen, in Brüssel mit leeren Händen auftreten zu müssen.

Problem für die Eurozone

Marcegaglia Quelle: Corbis

Eine derartige Entwicklung wurde zwar aus Berlusconis Umgebung umgehend dementiert, ist aber plausibel. Jedenfalls versprach der Ministerpräsident in einem Schreiben an seine europäischen Kollegen, das Rentenalter auf 67 zu erhöhen, allerdings erst 2026. Der Kündigungsschutz soll gelockert werden, und Privatisierungen sollen in den kommenden drei Jahren 14 Milliarden Euro für die Staatskasse bringen. Das sind dringend notwendige Schritte. Denn Italien ist in den vergangenen Wochen in dramatische Abhängigkeit von den europäischen Institutionen geraten.

Seit September kauft die Europäische Zentralbank italienische Staatsanleihen. Das Land ist auf diese Stützungskäufe angewiesen, seit die internationalen Ratingagenturen seine Kreditwürdigkeit herabgestuft haben. Die Zinssätze steigen schnell. Die Differenz zwischen Bundesanleihen und italienischen Staatsanleihen liegt derzeit bei 389 Basispunkten.

Und das bei einer Staatsverschuldung, die Italien neben dem viel kleineren Griechenland zum Hauptproblem der Euro-Zone macht: Die Republik ächzt unter einer Verschuldung von mehr als 1900 Milliarden Euro, etwa 120 Prozent vom jährlichen Bruttoinlandsprodukt (BIP). Zudem wird Italien 2012 wahrscheinlich in die Rezession schlittern, und die Realeinkommen der Italiener sinken bereits seit fünf Jahren.

Darum muss der italienische Staat einerseits sparen, um seine Kreditwürdigkeit zu retten, andererseits aber auch für Wachstum sorgen. Ein Dilemma, dem Berlusconi und seine Leute nicht gewachsen sind.

Anfang September, schon damals auf Druck der EU, hatte das Kabinett ein Schuldenabbauprogramm von 54 Milliarden Euro beschlossen. Fünf Mal musste es die Gesetzesvorlage revidieren, bis sie endlich die parlamentarische Hürde schaffte. Erklärtes Ziel war ein ausgeglichener Haushalt im Jahr 2013, erreichbar ist das auch jetzt nicht. „Es wäre schon als Erfolg zu werten, wenn das Defizit unter ein Prozent des BIPs fiele“, sagt Paolo Onofri, Ökonomieprofessor in Bologna und Vizepräsident des Wirtschaftsforschungsinstitutes Prometeia.

Berlusconi isoliert

Berlusconi, Merkel, Sarkozy Quelle: dapd

Die Prometeia-Forscher zeichnen ein düsteres, makro- ökonomisches Szenario: Ohne ein Wachstumsprogramm schlittert Italien 2012 in die Rezession, und 2013 und 2014 soll das BIP um jeweils weniger als ein Prozent wachsen. Exporte wie auch Importe werden in den kommenden drei Jahren gegenüber 2011 zurückfallen. Und weder beim Inlandskonsum noch bei den Investitionen sind bis 2014 Zunahmen von mehr als einem Prozent jährlich zu erwarten.

Natürlich gibt es auch in der italienischen Regierung Ideen, wie sich die Rezession bekämpfen lässt, ohne die Staatsschuld noch weiter anschwellen zu lassen. Erst einmal lässt sich prinzipiell bei den europäischen Nachbarn Geld für Infrastrukturmaßnahmen auftreiben. So hat Finanzminister Giulio Tremonti in Brüssel einen Plan namens Eurosud präsentiert: Italien fordert eine Aufstockung der EU-Strukturfonds für seinen unterentwickelten Süden. Dabei waren für den Mezzogiorno bislang schon im Zeitraum von 2007 bis 2013 insgesamt 44 Milliarden Euro aus Brüssel vorgesehen, und ein guter Teil dieses Geldes wird jetzt schon nicht abgerufen. Das liegt am Mangel an geeigneten Projekten, aber auch am Einfluss des organisierten Verbrechens auf die Auftragsvergabe in Süditalien. Weshalb Tremonti den Anteil des italienischen Staates an der Finanzierung von Eurosud um 25 Prozent kürzen will, um den Haushalt um acht Milliarden Euro zu entlasten. Solch widersprüchliche Politik sehen selbst Insider der Regierung kritisch.

Grafik: Lahmer Stiefel Quelle: IWF

Den Staatshaushalt entlasten soll demnächst auch das von Berlusconi den anderen Europäern versprochene Privatisierungsprogramm. Andererseits plant die Berlusconi-Regierung wieder einmal eine Steueramnestie, der zufolge gleich zwölf verschiedene bisherige Wirtschaftsdelikte nicht mehr strafbar sein sollen. „Der Plan selbst ist ein Delikt“, kommentiert Tito Boeri, Professor an der Mailänder Bocconi-Wirtschaftsuniversität.

Umso überraschender wäre es, wenn Berlusconi unter dem Druck Deutschlands und Frankreichs in den wahrscheinlich letzten Monaten seiner Amtszeit vernünftige Wirtschaftspolitik nicht nur versprechen, sondern auch betreiben würde. Das ist schon darum schwer vorstellbar, weil der Regierungschef durch seine privaten Eskapaden die notwendige Glaubwürdigkeit verloren hat. Aber noch schlimmer als Berlusconis Sexskandale und seine geschmacklosen Witze ist für Italien die Überzeugung Berlusconis, die Rezession sei nur ein psychologisches Phänomen.

Berlusconi predigt darum allen Ernstes, es fehle nur an der nötigen Begeisterung der italienischen Unternehmer, um das Land vor der Krise zu retten. Da kann deren Sprecherin Marcegaglia nur protestieren. Den Regierungschef hat sie aufgefordert, seinen politischen Einfluss endlich für Reformen zu nutzen: „Ohne Reformen und Wachstumsimpulse brauchen wir fünf Jahre, nur um auf das Niveau von 2007 zurückzukehren!“ Eine Studie der Confindustria legt nahe, dass Reformen die Wirtschaftsleistung Italiens in den kommenden 20 Jahren um 30 Prozent steigern könnten.

"Für Wirtschaftspolitik nie etwas übrig gehabt"

Berlusconi Quelle: dpa

Mit Berlusconis bislang felsenfester Überzeugung, seine Regierung meistere die gegenwärtige Krise besser als alle anderen, hat das nichts mehr zu tun. Die teilt ohnehin fast niemand mehr – weder die italienische Wirtschaft noch die Ökonomieprofessoren des Landes, weder die Ratingagenturen noch die Finanzmärkte oder die anderen europäischen Regierungschefs. Angela Merkel hat in Brüssel öffentlich und unmissverständlich gesagt, das Vertrauen der Märkte in Italien würde sich erst dann wieder einstellen, wenn Rom seine Hausaufgaben mache. Schwer vorstellbar, dass sie Berlusconi das noch zutraut.

Viel eher besteht die Gefahr, dass Berlusconi seinem Land noch einmal erheblich schadet: Wenn er nach gewohnter Manier in die rhetorische Offensive geht, ohne dass entsprechende Taten folgen, sodass sich die neuen Zusagen an die Verhandlungspartner in Europa wieder einmal als Blendwerk herausstellen.

Der Regierungschef selber fände das wahrscheinlich nicht schlimm, wenn man Mario Monti glaubt. Der einstige EU-Kommissar und heutige Präsident der Bocconi-Wirtschaftsuniversität bringt das Problem auf den Punkt: „Berlusconi hat für Wirtschaftspolitik nie etwas übrig gehabt.“

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