Zehn Tage nach dem gescheiterten Verfassungsreferendum hat Italien endgültig eine neue Regierung. Als letzte notwendige Instanz sprach der Senat dem Kabinett des neuen Ministerpräsidenten Paolo Gentiloni am Mittwoch sein Vertrauen aus.
Damit kann die Regierung nach dem Rücktritt von Gentilonis Vorgänger, Matteo Renzi, nun offiziell die Arbeit aufnehmen. Es wird allerdings erwartet, dass sie nicht allzu lange hält, da fast alle Parteien Neuwahlen fordern.
Der Senat stimmte mit 169 zu 99 Stimmen für die neue Regierungsmannschaft. Am Vortag hatte bereits das Abgeordnetenhaus Gentiloni, der vorher Außenminister war und den Sozialdemokraten (Partito Democratico, PD) angehört, sein Vertrauen ausgesprochen. Gentiloni kann nun beim EU-Gipfel diesen Donnerstag in Brüssel erstmals international als Ministerpräsident auftreten.
PD-Chef Renzi war zurückgetreten, nachdem die Italiener am 4. Dezember gegen seine Verfassungsreform gestimmt hatten. Gentiloni übernahm Renzis Posten, was jedoch Kritik bei der Opposition auslöste, da das Kabinett fast gleich geblieben ist. Gentiloni trägt als Vertrauter des Ex-Premiers Renzi bereits den Spitznamen „Renziloni“ oder „Gentikloni“.
Bevor es Neuwahlen in Italien geben kann, muss allerdings das Wahlrecht angepasst werden. Langwierige Streitereien sind hier programmiert. Spekuliert wird, dass im Sommer 2017 Parlamentswahlen stattfinden.
Für Gentiloni hat der Aufbau nach den schweren Erdbeben in Mittelitalien Priorität, dazu kommen die Flüchtlingskrise, die Beziehungen zu Russland und die Rolle Italiens in der EU. Auch die Bankenkrise verlangt schnelles Handeln.
„Nein“ zur italienischen Verfassungsreform: Stimmen und Reaktionen
„Ich bin traurig, dass das Referendum in Italien nicht so ausgegangen ist, wie der Ministerpräsident sich das gewünscht hat. Denn ich habe seinen Reformkurs immer unterstützt. Aber das ist natürlich eine inneritalienische Entscheidung, die wir zu respektieren haben. (...) Aber ich habe immer sehr gut mit Matteo Renzi zusammengearbeitet.“
„Das ist bitter für Matteo Renzi und bitter für Italien. Ich hoffe, dass der eingeschlagene Weg der Modernisierung fortgesetzt wird. Denn vom Stillstand profitieren nur die Populisten.“
„Das ist ganz sicherlich kein positiver Beitrag in einer der schwierigsten europäischen Zeiten“. Renzi habe „das Richtige und Notwendige getan, aber er ist dafür von den Wählern nicht belohnt worden“.
Markus Söder (CSU) sprach von einem „Debakel für Renzi“. Der Wahlausgang in Italien zeige, „dass die Italiener nicht besonders reformwillig sind“, sagte Söder auf bild.de.
Bernd Riexinger begrüßte das Scheitern der Verfassungsreform. „Ministerpräsident Renzi wollte mit dem Referendum einen Demokratieabbau vorantreiben, um sein neoliberales Programm durchzusetzen.“
„Die Populisten stehen in den Startlöchern“, sagte Peter im Fernsehsender n-tv. Sie fürchte, dass dies Auswirkungen auf andere Länder habe. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) rief sie zur „Abkehr vom strikten Sparkurs“ auf.
Von Storch forderte eine Volksabstimmung auch in Deutschland. „Gratulation an die Italiener zu ihrem demokratischen Votum. Die Bürger müssen souverän und demokratisch entscheiden, ob sich Deutschland zukünftig weiter an der Rettung anderer Staaten wie Italien beteiligen und deren Schulden tragen soll.“
„Hier hat ein Regierungschef gezockt und verloren. Nach dem gescheiterten Referendum drohen dem Land spanische Verhältnisse“, sagte Lindner der dpa. „Mit größtem Respekt und in aller Freundschaft muss Deutschland unterstreichen, dass hausgemachte Wirtschaftskrisen nicht mit unserer Bonität gelöst werden können.“
"Die Niederlage Renzis ist kein Sieg der Europakritiker. Pro-europäische Kräfte haben sich sowohl für als auch gegen die Verfassungsreform ausgesprochen. Wer jetzt von einem 'Italexit' redet, hilft nur den Populisten in Italien, die das tatsächlich wollen."
„Damit nehmen die Risiken einer neuen politischen Instabilität für die wirtschaftliche Entwicklung, die Finanzmärkte und die Währungsunion weiter zu. Italien darf die Lösung seiner drängenden Probleme nicht aufschieben.“
Der SPD-Politiker Niels Annen hat Regierungschef Matteo Renzi für das Nein der Italiener zu weitreichenden Verfassungsreformen mitverantwortlich gemacht. „Die Verbindung zwischen seinem persönlichen politischen Schicksal und der Verfassungsreform ist sicherlich ein schwerer Fehler gewesen“, sagte Annen. Das Ergebnis sei eine „krachende Niederlage“ für Renzi. „Herr Renzi ist sehr selbstbewusst, manche sagen auch arrogant in diese Abstimmung hinein gegangen.“
Das Ergebnis der Abstimmung bedeute „weitere verlorene Zeit“, sagte DIW-Präsident Fratzscher nach Bekanntwerden des Referendums.
Laut Ifo-Präsident Clemens Fuest wird sich die wirtschaftliche Stagnation der drittgrößten Euro-Volkswirtschaft nach dem angekündigten Rücktritt von Regierungschef Matteo Renzi verlängern: „Die Wahrscheinlichkeit, dass Italien dauerhaft Mitglied der Eurozone bleibt, ist gesunken.“
Bundesbank-Präsident Jens Weidmann befürchtet nach dem klaren Nein im italienischen Verfassungsreferendum eine Verlangsamung der Reformen im Land. "Und das wäre nicht nur für Italien eine bedenkliche Entwicklung", warnte Weidmann am Montag auf einer Veranstaltung in München. Italien habe seit Jahren ein sehr schwaches Wachstum. Dazu komme eine sehr hohe Staatsverschuldung und große Bestände an faulen Krediten in den Bankbilanzen. "Umso wichtiger ist nun, dass die italienische Politik überzeugende Zeichen aussendet, die wirtschaftlichen Probleme an der Wurzel anzupacken."
Brzeski hält Sorgen vor einer neuen Eurokrise allerdings für übertrieben: „Gestürzte Regierungen in Italien sind nun wirklich nichts Neues, und Europa hat schon Vieles überlebt.“ Zwar sorge das Referendum für neue Unsicherheit. Möglicherweise liege in dem Nein aber auch eine Chance: „Eine technokratische Übergangsregierung kann die Probleme im Bankensektor und den erneuten Reformstau zusammen mit Europa rücksichtsloser angehen als die Regierung Renzi.“
Aus Sicht von Krämer hat Italien die Chance vertan, die politischen Voraussetzungen zur Lösung der wirtschaftlichen Probleme zu schaffen: „Italien bleibt ein Krisenkandidat.“
Kater schätzt, dass die europäischen Finanzmärkte auch eine weitere italienische Regierungskrise überstehen werden. „Allerdings bleibt Italien ein Langzeit-Patient mit Krisenpotenzial in der Eurozone“, schränkte er ein.
„Jetzt gibt es kein Wahlrecht für den Senat, vielleicht nicht mal eines für die Abgeordnetenkammer, es gibt keine Regierung. Der perfekte Gewittersturm, auf den alle gewartet haben, ist angekommen“, fasste die Zeitung „L'Espresso“ die Hinterlassenschaft Renzis zusammen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel gratulierte Gentiloni. „Deutschland und Italien verbinden eine tiefe Freundschaft und vertrauensvolle Partnerschaft in allen Bereichen - politisch, wirtschaftlich, kulturell wie auch gesellschaftlich.“ Sie freue sich, die Zusammenarbeit der beiden Länder gemeinsam fortzusetzen.